emPower - interkultureller Jugendaustausch, Teil 2
Fijáte 400 vom 19. Dez. 2007, Artikel 1, Seite 1
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emPower - interkultureller Jugendaustausch, Teil 2
Der Guatemalteke Augustín Ramírez Pérez ist einer von 16 Jugendlichen unterschiedlicher geographischer Herkunft, die an der neunmonatigen Ausbildung emPower im Kinderdorf Pestalozzi im Schweizerischen Trogen teilgenommen haben. Als Fachleute der interkulturellen Kommunikation werden sie in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ihre Erfahrungen und ihr neugewonnenes Wissen in ihren Herkunftsländern weitergeben. Im ¡Fijáte! Nr. 397 erzählte Augustín von seinen Eindrücken und seinem persönlichen Lernprozess in der Schweiz. Anfang November flog er nach Guatemala zurück und berichtet nun (per E-Mail), wie er sein Land nach neun Monaten Abwesenheit sieht. Frage: Erzähle uns von deiner Ankunft in Guatemala: Wie war das Wiedersehen mit deiner Familie, nachdem du sie neun Monate lang nicht gesehen hattest? Wie geht es deinem Vater und den Zwillingsschwestern, von denen du im letzten Interview erzählt hast? Augustín Ramírez Pérez: Nachdem ich meine Familie ein paar Monate nicht gesehen hatte, erwarteten sie mich bei meiner Rückkehr alle im Haus. Denn ich kam an einem Morgen an, mein Vater und meine jüngeren Brüder waren extra nicht zur Arbeit gegangen, um mich zu Hause empfangen zu können. Die Zwillinge haben sich riesig gefreut, mich wiederzusehen. Als Erstes machten sie sich an meine Rücksäcke heran, um zu sehen, was ich ihnen aus der Schweiz mitgebracht hatte. Ich gab ihnen sogleich ein paar kleine Geschenke, worüber sie sich sehr freuten. Es waren noch viele andere Kinder im Haus, und allen verteilte ich Schokolade. Am Nachmittag zeigte ich meiner Familie und anderen FreundInnen die Fotos, die wir in der Schweiz gemacht hatten, ein paar Filme und Präsentationen meiner Gruppe aus dem «emPower»-Projekt. Frage: Wie hast du das Land angetroffen - in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht? Siehst du es noch gleich wie vor deinem Aufenthalt in der Schweiz oder sind dir Veränderungen aufgefallen? Welche? Augustín: In diesem Jahr gab es einige sehr tiefgreifende Veränderungen. Erstens, weil es ein Wahljahr war, in dem für die nächsten vier Jahre ein neuer Präsident gewählt wurde. Überall hörte ich jetzt die Leute von ihrer bevorzugten Partei sprechen, sie diskutierten darüber, dass sie mit den anderen Parteien nicht einverstanden wären. Zudem hatten die Leute besseren Zugang zu den Arbeitsplänen der einzelnen Parteien gehabt als dies in früheren Jahren der Fall war, da die Parteien heuer verschiedene Kommunikationsmittel benutzt haben, um ihre Programme bekannt zu machen. Was das Ökonomische anbelangt, sind die Preise gestiegen. Zum Beispiel habe ich nach diesen neun Monaten den Eindruck, dass die Treibstoffpreise erhöht worden sind, was dazu geführt hat, dass die Fahrten in den städtischen und Überlandbussen teurer geworden sind. Oder die Handys: Bevor ich in die Schweiz ging, besassen nur wenige Leute ein Mobiltelefon, weil es auf dem Land keinen Empfang gab. Als ich zurückgekommen bin, trugen die meisten ein Handy am Gürtel, sogar Kinder laufen mit Handys herum. Denn in der Zwischenzeit wurde eine Mobilfunkantenne in der Nähe unseres Wohnortes aufgestellt, so dass es nun an vielen Orten Empfang gibt. Und schliesslich in sozialer Hinsicht: Mehrere junge Männer und Frauen haben während meiner neunmonatigen Abwesenheit geheiratet, einige haben sogar bereits Kinder. Andere haben einfach geheiratet, um mit ihrem Partner/ihrer Partnerin dem Elternhaus zu entkommen. Und es gibt mehr junge Leute, die keinen Zugang zu einer weiterführenden Schule haben, die nur die Primarschule besuchen konnten. Zudem hat einer meiner jüngeren Brüder Ende September geheiratet, als ich eine Woche vor meiner Rückkehr anrief, war dies die grosse Neuigkeit. Frage: Du bist eine Woche vor dem zweiten Wahlgang zurückgekehrt. Im ersten Interview hast du über das politische System der Schweiz gesprochen, das dich sehr beeindruckt hat. Was denkst du heute und nach den Erfahrungen in der Schweiz über das politische System in Guatemala? Welche Perspektive siehst du mit dem gewählten Präsidenten für die Zukunft des Landes? Augustín: Als Koordinator von FONAPAZ (Nationaler Friedensfonds) von 1990 bis 1995 hat Álvaro Colom auf nationaler Ebene einiges für die guatemaltekische Bevölkerung getan, er unterstützte z.B. BäuerInnen beim Landkauf. Und er versprach, er werde als Präsident die BäuerInnen unterstützen und nationale Projekte aufgleisen. Viele Leute haben ihm deshalb ihre Stimme gegeben. Zudem ist er ein Präsident, der weder zur Rechten noch zur Linken gehört, von dem man aber glaubt, dass er ein guter Präsident sein wird. Andererseits tun viele das Gleiche: Wenn sie einmal an der Macht sind, vergessen sie die Leute. Wir werden die Resultate in den ersten Monaten und Jahren seiner Regierung sehen. Frage: Wie hast du die ersten Tage nach deiner Rückkehr verbracht? War es schwierig, dich wieder einzuleben? Augustín: Den ersten Kulturschock, den ich hatte, war die Hitze im Ixcán, im Norden Guatemalas, wo ich wohne. Denn ich hatte mich unterdessen an das Klima der Schweiz gewöhnt, und als ich in die Hitze zurückkehrte, wurde ich ein wenig krank. Aber nun habe ich mich wieder an das hiesige Klima gewöhnt. Das Andere ist das Essen, mir fehlt das Essen der Schweiz sehr, vor allem meine dortigen Lieblingsgerichte: Pizza, Salat, Käse und anderes. Auch in Sachen Pünktlichkeit hatte ich am Anfang grosse Mühe. Ich verabredete mich mit meinen Freunden zu einer exakten Uhrzeit, um mit ihnen über meine Erlebnisse zu sprechen, und sie kamen eine halbe oder eine ganze Stunde später. So ist halt der guatemaltekische Umgang mit Zeit. Das Transportwesen fand ich besonders gleich nach meiner Rückkehr und der Schweizer Erfahrung, dass es auch anders geht, fürchterlich, denn in den Bussen hier werden die Leute eng aneinander gedrückt, man hat kaum Platz, sich zu bewegen, und die Busfahrer verlangen, dass sich vier Personen auf einen Dreiersitz quetschen. Aber was soll's, so ist das Leben in Guate. Nach oben |
Die ersten Tage nach meiner Ankunft verbrachte ich mit meiner Familie. Eine Woche später kam ein Freund aus der Schweiz und wir besuchten zusammen einige touristische Orte in Guatemala. Danach gingen wir nach Flor del Norte, wo er eine Woche lang blieb, um das Leben auf dem Land kennenzulernen. Bis am Samstag letzter Woche besuchte er allein den Petén und Tikal. Ich kam heute in der Hauptstadt an, um ein Praktikum in meiner Organisation PRODESSA (Proyecto de Desarrollo Santiago) zu absolvieren und mögliche Arbeitsoptionen fürs nächste Jahr kennenzulernen. Ich bleibe bis zum 14. Dezember