Perspektiven des Widerstandes
Fijáte 401 vom 9. Jan. 2008, Artikel 5, Seite 5
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Perspektiven des Widerstandes
Ausschnitte aus dem Podiumsgespräch mit allen ReferentInnenInput (gekürzt) von Maja Hess, Ärztin FMH, Präsidentin medico: Warum überhaupt noch über Widerstand nachdenken? Warum sich nicht ruhig zurücklehnen? Die Zeit des bewaffneten Widerstandes in den Ländern des Südens ist doch vorbei. Wir haben diese Fragen den Partnerinnen und Freunden unserer Projekte im Süden gestellt, nachdem teilweise Friedensabkommen unterzeichnet worden sind. Warum noch Widerstand? - Die Antworten kamen sofort und waren derart klar und aus der jeweiligen politischen Realität heraus formuliert, dass mir unmissverständlich klar wurde, dass sich die politisch und sozial engagierten Menschen im Süden diese Frage nicht einmal im Traum stellen. Widerstand ist nötig, * weil diejenigen, die uns gestern umbrachten, uns heute immer noch töten * weil keine soziale Gerechtigkeit besteht * weil Frauen im patriarchalen System immer noch ausgebeutet werden * weil wir immer noch Opfer einer brutalen Besatzung sind * weil der Neo-Kolonialismus uns nach wie vor beherrscht * weil transnationale Konzerne ihr neo-liberales Projekt um jeden Preis - auch um den vieler Menschenleben - umsetzen wollen * weil Rassismus uns be-herrscht Widerstand ist weiter nötig, daran besteht kein Zweifel. Auch für uns als medico schweiz, die wir auf eine 70jährige Geschichte des versuchten Widerstands zurückblicken. Die Frage stellt sich: brauchen wir ein neues Konzept für Widerstand? - Entspricht Widerstand gegen einen repressiven und mächtigen Staat noch der heutigen Realität? Oder ist vielmehr der Staat und seine Struktur so geschwächt und unterwandert von kriminellen Organisationen, dass er eher gestärkt werden müsste? Ist das ein Weg von Widerstand? Ist denn Widerstand gegen die Kriegsführung niedriger Intensität, gegen psychologische Kriegsführung möglich? Gegen die Zerstörung des sozialen Gewebes in indigenen Gemeinschaften zum Beispiel, wie dies zurzeit in Chiapas auch stattfindet? Oder wie ist es möglich, den Widerstand gegen die private Tyrannei transnationaler Unternehmen zu gestalten, die den Lebensraum vieler Menschen zerstören und dabei auf die Unterstützung eines korrupten Staates zählen können? Was in allen Vorträgen aufgetaucht ist, ist das Thema "Schweigen". Schweigen ist ein Schutz. Also muss, um das Schweigen zu brechen, von aussen ein Schutz aufgebaut werden, damit die Menschen, die bis jetzt geschwiegen haben, sich äussern und ihre Geschichte erzählen können, um sicher zu sein, dass ein "Nunca más" existiert und existieren wird. Aus der PodiumsdiskussionYolanda Aguilar: Geografisch gesehen, haben sich die Schritte der Frauen heute und hier in der Schweiz gekreuzt. Wir haben gehört, dass an verschiedenen Orten, sei dies in Guatemala, in Gaza, in Bosnien oder in Afghanistan, Zusammenkünfte stattfinden, wo überall dieselben Themen behandelt werden. Ich glaube, es ist Zeit, neue Sprachen zu erfinden, unsere Körper sprechen zu lassen und neue Wege zu finden und auf diesen weiterzugehen. Ich habe die Gewissheit, dass es diese Wege gibt. Wir müssen einfach vorwärts gehen und dabei die Hoffnung nicht verlieren. Ursula Hauser: Um hier anzuschliessen: es gibt keinen anderen Weg als zusammen weiterzugehen. Und um mit den Träumen der zapatistas von Chiapas zu sprechen: otro mundo es posible - und wir konstruieren sie! Miguel Moerth: Mir wurde nach meinem Referat verschiedentlich gesagt, dass ich einen sehr optimistischen Eindruck hinterlassen habe. Ich möchte das ausdrücklich korrigieren. Ich bin Zeit meines Lebens Optimist gewesen und bin in Guatemala zum Pessimisten geworden. Wobei: ein Pessimist ist der besser informierte Optimist ... Yolanda Aguilar: Wir sind alle so verschieden wie es verschiedene Wege gibt. Es gibt nicht ein Rezept, wie der Weg begangen werden soll, sondern es gibt ganz viele und unterschiedliche Wege. Statement aus dem Publikum: Ich möchte etwas sagen zum Widerstandsrecht der Völker. Ich denke, wir, die hier in Europa leben, müssen das Recht der Völker auf Widerstand respektieren, ihr Recht auch, andere Modelle auszuprobieren, auch wenn uns das nicht passt - z.B. Venezuela: das venezolanische Volk hat das Recht, etwas anderes zu versuchen, und zwar auch mit Fehlern. Wir haben aus europäischer Sicht nicht die Legitimation, einem Volk etwas vorzuschreiben, wie es etwas zu machen hat oder nicht. Und wir können unseren ProjektpartnerInnen in Guatemala natürlich nicht sagen, wie es Miguel Moerth tut, Ihr müsst auf der Seite der Regierung stehen, um diese zu stärken, denn sie stehen auf der andern Seite. Miguel Moerth: Als ich mein Konzept des Widerstandes geschildert habe, ging es ausschliesslich um Guatemala und nicht z.B. um Mexico, denn dort gibt es ja einen starken Staat. Interessant ist, dass meine These, den Staat zu stärken, hier provoziert, in Guatemala aber nicht. Die Thesen, die ich vertrete, sind in Guatemala völlig selbstverständlich. In Guatemala löst das keinerlei Widerspruch aus. Widerstand heisst, den Staat stärken, weil wir ihn schlicht zum Überleben brauchen, denn gegen die wirtschaftlichen Mächte braucht es staatliche Regulierung. Nach oben |
