Legal oder illegal: Waffen sind zum Töten da
Fijáte 361 vom 6. Juni 2006, Artikel 1, Seite 1
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Legal oder illegal: Waffen sind zum Töten da
In Antigua Guatemala wurde Anfang Mai eine regionale UNO-Konferenz zum Thema "Fortschritte im Programm zur Bekämpfung des illegalen Kleinwaffenhandels" durchgeführt. Dies als Vorbereitung für die vom 26. Juni bis 7. Juli in New York stattfindende erste Überprüfungskonferenz über das UN-Aktionsprogramm zum illegalen Handel mit Kleinwaffen. Im Fall von Guatemala sehen ExpertInnen einen direkten Zusammenhang zwischen den problemlos legal und illegal zu erstehenden Waffen und der zunehmenden Gewalt und Delinquenz. Im Jahr 2005 verloren 5338 Personen gewaltsam ihr Leben, 80% davon durch Feuerwaffen. Derweil ist im Kongress ein Gesetzesentwurf für eine Verschärfung des Waffen- und Munitionsgesetz nach erbitterten Diskussionen im letzten Sommer in einer der unteren Schubladen verschwunden. LegalGuatemala ist das einzige zentralamerikanische Land, das seinen BürgerInnen per Verfassung das Recht zugesteht, eine Waffe zu tragen. Eine Lizenz dafür zu bekommen sei bezüglich des finanziellen und administrativen Aufwands einfacher als das Prozedere, um zu einem Führerschein zu kommen, gibt selbst Innenminister Carlos Vielmann zu. Wer mindestens 25 Jahre alt ist, 230 Quetzales (ca. 30 US-$) auf den Tisch legen kann und zwei Stunden Zeit hat, bekommt seinen oder ihren Waffenschein und ist zum Besitz von drei Waffen berechtigt (dies gilt für Privatpersonen, im Falle von privaten Sicherheitsfirmen gibt es keine diesbezüglichen Waffenlimite). Gemäss Daten des Departements zur Kontrolle von Waffen und Munition (DECAM), das dem Militär unterstellt ist, gibt es etwa 600'000 ausgestellte Waffenlizenzen, rund die Hälfte davon wurde im Jahr 2005 beantragt. Während dem Krieg waren es die Supermächte USA und die damalige Sowjetunion sowie Argentinien, Kuba und Israel, die hauptsächlich die beiden Kriegsparteien belieferten. Wer wen versorgte war dabei nicht so wichtig, so erhielt zum Beispiel die Guerilla M-16 Gewehre von Kuba, welche aus Vietnam stammten, wo sie den US-amerikanischen Soldaten abgenommen worden waren. Hauptlieferanten für Waffen nach Guatemala sind heute die Tschechische Republik sowie nach wie vor die USA und Israel. Guatemala ist auch das einzige Land Zentralamerikas, das eine eigene Waffenindustrie hat. Als die damalige US-Regierung unter Präsident Jimmy Carter wegen Menschenrechtsverletzungen die Waffenlieferungen an die guatemaltekische Armee einstellte, sprang Israel ein und unterstützte u.a. auch den Aufbau der Munitionsfabrik des armee-eigenen Unternehmens Industrias Militares de Guatemala (IMG), wo unter Lizenz auch israelische Galil-Sturmgewehre zusammengesetzt wurden. Heute geht man davon aus, dass IMG nur noch Munition für die guatemaltekische Armee und andere Regierungsinstitutionen produziert. In Guatemala gibt es 78 autorisierte Waffenhändler, 13 Schiessplätze und 14 Firmen, die Waffen reparieren und umbauen. Im Jahr 2000 registrierten die guatemaltekischen Steuerbehörden die Einfuhr von ca. 31'000 Faustfeuerwaffen, wobei das beliebteste Modell die Browning 9mm war. Gemäss dem Präsidenten der Nationalen Vereinigung der Feuerwaffen- und Munitionsimporteure waren in den letzten Jahren diese Modelle fast immer ausverkauft. Während seine traditionellen Kunden früher Jäger gewesen waren, seien es heute vor allem Familienväter und -mütter, die sich zum Selbstschutz bewaffnen wollen. Diese Aussage stimmt mit den Zahlen der US-amerikanischen Ausfuhrbehörden überein, gemäss denen zwischen 1994 und 1999 mehr als 20'000 Sport- und Jagdgewehre nach Guatemala verkauft wurden. Niemand glaubt, dass es in dem Land derart viele Jäger- und SportlerInnen gibt, sondern man geht davon aus, dass es in erster Linie private Sicherheitsunternehmen sind, die solche Waffen kaufen oder eben Einzelpersonen, die sich zur Selbstverteidigung bewaffnen. Gemäss Angaben der Tagszeitung Prensa Libre werden täglich legal Waffen im Wert von 14'500 US-$ gehandelt. Doch auch die "Nebenkosten" dieses Geschäfts sind horrend: Im Krankenhaus San Juan de Díos in der Hauptstadt wurde im Jahr 2005 eine 33%-ige Zunahme von Schussverletzungen verzeichnet. Schussverletzungen müssten als Notfälle behandelt werden, was dazu führe, dass "normale" Operationen oft zweitrangig behandelt würden, erklärte ein Arzt des San Juan de Díos. Die Kosten, die dem Spital für die Behandlung von Gewalt-Opfern anfallen, entsprechen etwa den Kosten von 2'000 Geburten. IllegalNebst rund 250'000 legal zirkulierenden Waffen geht man von einer Dunkelziffer von 1,5 Mio. illegaler Waffen aus, die auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden. Zum einen wird der Schwarzhandel erleichtert durch die durchlässigen Grenzen, die ebenfalls illegalen Landepisten, die vor allem für den Drogenschmuggel gebraucht werden und schliesslich die wegen zu niedriger Löhne hohe Korruptionsanfälligkeit staatlicher Angestellten. Zum andern "verschwinden" im grossen Stil legal erworbene Waffen, die dann irgendwo auf dem Schwarzmarkt wieder auftauchen. So wurden beispielsweise im Jahr 1999 139 Beretta 9mm-Pistolen aus den Beständen der Zivilen Nationalpolizei (PNC) gestohlen. Auf dem Schwarzmarkt kostet eine solche Waffe rund 600 US-$, während ein Gewehr AK-47, bevorzugt bei bewaffneten Banküberfällen, für rund 130 US-$ zu haben ist. Was den Handel mit illegaler Munition betrifft, wird auch die IMG als mögliche Quelle von Schwarzmarktmunition genannt. Bei elf Bank- oder Geldtransportüberfällen wurden insgesamt Hunderte von Patronen mit der Aufschrift IMG gefunden. Während im Jahr 2000 zwei Armeeoffiziere wegen Munitionsdiebstahls aus dem militärischen Waffenlager verurteilt wurden, behauptet ein Militärsprecher, die bei Überfällen des organisierten Verbrechens verwendete IMG-Munition stamme aus "verlorenen" Beständen aus der Kriegszeit und nicht aus neuerer Produktion. Nach oben |
Das Friedensabkommen über die "Stärkung der Zivilgesellschaft und die Rolle der Armee in einer demokratischen Gesellschaft" empfiehlt, die Kontrolle über den Besitz von Waffen und Munition vom Verteidigungsministerium (heute: DECAM) ins Innenministerium (geplant: DIGECAM) zu verlagern. Dieser Vorschlag war Teil eines Volksreferendums im Jahr 1999, bei dem die Bevölkerung über ein Paket von 50 Vorlagen abstimmen musste, mit denen notwendige gesetzliche Änderungen zur Umsetzung der Friedensabkommen eingeleitet worden wären. Doch das Referendum wurde abgelehnt, was seither auch die Verabschiedung eines schärferen Waffengesetzes erschwerte. Wobei man aber auch bedenken muss, dass dem Innenministerium Abteilungen angehören wie die Migrationsbehörde, das Verkehrsdepartement und die Polizei, die alle für ihre korrupten Machenschaften bekannt sind. Entsprechend stellt sich ein Kolumnist von der Tageszeitung elPeriódico am 27. Mai zu Recht die Frage, was tatsächlich gewonnnen wäre, wenn die Kontrolle über Waffen vom Verteidigungs- ins Innenministerium wechseln würde. Im letzten Sommer hätte der guatemaltekische Kongress ein neues Waffen- und Munitionsgesetz verabschieden sollen. Nach langen und kontroversen Diskussionen verschwand der Vorschlag bis auf weiteres wieder in der Versenkung. Was vielleicht auch besser ist, wäre doch mit dem neuen Gesetz der Zugang zu Waffen und Munition noch einfacher geworden! Begründung: Wer zu delinquenten Zwecken in den Besitz einer Waffe kommen wolle, könne das sowieso, und man würde ihnen den Job noch erleichtern, wenn ihre Opfer unbewaffnet seien. Mit einer Verschärfung des Waffengesetzes würden die ehrlichen Bürgerinnen und Bürger bestraft, die sich zum Selbstschutz bewaffnen wollen. Soweit die parlamentarische Logik in einem Land, wo die staatlichen Sicherheitskräfte nicht in der Lage sind, der Bevölkerung ein Minimum an Sicherheit zu garantieren und im Gegenteil in vielen Fällen selber in Überfälle und Morde verwickelt sind. Der Bericht "Kleinwaffen in Zentralamerika" (2002) von William Godnick kommt zu folgenden Schlüssen: - Der zunehmende (illegale) Waffenhandel in Zentralamerika ist eine Antwort auf die staatlicherseits nicht kontrollierbare Gewalt und gleichzeitig Teil dieses Teufelskreises. Abertausende von neuen Waffen kommen jährlich auf den Markt, andere kommen immer wieder auf den Occasionsmarkt. Im Rahmen des von den USA angeführten Krieges gegen den Terrorismus und gegen den Drogenhandel werden in nächster Zeit auch die regionalen Armeen und Polizeien zusätzlich aufgerüstet. - Kriminelle Jugendbanden sind zweifellos in den Waffenhandel und -gebrauch verwickelt. Aber auch die den Privatpersonen gestohlenen Waffen und die Inventare staatlicher Institutionen nähren den Schwarzmarkt. Ohne bessere Kontrolle der legal kursierenden Waffen und einer Sensibilisierung der Gesellschaft und vor allem der Menschen, die im Besitz einer Waffe sind, wird es unmöglich sein, zwischen legalen und illegalen Waffen zu unterscheiden. - Die Anzahl durch Feuerwaffen begangener Morde ist in Zentralamerika sehr hoch. Nicht zu sprechen von den Raubüberfällen, Einschüchterungen und Vergewaltigungen, die unter Zuhilfnahme von Waffen ausgeübt werden. Um das tatsächliche Ausmass dieser Verbrechen zu erfassen, müssen neben den Toten auch die Daten über Verletzungen durch Schutzwaffen der Krankenhäuser, des Roten Kreuzes und der Feuerwehr einbezogen werden. - Der illegale Waffenhandel und -besitz respektiert keine nationalen Grenzen. Deshalb müssen auch die Lösungen für dieses Problem grenzüberschreitend sein, müssen regional bzw. international sein. |
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