Für das Leben, die Erde und die Würde
Fijáte 384 vom 02. Mai 2007, Artikel 2, Seite 3
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Für das Leben, die Erde und die Würde
Ein gekürzter Bericht von Martha Kuderer. Am 20. April erhob die Bevölkerung des Ixcán ihre Stimme, um ihre Meinung zum Bau von Staudämmen und Projekten zur Erdölgewinnung in einer kommunalen Volksbefragung kund zu tun. Von den insgesamt 75´000 EinwohnerInnen gaben 18´000 Personen ihre Stimme ab, von denen sich ca. 93% klar gegen diese Projekte entschieden. In den 60er Jahren wurde der bis dahin unbewohnte und nur schwer zugängliche Ixcán, Departement Quiché, von Menschen aus verschiedenen Teilen Guatemalas besiedelt, die auf diese Weise an ein Stück eigenes Land kamen, denn schon damals war die Landverteilung eines der Hauptprobleme Guatemalas. Mit der Unterstützung von FreiheitstheologInnen organisierten sich viele Dörfer in Kooperativen, die so eine vom Staat relativ unabhängige und politisch wie ökonomisch selbst bestimmte Verwaltung aufbauen konnten. Anfang der 70er begann sich hier die Guerillabewegung EGP (Ejército Guerillero de los Pobres) zu organisieren. Doch das Militär reagierte mit nur noch stärkerer Repression, vor allem gegen die zivile Bevölkerung. Während der "Politik der verbrannten Erde" Anfang der 80er wurden unter den Militärdiktaturen von Lucas García und Ríos Montt allein in dieser Gegend über 120 Dörfer verbrannt und die Bevölkerung niedergemetzelt. Aber auch nach der Unterzeichnung der Friedensverträge1996 und dem Ende der öffentlichen staatlichen Repression, kehrt in den von Gewalt gezeichneten Ixcán keine Ruhe. Schon seit der Besiedelung der Region ist seitens der Oligarchie immer wieder die Rede von Projekten zum Rohstoffabbau und Wasserkraftwerken, die aber über Jahrzehnte hinweg durch die Guerilla und die organisierten Kooperativen grossteils erfolgreich abgewehrt werden konnten. Während der Regierung des Präsidenten Arzú (1996-2000) wurde jedoch ein neues Gesetz erlassen, das die Steuern, welche ein Unternehmen für den Rohstoffabbau zahlen muss, von 6% auf 1% der Gewinne senkte und somit das Interesse multinationaler Firmen schürte. Durch den Infrastrukturplan Plan Puebla Panama (PPP) und diverse Freihandelsabkommen finden die verschiedenen überregionalen Grossprojekte politische Unterstützung. In Xalalá, am Fluss Chixoy im Ixcán, soll nun von einer Privatfirma ein Wasserkraftwerk errichtet werden, das in seinem Ausmass mindestens 18 Dörfer auf unterschiedliche Weise direkt gefährden wird. Bis jetzt ist kein staatlicher Plan darüber bekannt, wie die lokale Bevölkerung unterstützt oder entschädigt werden soll. Der Regierungsabgeordnete Maynor López äusserte sich bereits vor eineinhalb Jahren zu diesem Thema: "Die Gegend, wo der Staudamm gebaut werden wird, ist ein unberührtes Urwaldgebiet, das einzig von wilden Tieren bewohnt wird … wir hoffen, dass bei Beginn der Ingenieursarbeiten nicht irgendeine Nichtregierungsorganisation auftaucht, die die Tiere schützen will." Nach oben |
Die Argumente, mit einem Wasserkraftwerk billiger, sauberer und Erdöl sparender Energie erzeugen zu können, klingen überzeugend; jedoch ist davon auszugehen, dass diese Energie zwar aus den Ressourcen der Region gewonnen, nicht aber der lokalen Bevölkerung zu Gute kommen wird (von denen die meisten noch ohne Strom leben), sondern an andere Länder verkauft wird. Neben dem Wasserkraftwerk in Xalalá und weiteren kleinen Kraftwerken dieser Art sind auch bereits Projekte zur Erdölgewinnung geplant. Deren BefürworterInnen werben mit Strassenbau, Arbeitsplätzen, Energie, Rohstoffgewinnung und "Entwicklung". Diesen für bestenfalls eine begrenzte Zeit geltenden Vorteilen stehen jedoch viele Nachteile