Strom - um jeden Preis?
Fijáte 362 vom 21. Juni 2006, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 362 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte
Strom - um jeden Preis?
In Playa Grande, Ixcán, nahmen Ende April rund 600 Personen am II. Nationalen Treffen der von Stauseebauten Betroffenen und Bedrohten teil. Eingeladen hatte die Guatemaltekische Front gegen Stauseen, die sich aufgrund verschiedener, seit 2002 in der Region stattfindender Foren und Treffen gegründet hatte. In Guatemala gibt es 17 Stauseen die der Energiegewinnung durch Wasserkraft dienen, der bekannteste und umstrittenste ist zweifellos der Stausee Chixoy. Aktuell ist im Rahmen überregionaler Projekte der Bau weiterer Stauseen geplant, u.a. in den Departements der Verapaces, Petén, Quiché, Zacapa, Chiquimula, Izabal, Retalhuleu, Huehuetenango, Quetzaltenango und San Marcos. Im folgenden Artikel soll es nicht in erster Linie über die Vor- oder Nachteile von Wasserkraft gegenüber anderen Formen der Energiegewinnung gehen, sondern es soll am konkreten Beispiel des geplanten Stausees Xalalá aufgezeigt werden, wie und in welchem Kontext in Guatemala die Entscheide über solche Projekte getroffen werden. Mesoamerikanischer KontextDer Plan Puebla Panamá (PPP) umfasst eine Anzahl regionaler Initiativen, die den Ausbau der Infrastruktur (Strassen, Elektrizität, Tourismus und Kommunikation) und die Ausbeutung der Biodiversität zum Ziel hat. Damit wird Zentralamerika definitiv zum Hinterhof der USA: Warenproduktion und -handel, die Ausnutzung billiger Arbeitskräfte und die Kontrolle der natürlichen Ressourcen stürzen die Region in eine völlige Abhängigkeit von den nördlichen NachbarInnen. Im Rahmen des PPP sind drei Elektrizitäts-Grossprojekte geplant: Ein Stromnetz innerhalb Zentralamerikas (SIEPAC), das 1´830 km zwischen Panama und Guatemala umfasst und rund 337 Mio. US-$ kostet; die Stromverbindung Guatemala - Mexiko (44.5 Mio. US-$) und die Verbindung Guatemala - Belize (23.8 Mio. US-$). Das mexikanische Stromnetz wiederum ist mit demjenigen der USA verbunden, womit ein gigantisches Stromnetz Nord- und Mittelamerika miteinander verbindet. Geopolitisch macht das aus zwei Gründen "Sinn": Es nährt die durch die anderen Projekte im Rahmen des PPP geschaffenen Strombedürfnisse (Maquilas (= Massenproduktionsfabriken), Tourismus, etc.) und es garantiert die Stromversorgung der Vereinigten Staaten. Eine Studie der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) aus dem Jahre 1998 rechnete aus, dass es in den nächsten zehn Jahren eine Investition von rund 7 Milliarden US-$ in den zentralamerikanischen Elektrizitätssektor braucht, damit ein Energie-Produktionswachstum von jährlich 6% erreicht werden kann. Für solche Investitionen kommen in erster Linie transnationale Unternehmen wie die Union Fenosa und Endesa (Spanien), die Electricidad de Portugal, Hydro-Quebec International, Duke Energy International und Enrón (USA), etc. in Frage, aber auch die BID selber. Nebst der Stromgewinnung geht es bei diesen Projekten auch um die Kontrolle über das Süss- sprich Trinkwasser. Bereits heute haben weltweit 1.3 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, für das Jahr 2025 wird die Nachfrage nach sauberem Wasser 56% höher sein als das Angebot. Im Jahr 2002 veröffentlichte die Weltbank ein Strategiepapier darüber, wie der Wassersektor für die Privatwirtschaft attraktiv gemacht werden kann, sowohl was die Bereiche Trinkwasser wie auch die Wasserkraft betrifft. So dienen die Stauseen nicht nur der Energiegewinnung sondern bilden auch grosse Reservoirs an Süsswasser und können ergo auf dem privatisierten Wassermarkt doppelt ausgebeutet werden. Guatemaltekischer KontextDer Xalalá-Stausee im guatemaltekischen