Proreforma: Die Elite spielt Bürgerinitiative
Fijáte 441 vom 12. August 2009, Artikel 6, Seite 5
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Proreforma: Die Elite spielt Bürgerinitiative
Derzeit werden in der guatemaltekischen Presse wie auch im guatemaltekischen Kongress die Forderungen einer Bürgerinitiative namens Proreforma diskutiert, die Verfassungsänderungen zum Ziel haben. Immerhin mehr als 70.000 GuatemaltekInnen haben folgende Forderungen von Proreforma unterstützt: - inhaltliche Trennung zwischen Norm/Recht und Gesetz - zu den Normen gehören vor allem die individuellen Rechte (Leben, Eigentum, Vertragssicherheit) - Normen stehen in der gesetzlichen Hierarchie über den Gesetzen. Während für die Verabschiedung der Gesetze weiterhin der Kongress zuständig ist, wird für die Normen eine neue Kammer geschaffen, der Senat - der Senat besteht aus 45 Personen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren, die von BürgerInnen ihrer Altersstufe gewählt/ bestimmt werden (wie das praktisch aussehen soll, wird nicht gesagt) und 15 Jahre im Amt bleiben - der Senat bestimmt die hohen Richter der Institutionen - es gibt die Möglichkeiten der Volksbefragung - es gibt eine strikte Trennung zwischen Legislative (Kongressabgeordnete oder SenatorInnen) und anderen öffentlichen und Regierungsämtern Auf der hoch professionellen Internetseite von Proreforma werden die Reformen als einzige gangbare Lösungsmöglichkeiten für die beiden grössten Probleme Guatemalas angepriesen: Gewalt und Armut. Dabei fällt auf, dass Gewalt als Angriff auf das Leben des/der Einzelnen, vor allem aber auch als Angriff auf das Privateigentum thematisiert wird. Armut wird als Folge staatlicher Regulierung der Wirtschaft analysiert. Angesichts der unabweisbaren Mängel in der Exekutive guatemaltekischer Politik ist diese einfache, aber nicht simplifizierende Idee für viele unzufriedene GuatemaltekInnen bestechend - wenn sie nicht zur indigenen Bevölkerung gehören. Denn diese kommen - wie die Fundación Rigoberta Menchú in ihrer Stellungnahme analysiert - in dem Antrag nicht vor. Zudem schliesst er 83 % der Bevölkerung aus Altersgründen von vornherein von der Möglichkeit aus, SenatorIn zu werden. Von der im Antrag formulierten Gleichheit kann also keine Rede sein. Auch der Anwalt Alexandro Balsells vom Zentrum für die Verteidigung der Verfassung (CEDECON) hält den Verfassungsentwurf für undemokratisch. Er zweifelt insbesondere an der These von Proreforma, dass die Probleme Guatemalas am System liegen und nicht an den Handlungen der Mächtigen: "Das ganze System der Prävention funktioniert nicht, daher müssen wir immer restaurativ sein, und das ist der springende Punkt: Das wird kein Gesetz ändern, das hat mit den Gesetzen gar nichts zu tun. Das ist eine Frage der Taten jener, die Aufgaben übernehmen." Das heisst für ihn jedoch beileibe nicht, dass nichts verändert werden sollte, nur ist der Weg, den Proreforma vorschlägt, denkbar ungeeignet. Wer aber steckt hinter der Bürgerinitiative Proreforma? Da ist vor allem der Vorsitzende zu nennen: Manuel Ayau Cordón, eine mehr als 80 Jahre alte politische Persönlichkeit, die - anders als die Selbstdefinition von Proreforma postuliert - weder von "wirtschaftlichen Interessen unabhängig" noch "parteipolitisch neutral" ist. Während des bewaffneten Konflikts gehörte Ayau zum Umfeld rechtsextremer Parteien wie die Movimiento de Liberación Nacional (MLN), die sich damals die Partei "der organisierten Gewalt" nannte. Er schwärmte schon als Jugendlicher für Benito Mussolini. Er gründete 1959 das Zentrum für Ökonomische und soziale Studien (CEES), aus der sich in den siebziger Jahren die private Universität Francisco Marroquín (UFM) entwickelte, deren Rektor er bis 1988 war. Zudem ist Ayau eng mit der industriellen Oligarchie verbunden. Er war Vorstandsmitglied beim Erdölunternehmen Basic Resources, heute Perenco, war Präsident mehrerer internationaler Banken. Seiner Familie gehören mehrere Fabriken, darunter Samboro, die keramische Fliesen herstellt, er hat jedoch auch enge Kontakte zu Gasunternehmen und der hydro-elektrischen Industrie. Nach oben |
Carlos Barreda vom Kollektiv der Sozialen Organisationen (COS) weist darauf hin, dass die geltende Verfassung sich bereits sehr stark dem Schutz des Privateigentums verschrieben hat. Die Forderungen von Proreforma seien also eine Reaktion der Eliten auf Forderungen der Volksbewegungen: "Während der Diskussionen über den Pacto Fiscal im Jahre 2000 forderten die Gewerkschaften, die COS und NGOs eine Neugründung des Staates von unten her. Daher möchte Ayau Reformen durchsetzen, bevor es das Volk tut." Proreforma versucht also, die wirtschaftsliberale Verfassung Guatemalas noch weiter zu vertiefen und mit dem Senat eine Macht einzuführen, die die bestehenden Machtverhältnisse für immer und ewig zementiert. |
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