"Wir sind Amerika"
Fijáte 359 vom 10. Mai 2006, Artikel 2, Seite 3
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"Wir sind Amerika"
Guatemala, 05. Mai. Der 1. Mai war in Guatemala ein "Tag des Kampfes und des Protestes", wie es in den Parolen hiess. Die klassischen 1. Mai-Themen wie Arbeit, Land, Freihandel und Regierungskritik im Allgemeinen, wurden ja bereits vor zehn Tagen mit mässigem Erfolg im Rahmen eines Nationalen Aufstands auf die Strasse getragen. (¡Fijáte! 358) Entsprechend löste der Protest der lateinamerikanischen MigrantInnen in den USA gegen das "Sensenbrenner-Gesetz", wie der restriktive Gesetzesvorschlag gegen "illegale" Migration genannt wird, eine grosse Solidaritätswelle in Guatemala aus und wurde zu einem Kernpunkt der diesjährigen 1. Mai-Aktivitäten. Die Zeitungsberichte über die Proteste in den US-amerikanischen Städten sind beeindruckend. Man spricht von über mehreren Millionen Personen, illegale und legale MigrantInnen aus der ganzen Welt und solidarische US-BürgerInnen, die in zahlreichen Städten der Vereinigten Staaten für die Rechte der lateinamerikanischen MigrantInnen protestierten. Die grösste Demonstration fand in Los Angeles statt, wo auch eine Mehrheit guatemaltekischer MigrantInnen lebt. Hunderttausende von MigrantInnen streikten an diesem Tag, die Ernten auf den kalifornischen Feldern blieb liegen, Hotels und Restaurants blieben unbedient, in den Häfen verfaulten Lebensmittel, die nicht ge- oder entladen wurden, ganze Unternehmen mussten ihre Arbeit einstellen, da ihre Angestellten auf der Strasse waren. Manche US-amerikanische Unternehmer schlossen sich selbst dem Prostest an, gaben ihren ArbeiterInnen frei und unterstützten - aus Solidarität oder Notwendigkeit, denn das Gesetz will auch alle Personen kriminalisieren, die den illegalen MigrantInnen helfen oder ihnen Arbeit geben - die Forderungen ihrer Angestellten. "Ohne uns läuft nichts", "Wir sind Amerika" oder "Heute protestieren wir, morgen wählen wir" waren Parolen mit denen auf die Abhängigkeit der US-amerikanischen Wirtschaft von den lateinamerikanischen ArbeiterInnen hingewiesen wurde. Politische AnalystInnen sprechen von einem historischen Moment. Sie vergleichen die Proteste mit der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen in den sechziger Jahren und sprechen davon, dass die Latino-Comunity bewiesen hat, dass sie ein ernstzunehmender politischer und wirtschaftlicher Faktor im Land ist. In Guatemala rief die Solidaritätsbewegung zum Boykott US-amerikanischer Firmen und Produkte auf. "Sie sind weder Delinquenten noch Terroristen" hiess es auf den Transparenten oder "Am 1. Mai, konsumiere ni M aus den USA" - ni M, "keine Scheisse", wobei das M die Form des McDonald´s-M hatte. Dieser Boykottaufruf löste aber auch heftige Diskussionen in Guatemala aus, seien es doch guatemaltekische Angestellte, die in Guatemala hergestellte Produkte zu Hamburgern zusammenpappen oder in Guatemala bedruckte Coca-Cola-Flaschen abfüllten. Gemäss einer Reportage der Tageszeitung Prensa Libre waren aber am 1. Mai die McDonald´s- und PizzaHut-Fastfoodketten tatsächlich schlechter besucht, im Gegensatz zum guatemaltekischen Pendant Pollo Campero. Kritisiert wurde auch die lasche Haltung von Präsident Oscar Berger in der Migrationsfrage. Er setze sich gegenüber seinem Amtskollegen Bush zuwenig für die Rechte der guatemaltkischen MigrantInnen in den USA ein, die immerhin mit jährlich rund 3 Milliarden US-$ zur nationalen Wirtschaft beitrügen, was mehr ist, als das Land aus den Kaffee-Exporten einnimmt, erklärte José Pinzón von der Guatemaltekischen ArbeiterInnenzentrale CGTG. Nach oben |
Der Senat des US-Bundesstaates Kalifornien gab derweil dem 1. Mai-Boykott mittels eines Kommuniqués Rückendeckung, das vor allem von der demokratischen Mehrheit unterstützt wurde: "Der Boykott kann eine Art Erziehungsmassnahme für die Leute in Kalifornien und den USA hinsichtlich des enormen Beitrags sein, den die ImmigrantInnen tagtäglich für unsere Wirtschaft und Gesellschaft leisten." In Chicago billigten die StadträtInnen unterdessen eine Resolution, mit der das Nationale Sicherheitsdepartement aufgefordert wird, die Razzien auf MigrantInnen zumindest solange einzustellen, wie im Senat über die Migrationspolitik diskutiert würde. Indes geht an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze die Jagd auf Menschen weiter. Die 3.000 km lange Grenze wird immer mehr militarisiert, die rassistischen Anti-MigrantInnen-Parolen haben Aufwind und sind salonfähig, und paramilitärische Gruppierungen in der Tradition des Ku Klux Klan übernehmen immer mehr Funktionen bei der Grenzkontrolle. T-Shirts mit der Aufschrift "Töte heute einen Mexikaner" sind im Umlauf sowie Videospiele, in denen virtuell die MigrantInnenjagd geübt werden kann. Doch auch die US-amerikanische Regierung scheint besorgt über das Erstarken der MigrantInnenbewegung. Im April wurde mit dem Unternehmen KBR, einer Tochterfirma von Halliburton, ein Vertrag über 385 Mio. US-$ abgeschlossen und somit der Auftrag vergeben, im grossen Stil Gefängnisse für MigrantInnen zu bauen, da man einen "zunehmenden MigrantInnen-Strom" befürchtet. |
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