Gerechtigkeit für Pepe - Kampf gegen die Straflosigkeit in Guatemala
Fijáte 441 vom 12. August 2009, Artikel 2, Seite 1
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Gerechtigkeit für Pepe - Kampf gegen die Straflosigkeit in Guatemala
Der guatemaltekische Menschenrechtsaktivist Amílcar Méndez versucht, die Hintergründe eines Verbrechens aufzuklären. Vor zwei Jahren, am 17. August 2007, wurde sein Sohn José Manuel Méndez Dardón, "Pepe", ermordet als eines der vielen Opfer des organisierten Verbrechens in Guatemala (siehe ¡Fijáte! 395). Der folgende Artikel wurde uns freundlicherweise von Andreas Boueke zur Verfügung gestellt. "Hier an dieser Stelle starb Pepe", sagt Amílcar Méndez in die Mikrofone und Kameras, die ihm mehrere ReporterInnen entgegenhalten. "Wir werden heute eine Gedenktafel befestigen, um an das Leben meines Sohns zu erinnern, nicht an seinen Tod." FreundInnen der Familie Méndez, Angehörige und VertreterInnen verschiedener Menschenrechtsorganisationen sind zusammengekommen, um gegen die Gewalt im Land zu protestieren. In Guatemala wurden in diesem Jahr jeden Tag durchschnittlich 17 Menschen ermordet. Ein grosser Teil dieser Gewalt steht im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen. Viele Täter werden von korrupten Regierungsangehörigen oder Mitarbeitenden des Justizapparats geschützt. Pepes ältere Schwester Rocio ist eine reservierte junge Frau. "Es war eine schwere Zeit für uns. Sie haben uns einen geliebten Menschen genommen, skrupellos und ohne Strafe. Wir wissen natürlich, dass auch unsere Leben in Gefahr sind solange wir Gerechtigkeit verlangen. Aber ich und die ganze Familie unterstützen meinen Vater in seinem Kampf. Er soll so lange dauern, wie unsere Kräfte reichen." Keine zweihundert Meter vom Tatort entfernt liegt das Hauptgebäude des internationalen Flughafens von Guatemala-Stadt. ArbeitskollegInnen von Pepe berichten, kurz vor seinem Tod habe der damalige Generaldirektor des Flughafens persönlich versucht, ihn zu entlassen. Pepe hatte auf Grund von technischen Kriterien eine nächtliche Starterlaubnis verweigert. Es stellte sich heraus, dass das Flugzeug Eigentum eines persönlichen Freundes des Flughafendirektors war. Der Flieger konnte dennoch starten, mitten in der Nacht, ohne die Erlaubnis aus dem Kontrollturm und ohne die vorgeschriebene Frachtüberprüfung. Weil Pepe nachweisen konnte, dass er vorschriftsgemäss gehandelt hatte, konnte er sich gegen die Entlassung wehren. Wenig später war er tot. Der ehemalige Direktor des Flughafens, Manuel Moreno Botrán, ist Mitglied einer der reichsten und mächtigsten Familien des Landes. Mehrere Personen in seinem Umfeld werden verdächtigt, mit kolumbianischen Drogenkartellen in Verbindung zu stehen. Sein persönlicher Anwalt ist vor wenigen Monaten von einem Killerkommando hingerichtet worden. Die Polizei geht von einem Streit zwischen Drogenbanden aus. Auch über Pepes damaligen direkten Vorgesetzten gibt es stapelweise Akten, die ihn mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung bringen. Das weiss auch der neue Flughafendirektor. "Dieser Mann arbeitet nicht mehr hier. Als ich gekommen bin, habe ich ihn entlassen, weil er unter Verdacht steht." Viele Details über illegale Aktivitäten auf dem Flughafen sind bekannt, ohne dass jemand etwas unternimmt. Zu einer unabhängigen Untersuchung kommt es nahezu nie. Der neue Flughafendirektor behauptet, er wolle das ändern. "Früher gab es Personen auf dem Flughafen, die sich an illegalen Handlungen beteiligt haben, Drogenschmuggel, Menschenhandel etc. Wir versuchen jetzt, die Kontrolle zu übernehmen. Natürlich macht mir das Angst. Es ist ein Horror. Ich muss immer aufpassen. Ich habe mich in Gottes Hände begeben." Nach oben |
