Neues (?) im Fall Rosenberg
Fijáte 440 vom 29. Juli 2009, Artikel 1, Seite 1
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Neues (?) im Fall Rosenberg
Nachdem sich die erste Aufregung um den "Fall Rosenberg" etwas gelegt hat und man in und für Guatemala froh ist, dass der Protest gegen den Präsidenten und dessen Gattin nicht in einen Staatsstreich à la Honduras gemündet ist, haben die Medien in den letzten Wochen neue Hintergründe und Zusammenhänge - und Gerüchte - rund um die Ermordung des Anwalts aufgedeckt. Wir veröffentlichen im Folgenden eine Zusammenfassung von zwei Artikeln aus Inforpress Centroamericana Nr. 1805 und 1807 zum Thema. "Die Verräter beginnen zu sprechen", erklärte der guatemaltekische Präsident Alvaro Colom in einem Interview in der mexikanischen Zeitung La Jornada und versichert weiter: "Die Aufrührer werden bezahlen". Zwar nannte er keine konkreten Namen, nennt aber jene, die das Video von Rosenberg (re-) produziert haben "Umstürzler, die wir schon noch identifizieren werden. Die Verräter beginnen, einander gegenseitig zu beschuldigen und an den Pranger zu stellen." Vater und Tochter Musa, die im April umgebracht wurden, sowie der unschuldige Rosenberg seien von gewissen Leuten dazu missbraucht worden, einen unliebsamen Präsidenten loszuwerden, der sie bei ihren schmutzigen Geschäften gestört habe (siehe ¡Fijáte! 435 und 437). Ohne konkret zu werden, weisen Coloms Deklarationen auf die beiden Hauptstränge hin, welche die Fälle Musa und Rosenberg umwinden. Auf der einen Seite die These einer Konspiration gegen die Regierung, in der Rosenberg nur eine Marionette gewesen sei. Auf der anderen die Vermutung, dass sowohl die Ermordung des Unternehmers Khalil Musa wie jene des Anwalts Rosenberg ihre Ursachen in einem alten Machtkampf um die Vorherrschaft in verschiedenen Instanzen wie der Nationalen Vereinigung der Kaffeeproduzenten (ANACAFE) oder der Ländlichen Entwicklungsbank (BANRURAL) haben bzw. um den Abschluss lukrativer Geschäfte mit dem Staat (speziell dem Geschäft um die Ausstellung der neuen Personalausweise). Im Interview mit der Jornada antwortet Colom auf die Frage der vermeintlichen Intervention der Regierung, die dazu führte, dass Musa nicht in die Vorstände von BANRURAL und ANACAFE aufgenommen wurde, wie dies Rosenberg in seinem Video andeutete: "Wir haben damit nichts zu tun. Es gab einen heftigen Zusammenstoss zwischen den Kooperativisten und Musa. Man muss das im Rahmen des wirtschaftlichen Wettbewerbs verstehen. Das einzige Interesse der Regierung war, die Sache wieder ins Gleichgewicht zu bringen - was in diesem Fall nicht funktioniert hat. Das Problem war aber nicht so sehr mit BANRURAL, sondern mit ANACAFE, wo es seit Jahren einen Interessenskonflikt zwischen den kleinen und grossen Produzenten gibt." Auf die Frage, weshalb BANRURAL und ANACAFE im Zentrum des Komplotts Musa-Rosenberg stünden, gibt sich Colom defensiv und verweist auf den Disput unter Bankiers um die Kontrolle von BANRURAL: "Meiner persönlichen Meinung nach geht es hier um wirtschaftliche Interessen. Im Verlauf der letzten fünf Jahre ist BANRURAL zur zweitgrössten Bank im Land angewachsen. Dieser Fall beweist, dass der wirtschaftliche Wettbewerb stärker ist als die Politik. Als Antwort auf die Anschuldigungen, BANRURAL habe administrative Probleme, ordnete ich eine Überprüfung aller Banken an, wogegen sich der Bankensektor auf Teufel komm raus wehrte." Bis jetzt ist noch keiner der Beweise, die zu haben Rosenberg in seinem Video ankündigt hat, präsentiert worden. Dies führte zu Spekulationen darüber, dass Rosenberg gewisse Informationen, die er über Musa und andere Leute aus den Wirtschafts- und Bankierskreisen besass, für seine eigenen kommerziellen Interessen oder diejenigen einer Gruppe, der er sich verpflichtet fühlte, ausnutzte. Vielleicht hat deshalb eine der Schlüsselpersonen dieses Komplotts, der Unternehmer Gregorio Valdés, beschlossen, rechtliche Schritte gegen Luis Medizábal und Mario David García einzuleiten. Die beiden haben das Video von Rosenberg aufgenommen, reproduziert und unter die Leute und an die Medien verteilt. Beschuldigt werden sie von Valdés, weil sie die Informationen, an die sie bei der Aufnahme und Reproduktion des Videos gelangten, nicht anzeigten und so den Mord an Rosenberg nicht verhindert hätten. In diesem Sinne seien sie als Komplizen, wenn nicht gar als Täter zu sehen. Valdés lässt sich in dieser Sache vom Anwalt Telésforo Guerra Cahn vertreten, einer Persönlichkeit mit politisch und beruflich düsterer Vergangenheit, unter anderem im Zusammenhang mit dem Korruptions- und Drogenfall "Moreno" und als Verteidiger des Schweizer Angeklagten im Drogenfall "Conexión Alemana" (siehe ¡Fijáte! 