Krieg im Ixcán
Fijáte 367 vom 30. August 2006, Artikel 7, Seite 6
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Krieg im Ixcán
Guatemala, 24. Aug. Ganz den undifferenzierten Jargon des guatemaltekischen Präsidenten Oscar Berger übernehmend, der in einer Rede zum Thema Sicherheit vor dem Kongress dazu aufrief, sich zur "Front des Guten zusammenzuschliessen um die Kräfte des Bösen zu zerschlagen", erlauben wir uns, den militärisch-polizeilichen Übergriff, der am 21. August in der Gemeinde Ixtahuacán Chiquito im Quiché stattfand, als "Kriegshandlung" zu bezeichnen. Am 21. August um 11 Uhr landeten sieben Militärhelikopter im Zentrum des Dorfes Ixtahuacán Chiquito und luden 200 schwerbewaffnete Soldaten und Mitglieder von Spezialeinheiten der Polizei mit geschwärzten Gesichtern aus, die sofort den Fussballplatz besetzten, die Schule umringten und den Schüler-Innen das Verlassen der Klassenzimmer verboten. Gewalttätig verschafften sie sich Zugang zu den Wohnhäusern, bedrohten mit ihren Waffen die anwesenden Frauen und bemächtigten sich der Werkzeuge, die sie in den Häusern vorfanden. Unmittelbar darauf begannen sie, eine für die Dorfbevölkerung heilige Stätte umzugraben, angeblich auf der Suche nach dort vergrabenen Waffen. Bis um 15 Uhr überflogen Militärflugzeuge und -Helikopter die umliegenden, mexiko-grenznahen Dörfer Fronterizo 10 de Mayo, Los Angeles und Cuarto Pueblo. Die BewohnerInnen dieser Dörfer sind Opfer der Politik der verbrannten Erde, überlebten Massaker und wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Viele flüchteten in die guatemaltekischen Berge oder nach Mexiko und kehrten erst nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen wieder nach Guatemala zurück. Geprägt von diesen Erlebnissen, war der jüngste Militärüberfall eine Wiederholung dessen, was sie schon einmal erlebt haben - entsprechend viele reagierten auch auf die gleiche Weise wie damals, liessen ihr Hab und Gut sowie ihre Tiere zurück und flüchteten aus den Dörfern. Einige überquerten erneut die Grenze nach Mexiko. Eine ähnliche Militäroperation fand bereits am vergangenen 10. August auf der in der selben Gemeinde liegenden Finca Chailá statt. Auch dort landeten unangemeldet Helikopter, Soldaten und vermummte Personen und drangen in die Häuser der FincaarbeiterInnen ein - dort unter dem Vorwand, den international gesuchten Drogenboss Otto Herrera verhaften zu wollen. Im Fall von Ixtahuacán suchten sie Waffen - gemäss Informationen des militärischen Geheimdienstes G2 ging es um drei Tonnen Maschinen- und andere Gewehre inkl. Munition sowie um Boden-Luft-Raketen - die von der Guerilla bei der Demobilisierung nicht abgegeben worden seien und nun in die Hände des organisierten Verbrechens gelangten. Beide Operationen scheiterten, weder der Narco-Boss, noch irgendwelche Waffen wurden gefunden. Die BewohnerInnen der betroffenen Dörfer sind skeptisch gegenüber der offiziellen Erklärung. Marcos Ramírez, URNG-Bürgermeister von Ixcán, erinnerte daran, dass seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen zehn Jahre vergangen sind. "Weshalb kommen sie erst jetzt, diese vermeintlichen Waffen zu suchen?" Sandino Asturias, Mitglied des Projekts zur Stärkung der sozialen Organisationen in Sicherheitsthemen (FOSS), bezeichnete das Vorgehen des Militärs als illegal. Um in die Häuser einzudringen, hätten sie einen richterlichen Durchsuchungsbefehl vorweisen müssen. Und auch wenn es vergrabene Waffen gehabt hätte, würde dies ein solches Vorgehen nicht rechtfertigen, so Asturias. Nach oben |
Der Chef der Staatsanwaltschaft, Luís Florido, erklärte, man habe auf einen Anruf an die Notfallnummer 110 der Polizei hin gehandelt. Ein Mitarbeiter einer vor Ort arbeitenden Nichtregierungsorganisation habe angerufen und die Informationen über das 3-tönnige Waffenlager geliefert. Verteidigungsminister Francisco Bermúdez begründete den Militärüberfall mit Informationen des militärischen Geheimdienstes über den Drogenring rund um Otto Herrera, der sein Aktionsfeld vom Petén in den Norden des Quichés verlegt haben soll. Die Militäraktion im Ixcán fand interessanterweise wenige Tage nach einer Reklamation des US-amerikanischen Botschafters in Guatemala statt, der von den Vereinigten Staaten unterstützte Antidrogenkampf habe nicht die gewünschten Resultate erzielt. Von Bermúdez stammt auch der schöne Satz, bezogen auf den Bürgermeister von Ixcán, Marcos Ramírez: "Der kommt aus einem anderen Dorf und gehört, nebenbei gesagt, zur URNG." Der für die Aktion im Ixcán verantwortliche Innenminister Carlos Vielmann seinerseits berief sich ebenfalls auf Informationen des militärischen Geheimdienstes, er stützte sich jedoch auf die These des Waffenlagers und stritt ab, dass die ganze Sache im Zusammenhang mit Drogenfahndung stand. Dass die Operation nicht den gewünschten Erfolgt gehabt hat, findet er nicht weiter schlimm, das könne in solchen Fällen vorkommen, meinte er. Er verneinte auch, dass es irgendwelche Übergriffe oder Zusammenstösse mit der Bevölkerung gegeben hat. Und um einen Erdhügel umzugraben, brauche es auch keinen Durchsuchungsbefehl, versicherte Vielmann. Die URNG kritisierte in einer Presseerklärung das Vorgehen des Militärs und bezeichnete es als "im Stile der damaligen Aufstandsbekämpfungsmassnahmen": Ohne präsizen Grund, ohne konkretes Ziel, mit der einzigen Absicht, die Bevölkerung einzuschüchtern und Panik auszulösen. Weiter wehrte sich die URNG gegen die Anschuldigung, es ginge um Waffen der ehemaligen Guerilla. Diese habe ihr gesamtes Arsenal damals den Vereinten Nationen abgegeben, worüber es entsprechende Dokumentationen gäbe. Ana María Monroy, eine Freiwillige Mitarbeiterin der Sozialpastorale des Ixcán und Mitglied einer Umweltorganisation hat ebenfalls eine Erklärung für das Vorgefallene: Man sei dem alten Schema des Antikommunismus gefolgt, diesmal getarnt unter einer Drogenfahndungsaktion. Es gebe aber Vermutungen, dass das Militär ihre "Ausgrabungen" im Auftrag von Ölfirmen gemacht hätten, die Bodenproben aus der Gegend wollten, wisse man doch, dass der Boden im Ixcán potentiell Öl birgt. Was hier ein bisschen nach Verschwörungstheorie klingt, wird vom Präsidenten der kongresseigenen Kommission für Frieden und Entminung, Víctor Manuel Sales Ortiz, folgendermassen umschrieben: "Man muss bedenken, dass der Ixcán und der Norden Huehuetenangos Regionen sind, wo nationale und internationale Unternehmen ihre Megaprojekte wie z.B. die Verbindungsstrasse Franja Transversal del Norte geplant haben (für deren Bau im Moment die Konzessionen verhandelt werden), aber es gibt auch Pläne für Ölbohrungen und die Anpflanzung von Zuckerrohr zur Etanolgewinnung". In diesem "Krieg des Guten gegen das Böse" sind offenbar alle Mittel erlaubt. Früher hat man die Dörfer auf der Suche nach der Guerilla überfallen, heute überfallt man sie auf der Suche nach Drogenhändlern oder altem Waffenschrott. Das gemeinsame an diesen Aktionen ist, dass sie straflos bleiben, denn im "Krieg" ist man ja bekanntlich niemandem Rechenschaft schuldig über sein Tun |
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