Statement aus dem Publikum: Die Arbeit, die medico international auf der medizinischen Ebene macht, ist für alle Länder in Lateinamerika sehr wichtig. Ich bin nicht ganz einverstanden mit der These, dass es kein Rezept gibt, sondern mein Rezept ist der globale Widerstand. Es ist wichtig und nötig, dass wir uns alle gegen das herrschende Wirtschaftssystem wehren. Solidarität mit Zentralamerika ist zweifellos wichtig, aber es ist auch wichtig, dass wir solidarisch sind mit den Menschen, die hier in der Schweiz leiden. Die Rechte ist auf dem Vormarsch, die Ausländerfeindlichkeit nimmt zu, und darum ist nicht nur der Blick nach aussen wichtig, sondern auch die Solidarität mit den Menschen hier. Solidarität ist das Bauen von Brücken als das Verbinden von Welten. Statement aus dem Publikum: Es ist nicht unbedingt nötig, dass wir uns gegenseitig die offene Türen einrennen. Was hier gesagt wurde über Widerstand und die Solidarität mit Venezuela: natürlich! Das Recht auf Widerstand, auf bewaffneten Widerstand gegen den Imperialismus, die Notwendigkeit gegen diese Faschisierung, die unsere Gesellschaft immer mehr ergreift, zu kämpfen, das ist klar. Heute ist in verschiedenen Beiträgen sehr viel Gewicht auf psychische Momente gelegt worden, wie Widerstand in kleinen Ansätzen umgesetzt werden kann, hier an der Basis, dort an der Basis. Ich selber bin etwas im Clinch, denn wir haben ein Problem, das nicht gelöst ist: wie bringen wir den grossen Widerstand für das Recht auf Leben und den sogenannt kleinen Widerstand, nämlich wie Blockierungen aufgelöst werden, wie wir mit Schmerzen umgehen etc., so zusammen, dass es stimmt, dass es nicht so nebeneinander her besteht. Ich habe keine Antwort darauf. Es gibt die klassischen zwei Gefahren: das eine ist die Analyse, die Linie, die Strategie, der Aufbau. Das andere ist natürlich auch sehr wirkungsvoll: "small is beautiful" - da haben wir noch ein Ansätzchen und dort können wir noch etwas herauspflücken und dann sind alle ungeheuer happy. Miguel Moerth: Ich glaube, dass wir gerade in Post-Konflikt-Länder unglaublich viel Geduld und einen unglaublich langen Atem haben müssen. Es braucht viele kleine und geduldige Schritte, eine ewige Ameisenarbeit. Wir haben in Guatemala zum Beispiel einen ersten Prozess wegen eines Massackers 1999 gehabt, ein zweiter Prozess findet am 12.12.2007 statt. Es braucht viele kleine Schritte, um sich dann irgendwann mit anderen zu vernetzen, damit sie ins grosse Gemeinsame gehen. Dazu braucht's sowohl individuelle wie gesellschaftliche Strategien. Ursula Hauser: Ich erlebe diese Spaltung zwischen "Klein = beautiful" und "Gross = politisch" nicht mehr so stark. Vor etwa 30 Jahren hat man in der Linken Psychoanalyse oder Psychodrama wenn nicht mit grossem Misstrauen oder gar direkter Abwehr einfach nur als kleinbürgerliche Ideologie angesehen und als gar nicht nützlich für den politischen Kampf. Inzwischen ist diese Spaltung nicht mehr so gross, obwohl sie noch existiert, aber jetzt ist klar, dass das Subjektive auch politisch ist. Das hat die Frauenbewegung bewirkt mit ihrer Forderung "das Persönliche, das Private ist politisch". Das bedeutet: das Individuelle ist nicht vom Sozialen zu lösen und das Soziale nicht vom Politischen. Wir linken PsychoanalytikerInnen wissen ganz klar: es geht nicht ohne das Subjektive, aber nur das Individuelle anzuschauen, ist absolut nicht unser Ziel. Und dann ist noch der Faktor Zeit: weil alle gründlichen Prozesse viel Zeit brauchen, damit wir nicht nur Symptombekämpfung machen. Yolanda Aguilar: Ich glaube, Ihr habt heute zwei Sichtweisen auf Guatemala kennen gelernt, zwei Perspektiven, die sich ergänzen. Ich sehe auch keine Trennung zwischen dem kleinen Individuellen und dem grossen Nationalen. Diese ideologische Trennung findet nur in den Köpfen statt und hat uns auch daran gehindert, die Komplexität dieser Prozesse wahrzunehmen. Ich habe dieses Jahr Frauen der deutschen Organisation medica mondiale kennengelernt, die psychosoziale Arbeit macht zur Traumabewältigung in Bosnien und Afghanistan. Eine Therapeutin, Maria Zemp, gab mir auf die Frage, was es braucht, damit die Frauen zu Protagonistinnen ihres eigenen Lebens werden, die Antwort, dass es nötig sei, dass alle Personen, die mit traumatisierten Menschen arbeiten, sich hinterfragen und bewusst werden müssen, wo wir unsere eigenen Traumatas haben. - Und diese Frage muss sich auch die Solidarität stellen. |
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