gegenüber. Erdölabbau kann sich gravierend auf die Gesundheit der Menschen und die Natur auswirken. Zudem können derartige Grossprojekte zu inneren, oft politischen Konflikten, Vertreibung der ansässigen Bevölkerung und zur Verschwendung von weiteren Rohstoffen (Wasser, Holz, Schutt) führen. Entgegen der von Guatemala unterzeichneten Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO wurde die Bevölkerung über diese Vorhaben vom Unternehmen oder Staat weder aufgeklärt noch konsultiert. Nach ausgiebiger Vorarbeit, die bereits im Oktober 2004 begann, beschloss der Gemeinderat im Februar 2007 schliesslich eine kommunale Volksbefragung. Rechtlich stützt sich diese zusätzlich zum ILO-Abkommen auch auf zahlreiche guatemaltekische Gesetze. Am 20. April wurde die von den OrganisatorInnen als "historisches Ereignis" bezeichnete Abstimmung durchgeführt. In 122 der insgesamt 176 Dörfer des Ixcán versammelten sich Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder, die ebenfalls aufgerufen waren, um durch Handheben oder Zettelurne abzustimmen. Mit der Präsenz von mehr als 200 (inter)nationalen BeobachterInnen war für mehr Legitimität, Transparenz und einen demokratischen Ablauf gesorgt. Den ganzen Tag über konnten die Ereignisse über kommunale Radiosender verfolgt werden. Das Interesse der HörerInnen beschränkte sich nicht auf den Ixcán, betrifft die Problematik schliesslich, in unterschiedlichem Masse, das ganze Land. Von den guatemaltekischen Zeitungen jedoch gab es kaum Berichterstattung. In der "Prensa Libre" (neben dem Boulevardblatt "Nuestro Diario" die einzige "Quali-täts"zeitung, die auch ausserhalb der Grossstädte zu erstehen ist, aber längst nicht das ganze Land erreicht) erschien erst vier Tage später ein fast unscheinbarer Artikel ohne jegliche Hintergrundinformation. Früh am nächsten Tag brachten die kommunalen Autoritäten die Resultate ihrer Dörfer nach Playa Grande, dem Gemeindezentrum vom Ixcán; bereits am späten Vormittag wurden die ersten Ergebnisse vor vielen Interessierten bekannt gegeben. Eine Jugendtheatergruppe präsentierte ihr extra für diesen Anlass vorbereitetes Stück "Das verräterische Unternehmen" und die Freude über das Ergebnis der Abstimmung war allen Gesichtern abzulesen. Nun soll es dem Kongress, der Regierung, dem Menschenrechtsprokurat (PDH), sowie nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen vorgelegt werden. Inwieweit der Wille "des Volkes" Beachtung finden wird, bleibt abzuwarten. Indes war der Prozess der "Consulta Comunitaria de buena fe" schon an sich ein Erfolg. Nicht nur hinsichtlich staatsbürgerlicher Beteiligung an demokratischen Prozessen wurden wertvolle Erfahrungen gemacht. Auch soziale Strukturen sowie das Selbstbewusstsein der indigenen und bäuerlichen Bevölkerung wurden gestärkt. Trotzdem war zu beobachten, dass sich sowohl von den BefürworterInnen als auch von den GegnerInnen der geplanten Projekte teilweise politische Interessen und propagandaartige Formen in den Ablauf einschlichen. Oft fehlte es an objektiver Information über die Problematik, um einen kritischen, offenen und klärenden Diskurs generieren zu können. Die Botschaften wurden teils wie Werbeslogans verbreitet und konnten somit zu einer unreflektierten Wiedergabe verleiten. Aber all das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ein Grossteil der Bevölkerung sehr wohl über Vor- und Nachteile bewusst ist, ging doch die Initiative zu der Volksbefragung direkt von der sozialen Basis aus. Das Thema ist mit Sicherheit kein leichtes, denn "nein" sagen alleine reicht nicht, um Lösungen zu finden, hat doch die Bevölkerung des Ixcán auch Interessen hinsichtlich einer besseren Infrastruktur und "Entwicklung". |
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