Lokale Gesetze gegen herrschende Straflosigkeit
Fijáte 368 vom 20. September 2006, Artikel 6, Seite 5
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Lokale Gesetze gegen herrschende Straflosigkeit
Guatemala, 13. Sept. Wurden in den letzten Jahren bereits in vielen Orten teils mit teils ohne Zusammenarbeit mit der Zivilen Nationalpolizei (PNC) bürgerliche Sicherheitskomitees ins Leben gerufen, um zumindest durch nächtliche Patrouillen und erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber und Meldung von Delikten die unzureichende Präsenz der staatlichen Ordnungshüter zeitweilig zu überbrücken, scheint sich die Initiative inzwischen zu verselbständigen. Mit dem Argument, die Bevölkerung sei die herrschende Straflosigkeit leid, hat die Sicherheitskommission der Gemeinde San Miguel Acatán, Huehuetenango, bereits im Juni diesen Jahres ihr eigenes "Gesetz" geschaffen. Drei Monate später wird dies nun öffentlich bekannt. 102 BürgerInnen und Gemeindeautoritäten unterschrieben das Dokument, in dem 84 "Verbrechen" aufgelistet sind, die geahndet werden sollen. Andere Leute kritisieren, an Wochentagen Alkohol trinken oder sich gar besaufen, Häuser oder Wände bemalen, auf der Strasse, im Park oder auf dem Marktplatz urinieren, und in betrunkenem Zustand in der Öffentlichkeit Flaschen zerschlagen wird ebenso bestraft wie Männer mit Ohrringen, Tätowierungen und/oder langen Haaren sowie Leute, die sich nach 21 Uhr auf der Strasse aufhalten. Der Bürgermeister von San Miguel Acatán, Mitglied der Republikanischen Front Guatemalas (FRG), der der Sicherheitskommission vorsteht, rechtfertigt die an Bürgerwehren erinnernde diskriminierende Massnahme mit dem Überhandnehmen von Kriminellen in der Gemeinde. Seit die Normen aufgestellt wurden, sei die Anzahl der Verbrechen auch schon zurückgegangen. "Es wurden bereits Strafen wie Saubermachen öffentlichen Raums, Auspeitschen und Knien auf Steinen oder Mais angewendet", berichtet er trocken. Dabei beruft er sich auf den Artikel 66 der Verfassung, nach dem der Staat die Lebensformen der Gemeindegruppen respektiert, die sich auf ihre Bräuche, Traditionen und soziale Organisation stützen. Dieser Artikel soll indes die Anwendung des Gewohnheitsrechts der indigenen Völker schützen und rechtfertigt in keiner Weise die lokale Verselbständigung der Rechtsanwendung. Das offizielle Justizsystem wird nicht nur ignoriert, sondern gleich vollständig ausgehebelt. So hielten die Acatanecos Ende August den lokalen Friedensrichter und zwei seiner Mitarbeiter sechs Stunden lang fest, um ihn daran zu hindern, einem Einspruch zugunsten zweier Jugendlicher nachzukommen, diesen einen Kontakt nach aussen zu gewährleisten, um ihr Wohlbefinden zu versichern. Diese waren festgenommen worden, weil sie nach 21 Uhr draussen waren. Der Richter und seine Begleiter konnten bloss aufgrund einer Unaufmerksamkeit ihrer Bewacher entkommen und haben Klage gegen den Bürgermeister erhoben. Letztendlich wurde der Richter versetzt, Morddrohungen waren dem Festhalten gefolgt. Bereits im vergangenen November wurde die Polizeiwache in San Miguel geräumt, nachdem sie von EinwohnerInnen angegriffen wurde, die ihrem Unmut über eine Festnahme Ausdruck verliehen. Dem entrüsteten Aufschrei der Öffentlichkeit über diese fast anarchisch anmutenden Zustände folgte schon am Tag darauf die nüchterne Berichterstattung des Menschenrechtsprokurats (PDH), dass es in mindestens acht weiteren Gemeinden ähnlich zugehe. Im Departement Sololá verfügen demnach die Gemeinden Santa Catarina Ixtahuacán, Sajul, Tzucubal und Nahualá über eine eigene "Gesetzgebung", in Quiché ist dies von Nebaj, Acul, Saquiej und Santa Cruz del Quiché bekannt. Überall werden die Straflosigkeit und die mangelnde Effizienz des offiziellen Justizsystems als Erklärung herangezogen. Nach oben |
Die Auflistung der Übel nimmt mancherorts beinahe kuriose Züge an. So wird in einem Munizip in Quiché verboten, Personen zu beerdigen, die im Ausland gestorben sind, und die Präsenz der Zivilen Nationalpolizei wird ausdrücklich abgelehnt. José Elías Tárano vervollständigt in seiner Kolumne in "Nuestro Diario" das nationale Bild mit der folgenden Beobachtung in der Hauptstadt: "Aber wenn man schaut, was in den Wohnsiedlungen am Stadtrand und anderen Vierteln vorgeht, die gar nicht so weit vom historischen Zentrum entfernt sind, das bis vor wenigen Jahren Sitz der politischen Macht war, versteht einer, dass es viele Dinge gibt, die in unserem Guatemala schlecht funktionieren. Hier wird die Polizei, weit davon entfernt, zu schützen, als Bedrohung angesehen, und die, die ihr Gesetz hier anwenden, sind die Jugendbandenmitglieder (und das organisierte Verbrechen, die Red.), die unschuldige Leute umbringen, nur weil diese in einem bestimmten Moment nicht genug Geld bei sich tragen, um das sie erpresst werden, um nach Hause zu gelangen oder ihr Haus zu verlassen." |
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