260). Nachdem die These um einen vermeintlichen Staatsstreich etwas an Gewicht verloren hat, das Präsidenten-Ehepaar aus der Täter- in die Opferrolle geschlüpft ist und angesichts der Nichtexistenz von den von Rosenberg erwähnten Beweismaterialien, haben sich auch die Medien anderen Thesen zugewendet, welche die Ursache der Ermordung des Anwalts sein könnten. Dazu gehören Untersuchungen über wichtige Aufträge, die der Staat zu vergeben hat, und um deren Zuschlag verschiedene Unternehmer im Wettbewerb sind. Dazu der Kolumnist Gustavo Berganza: "Diese neusten Informationen lassen den Verdacht aufkommen, dass neben den affektiven Gründen, welche Rosenberg zur Aufnahme des Videos veranlasst haben, der Wunsch nach Rache an jenen stand, die ein Geschäft von Rosenbergs Chauffeur und Leibwächter vermiest haben." Berganza bezieht sich damit auf Meldungen der Tageszeitungen elPeriódico und Nuestro Diario vom 22. bzw. 25. Juni, über die Vergabe des staatlichen Auftrags für die Herstellung neuer Identitätsdokumente. An der nationalen und internationalen Ausschreibung nahmen 14 Unternehmen teil, den Zuschlag erhielt das Unternehmen Easy Marketing, das unter anderem Gregorio Valdés zu seinen Aktionären zählt. Das Unternehmen Landosa Digital de Guatemala, welches ebenfalls an der Ausschreibung teilgenommen hatte, legte beim Verfassungsgericht Rekurs gegen die Auftragsvergabe an Easy Marketing ein und erreichte am 10. Juni eine provisorische Suspension. Nach oben |
Zu den Gründungsaktionären von Landosa gehören Enrique Vladimiro Castillo Ramos und Luis Eduardo López Florián, ihres Zeichens Chauffeur und Leibwächter von Rosenberg. Das Unternehmen wurde erst am 14. Mai dieses Jahres definitiv ins Handelsregister eingetragen. Rechtlich beraten wurde das Unternehmen vom Anwaltsbüro Rosenberg Marzano - Marroquín Pemueller, zu dessen Inhabern, wie es der Name sagt, Rosenberg gehört. Den Rekurs beim Verfassungsgericht legte der Anwalt Mario Fuentes Destarac im Namen von Landosa bzw. von Castillo Ramos ein. Destarac (in dessen Kanzlei unter anderem die Anwältin Lucrecia Mendizábal Barrutia, Schwester von Luis Mendizábal, arbeitet) hatte schon früher mit Rosenberg zusammengearbeitet, und man muss sich fragen, was der Ausschlag für die Gründung von Landosa ist, hat doch das Unternehmen keinerlei Erfahrung in der Herstellung von Personalausweisen. Einige Kommentatoren gehen davon aus, dass hinter dem Unternehmen kein anderer als Rosenberg steckt, der in der Herstellung von Personalausweisen ein gutes Geschäft witterte. Andere wiederum vermuten, dass es vielmehr darum gegangen sei, zu verhindern, dass Easy Marketing oder die Unternehmensgruppe Coen den Zuschlag für das Geschäft bekommen. In diesem Zusammenhang wären dann auch die Anschuldigungen gegen Valdés in Rosenbergs Video zu interpretieren, nämlich als Versuch, Valdés undurchsichtige Vergangenheit ins Spiel zu bringen, um den Ruf von Easy Marketing zu schädigen. Vielleicht ging es aber mit der Gründung von Landosa und der Verunglimpfung von Easy Marketing auch darum, das Geschäft einem dritten Interessenten, der Immobilienkorporation La Luz zuzuhalten. La Luz erhielt nämlich 1999, als der damalige Präsident Alvaro Arzú im Rahmen seiner Privatisierungskampagne auch die Herstellung von Identitätskarten an ein privates Unternehmen abgab, den Zuschlag. Der Vertrag wurde unter der Regierung von Alfonso Portillo erneuert, unterzeichnet vom damaligen und später wegen Korruption entlassenen Leiter der guatemaltekischen Migrationsbehörde, Luis Mendizábal. Jener Luis Mendizábal, der die Kopien von Rosenbergs Video verteilte und nun von Gregorio Valdés angeklagt wird. Ein weiteres interessantes Detail: Castillo Ramos, der Chauffeur, ist im Verwaltungsrat von 23 Unternehmen, die alle von der Kanzlei Rosenberg juristisch beraten werden. López Florián, der Leibwächter, hat Einsitz in deren 13 (Prensa Libre, 23. Juni 2009). Und um auf die "affektiven Gründe" zurückzukommen, die Gustavo Berganza in seiner Kolumne erwähnt: Offenbar begann die Staatsanwaltschaft bereits wenige Tage nach der Ermordung von Rosenberg seine auch "zwischenmenschliche Beziehung" zu Marjorie Musa zu untersuchen, die zusammen mit ihrem Vater einige Wochen zuvor ermordet wurde. Die mexikanische Internetseite Informe Indigo Brainmedia, deren Titelseiten von Blut, Pistolen, Dollarnoten und Westernhelden geziert sind, behauptet zu wissen, "was Rosenberg in seinem Video verschwiegen hat". Obwohl die Beziehung zwischen dem Anwalt und der Unternehmerstochter ein offenes Geheimnis war, behauptet Informe Indigo Brainmedia im Besitz von Telefongesprächen und SMS zu sein, welche die beiden über ihre Mobiltelefone ausgetauscht haben. Offenbar ist auch die guatemaltekische Staatsanwaltschaft im Besitz dieser Aufnahmen und verfolgt die "leidenschaftliche Spur", will oder kann jedoch keine Auskunft über ein laufendes Verfahren geben. Nur soviel: Der Ehemann von Marjorie Musa, Alejandro Rafael Hildebrand Aparicio, verliess drei Tage nach dem Mord an Rosenberg das Land Richtung El Salvador. |
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