hier, danach kehre ich nach Hause zurück, um mit meiner Familie Weihnachten zu feiern. Frage: Was geschah mit deiner Arbeitsstelle? Wurde sie dir frei gehalten oder war es, wie du vorausgesehen hast, dass jemand anderes sie nun besetzt? Was wirst du in Bezug auf deine Arbeitssituation nun tun? Augustín: Was die Arbeit in meiner Gemeinde anbelangt, waren die Leute einverstanden, dass ich weiterhin in der Primar- und Sekundarschule arbeitete. Doch aus Gründen, die mit der Umsetzung meines Bildungsprojekts im nächsten Jahr zusammenhängen, wollte ich lieber an einem anderen Ort Arbeit suchen. Im Moment habe ich zwei Optionen, die noch nicht gesichert sind. Die erste ist, dass ich im Institut arbeite, wo ich auch meine Projekte - Workshops zu interkultureller Erziehung - durchführen werde. Das Institut ist eine Autostunde von mir zu Hause entfernt, und der Lohn ist sehr gering. Die andere Option ist, dass ich bei PRODESSA arbeite. PRODESSA ist die Organisation, für die ich als Delegierter in die Schweiz gereist bin. Diese Arbeit ist in der Hauptstadt. Im Moment bin ich an beiden Orten und habe mich noch nicht für einen entschieden. Das dreiwöchige Praktikum bei PRODESSA ist sehr wichtig für mich, damit ich sehe, ob mir die Arbeit hier gefällt und womit sich die MitarbeiterInnen dieser Organisation beschäftigen. Bei der Arbeit von PRODESSA geht es nicht so sehr ums Unterrichten sondern allgemein um Bildungsprojekte. Frage: Wie war das Wiedersehen mit deinen Freunden? Hast du ihnen von deinen Erlebnissen erzählt? Wie haben sie reagiert? Augustín: Meine Freunde und Freundinnen freuten sich sehr, als ich ihnen von meinen in der Schweiz gesammelten Erfahrungen erzählte. Ich zeigte ihnen die Fotos und Videos, die wir von unserer Gruppe gemacht hatten. Sie waren sehr interessiert und wollten viel über die Bildungs-, die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situation in der Schweiz wissen. Einige meiner Freunde und Freundinnen waren aber auch etwas eifersüchtig auf mich, weil ich die Möglichkeit hatte, in die Schweiz zu reisen und sie nicht. Es interessiert sie nicht, was ich dort gemacht habe. Aber ich denke, es ist normal, dass es nicht alle interessiert. Frage: Hat es in der Zwischenzeit schon Momente gegeben, in denen dir etwas aus der Schweiz gefehlt hat? Augustín: Was mir bis jetzt am meisten fehlt, ist die Schokolade, eine Käsesorte, die mir sehr geschmeckt hat, und alle meine Freunde und Freundinnen, die dort geblieben sind. Frage: Welche Pläne hast du für die Zukunft? Augustín: Ich überlege mir, mit meinem Unistudium fortzufahren und die beiden Jahre zu absolvieren, die mir für den Abschluss mit dem Lizentiat in Pädagogik noch fehlen. Dies hängt aber von meinem Arbeitsort und der finanziellen Situation ab. Denn ich muss nicht nur mein eigenes Studium bezahlen, sondern unterstütze auch zwei jüngere Brüder, die studieren. Der eine besucht die Sekundarschule, der andere studiert Unternehmensmanagement an einer Privatschule. Das alles ist teuer. Herzlichen Dank für das Interview und viel Glück! Mit Datum vom 13. Dezember schreibt Augustín: "Ich habe mich entschieden, im Institut als Lehrer zu arbeiten. Ich beginne dort am 4. Januar 2008. Am Samstag fahre ich zu meinen Eltern, um mit ihnen zusammen Weihnachten zu verbringen. Grüsse aus GUATEMALALALALALALA, Augustín" |
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