Wer in Guatemala versucht, etwas gegen das organisierte Verbrechen zu unternehmen, lebt in Angst. Auch die Familie von Pepe. Seine kleine Schwester Ana Maria wurde kürzlich am Telefon bedroht: "Sie fragten nach meinem Vater. Ich habe gesagt, dass ich seine Tochter bin. Daraufhin haben sie mich angeschrieen. Sie sagten mir, sie seien vor unserem Haus. 'Gleich wird es klingeln. Wir sind bewaffnet und wollen deinen Vater.' Ich habe aufgelegt. Sie haben immer wieder angerufen. Fünf Minuten später haben sie heftig gegen die Haustür getreten. Ich habe die Polizei gerufen, aber niemand ist gekommen." Die Polizei in Guatemala ist unterbesetzt und miserabel ausgestattet. Die Staatsanwaltschaft auch. Zudem befolgen vielen Staatsanwälte die Regeln der unantastbaren Mitglieder der einflussreichen Oberschicht Guatemalas. Der bis vor kurzem für den Mord an Pepe zuständige Ermittler der Staatsanwaltschaft Héctor Canastuj hat sich immer geweigert, den ehemaligen Direktor des Flughafens oder seine engsten Vertrauten auch nur zu einem Gespräch vorzuladen. Guatemala gilt als Durchgangsstation für Kokain aus Kolumbien, das vor allem nach Nordamerika transportiert wird. Im Fall von Pepe gibt es zahlreiche Hinweise, die in Richtung der Kokainmafia deuten. Doch Héctor Canastuj zieht es vor, diese Spuren zu ignorieren. So sind fast zwei Jahre vergangen, ohne dass die Staatsanwaltschaft die relevanten Dokumente verdächtiger Flüge angeschaut hätte, die zu Konflikten zwischen Pepe und seinen Vorgesetzten geführt haben. Amílcar Méndez ist frustriert: "Sie haben nicht eine einzige Sache gemacht, um die Hintermänner des Mordes an meinem Sohn zu identifizieren, diejenigen, die beauftragt und bezahlt haben." Dabei könnte Amílcar Méndez eigentlich stolz auf das Erreichte sein. Mit seiner Hartnäckigkeit ist er so weit gekommen, dass der Tatverdächtige Omar Gudiel als Mörder verurteilt wurde. Dazu kommt es in Guatemala in weniger als einem von hundert Mordfällen. Doch der Ermittler Canastuj muss eingestehen, dass der verurteilte Mörder in einer ausgesprochen privilegierten Haftsituation lebt. "Als wir seine Zelle inspiziert haben, haben wir ein Mobiltelefon gefunden. Er hat ein Einzelzimmer und in einem Raum nebenan stand ein Laptop, den er benutzt hat." Die Schwester des Opfers, Rocio, ist sich sicher, dass der junge Mann einen Auftrag ausgeführt hat: "Es ist offensichtlich, dass er von einflussreichen Leuten finanziell unterstützt wird. Womöglich waren diese Leute sogar daran interessiert, dass er schuldig gesprochen wurde. Es könnte sein, dass er die Rolle des Sündenbocks übernommen hat." Nicht ein einziger wichtiger Boss der Drogenkartelle sitzt in Guatemala im Gefängnis. Einige ihrer Namen sind bekannt und werden sogar in Medienberichten genannt. Diese Personen pflegen beste Beziehungen zur Polizei, zum Justizapparat und zur Regierung. Sie bleiben straflos, egal wie viele Morde sie in Auftrag geben. Je mehr Zeit vergeht, desto weniger glaubt Pepes Mutter Miriam daran, dass sie eines Tages noch einmal glücklich sein wird. "Mein Glaube an Gott ist geschwunden. Ich habe keine Pläne mehr. Nur überleben, um mit den letzten Kräften, die mir bleiben, meinen Enkeln Wärme zu geben. Aber für mich selbst gibt es nichts mehr." |
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