Ixcán ist das grösste von drei Projekten, um die Wasser des Chixoy-Flusses zu nutzen. Bereits in Funktion ist das Wasserkraftwerk von Chixoy, Baja Verapaz, in den 80er-Jahren unter aufstandsbekämpferischen Bedingungen gebaut, die damaligen Menschenrechtsverletzungen sind bis heute nicht endgültig gesühnt. Weiter geplant ist eines in Serchil und eben dasjenige von Xalalá. Das Projekt Xalalá liegt an der Mündung des Copónflusses in den Chixoy (auch unter dem Namen Río Negro bekannt, der später zum guatemaltekisch-mexikanischen Grenzfluss Usumacinta wird). Nach oben |
Historischer KontextZur Hochblüte des Maya-Reichs war die Region bereits bevölkert, einerseits wegen des hervorragenden tropischen Klimas, anderseits, weil die Flüsse als Transportwege genutzt werden konnten. Den Spaniern gelang es nie, die Maya dieser Region militärisch zu bezwingen. Sie leisteten Widerstand und hatten den Vorteil, die tropische und bewaldete Zone bestens zu kennen. Erst mittels Religion und Indoktrinierung gelang es den Spaniern, sich die Vorfahren der heute in der Region lebenden Q'eqchi'- Indígenas zu unterwerfen. So waren es zuerst die Kolonisten und Ende des 19. Jahrhunderts die eingewanderten deutschen Kaffeefinqueros, die die billige Arbeitskraft der Q'eqchi's ausbeuteten. Das von den liberalen Regierungen eingeführte Gesetz über brachliegendes Land hatte zur Folge, dass viele Grossgrundbesitzer sich Ländereien, die gemäss Gewohnheitsrecht der indigenen Bevölkerung gehörten, aneigneten und die Q'eqchi's zu ihren landlosen Leibeigenen machten. Vorgeschichte des Projekts XalaláSeit den 70er Jahren wurden verschiedene hydroelektrische Studien im ganzen Land gemacht. Zu den wichtigsten gehörten das Projekt Chixoy (das auch umgesetzt wurde) und dasjenige von Xalalá. Auch in Xalalá wurde 1980 mit dem Bau des Staudamms begonnen, doch die Verschärfung des bewaffneten Konflikts zwang das ausführende Bauunternehmen, sich aus der Gegend zurückzuziehen. So jedenfalls die Aussagen der Bevölkerung. Es gibt aber auch die Version ehemaliger Bauarbeiter, wonach sich das Unternehmen zurückzog wegen der Porosität der Erde. Verschiedene Tunnels, die gebaut wurden, stürzten wieder ein, wobei zahlreiche Bauarbeiter umkamen. Die Bevölkerung von Xalalá war stark vom bewaffneten Konflikt betroffen. Die Männer wurden gezwungen, sich den Zivilpatrouillen anzuschliessen, viele Menschen flüchteten entweder über die Grenze nach Mexiko oder in die Widerstandsdörfer in die guatemaltekischen Berge. Nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen Ende 1996 begann die Rückkehr der Flüchtlinge in die Region und damit der schwierige und langwierige Prozess der Versöhnung. 1994 begannen erste Verhandlungen mit der Gemeindeverwaltung von Chinique, Quiché, über den Kauf der Finca Patio Bolas Copón als Lebensgrundlage für die RückkehrerInnen. 1997 erhielt jede Familie eine Parzelle und einen Fleck Land, um ein Haus zu bauen, doch bis heute gibt es weder einen Kaufvertrag noch haben die RückkehrerInnen Besitzurkunden für das Land. Im Jahr 2005 wurden mit Unterstützung der Sozialpastorale des Ixcán die Kaufverhandlungen wieder aufgenommen. Im Rahmen des Plan Puebla Panamá erwachte das Interesse der guatemaltekischen Regierung und der Investoren rund um das Stauseeprojekt von Xalalá erneut. Die MachbarkeitsstudieGemäss dem "Katalog der mittleren und grossen Wasserkraftwerke", ein Dokument des Nationalen Elektrizitätsinstitutes INDE, dessen Kapital jedoch mehrheitlich in Privathänden ist, gehört Xalalá zu den grössten und besten Projekten in Guatemala. Laut Studien sind zwei Varianten denkbar: Die Originalversion geht von einer 290 Meter hohen Staumauer und einer Produktion von 396 Megawatt aus, die zweite Version sieht eine 262 Meter hohe Mauer und die Produktion von 225 MW vor. Der Stausee soll ein Einzugsgebiet von 8´200 km² haben, wovon der grösste Teil heute Urwaldgebiet ist. Betroffen von dem Projekt wären etwa 18'000 Personen, die im wahrsten Sinne des Wortes "überflutet" würden. Bisher hat die Regierung noch keine Vorschläge gemacht, was mit diesen Menschen und ihrem Hab und Gut geschehen soll bzw. wohin sie umgesiedelt werden könnten. Das zu überflutende Gebiet liegt 75 km vom Gemeindehauptort entfernt und ist nur über eine 40 km lange Staubstrasse und eine 35 km lange Bootsfahrt zu erreichen. Die dort lebenden Menschen haben in ihren Häusern kein fliessend Wasser und verfügen über keine Telefon- und öffentliche Stromversorgung. Auch wenn das Projekt technisch realisierbar wäre und die Leute "würdig" umgesiedelt würden, darf nicht vergessen werden, das bereits in den ersten Studien, die vor 35 Jahren gemacht wurden, die Porosität des Bodens ein Thema war. Auch was die Erdbebenanfälligkeit betrifft, ist die Region nicht über jeden Zweifel erhaben, was Gutachter der deutschen GTZ dazu veranlasst hat, dringend ergänzende Studien durchzuführen, in denen auch diese Themen nochmals geprüft werden. Weder die Gemeindeverwaltung des Ixcán noch die betroffenen Dörfer wurden bisher über die genauen Pläne informiert, entsprechend gross ist der Raum für Spekulationen und Gerüchte. Klar ist jedoch, dass die Regierung und das INDE die Gemeindeautonomie verletzt haben und ein Monsterprojekt beginnen wollen, ohne die sozialen und materiellen Konsequenzen zu bedenken. Der ProtestSo war denn auch eine der Hauptforderungen der TeilnehmerInnen des II. Nationale Treffens der von Stauseebauten Betroffenen und Bedrohten der Einbezug der lokalen Bevölkerung bei der Planung solcher Projekte. "Die betroffene Bevölkerung ist nicht grundsätzlich gegen den Bau von Wasserkraftwerken und den dazugehörenden Stauseen", erklärte Teilnehmer Marcos Ramírez, URNG-Bürgermeister von Playa Grande Ixcán, "sie fordert jedoch, dass solche Projekte von der guatemaltekischen Regierung und den Gemeinden ausgeführt und verwaltet werden und nicht von transnationalen Unternehmen, denen es nur darum geht, die Naturressourcen auszubeuten." Genaro Fabián von der Sozialpastorale des Ixcán erinnert an die Erfahrung beim Bau des Stausees von Chixoy, wo im Rahmen der Umsiedelung 444 Personen umgebracht wurden, ohne dass bis heute eine Entschädigung an die betroffenen Gemeinden und Familienangehörigen ausbezahlt worden ist. "Wir haben in unseren Gemeinden schon verschiedene Versöhnungsprozesse begleitet, dieses Projekt könnte zu erneuten Konflikten führen, die wir vermeiden möchten", erklärte Fabían gegenüber Inforpress Centroamericano. Die RealitätAm 6. Mai 2006 verkündete Präsident Oscar Berger, dass in den nächsten Wochen die Ausschreibungen für den Bau des Wasserkraftwerks Xalalá publiziert würden. Am 14. Juni eröffneten Oscar Berger und der mexikanische (Noch-)Präsident Vicente Fox in Tapachula, Mexiko, die erste Bauetappe der im Rahmen des Plan Puebla Panamá vorgesehenen Stromverbindung zwischen den beiden Ländern. Die Kosten dieser 103 km langen Stromleitung sind bekannt: 55 Mio. US-$, wovon Guatemala mit Hilfe eines Kredits der Interamerikanischen Entwicklungsbank und mit Unterstützung des INDE 43.3 Mio. US-$ übernimmt. Zurückhaltender sind die Berechnungen über den Nutzen: Der guatemaltekische Energieminister erklärte, das Projekt habe eine "wichtige Kostenreduktion für die KonsumentInnen" zur Folge, auf die Nennung konkreter Zahlen verzichtete er jedoch. Heute kostet eine Kilowattstunde rund 0.10 US-$, nach der Fertigstellung der Leitung sei es "weniger", meinte der Minister. |
Original-PDF 362 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte