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Prostitution an der Grenze Guatemala - Mexiko

Fijáte 368 vom 20. September 2006, Artikel 1, Seite 1

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Prostitution an der Grenze Guatemala - Mexiko

Die Verschärfung der Migrationspolitik Mexikos bekommen auch die Frauen in den Bordellen der Grenzregion zu spüren. 93% von ihnen sind laut dem Colegio de la Frontera Sur undokumentierte Migrantinnen. Sie leben ohne Papiere in ständiger Angst vor Abschiebung. Die Illegalisierung von Migration durch die vorverlagerte US-amerikanische Abschottungspolitik macht Frauen und vor allem Minderjährige extrem anfällig, in gewalttätige und ausbeuterische Strukturen zu geraten. Die Übergänge zwischen freiwilliger und erzwungener Prostitution sind oftmals fliessend. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) drängt auf die Verfolgung von Frauen- und Kinderhandel in der Region. Doch nicht zu unterschätzen ist dabei die Verwicklung von Polizei und Justiz in kriminelle Strukturen im Grenzraum. Betroffene, die in einem Prozess als Zeuginnen aussagen, gehen ein hohes persönliches Risiko ein. Darüber hinaus folgt bei Prozessende automatisch ihre Abschiebung. Der in Tecún Uman ansässige VGkatholischeNF Orden der Hermanas Oblatas setzt stattdessen auf Bildung und Ausbildung, um Frauen und Mädchen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, eine Chance auf alternative Einkommensmöglichkeiten zu eröffnen. Ihr Frauenhaus bietet eine Rückzugsmöglichkeit zur Neuorientierung. Frauen und Mädchen sollen nach Aussage der Schwestern ihr Leben wieder selber in die Hand nehmen können und dabei Land und Ort des Neuanfangs frei wählen.

Migrantinnen aus den zentralamerikanischen Ländern werden in der Grenzregion oft per se als Prostituierte wahrgenommen. Davon ausgenommen sind in der Regel indigene Frauen aus Guatemala. Sie kommen traditionell in die Grenzstädte Mexikos, um dort in Haushalten zu arbeiten. Nicht nur reiche Familien haben hier eine Angestellte; diese verdienen neben Kost und Logis so wenig, dass ein solches Arbeitsverhältnis auch in der Mittelschicht weit verbreitet ist. Viele Familien diesseits und jenseits der Grenze sind so schon seit Generationen miteinander verbunden: kehrt eine VGHausangestellteNF nach einigen Jahren nach Guatemala zurück, dann übernimmt beispielsweise ihre jüngere Schwester den Platz bei ihren ehemaligen ArbeitgeberInnen.

Mexikanische Familien, die nicht auf ein derartiges soziales Netzwerk zurückgreifen können, müssen in Tapachula, dem Handels- und Verkehrszentrum der Grenzregion, nur sonntags auf den zentralen Platz der Stadt gehen. Dort treffen sich guatemaltekische MigrantInnen, die in der Stadt leben. Hierher kommen auch Neuankömmlinge auf der Suche nach einer Anstellung. Auf eben diesem Platz zeigte sich im letzten Jahr eine ganz neue Form der Prostitution: junge Mädchen in traditioneller Kleidung wurden dort mit dezenten Gesten von älteren Frauen feilgeboten. Dieses Phänomen ist bislang eine Ausnahme geblieben, und indigene guatemaltekische Frauen werden in der Öffentlichkeit weiterhin als "Hausmädchen" wahrgenommen.

Anders sieht die öffentliche Wahrnehmung der mestizischen MigrantInnen aus El Salvador, Honduras und Nicaragua aus. Diese sind im Stadtbild so nicht sichtbar, werden aber dafür regelmässig in der Lokalpresse abgebildet: als "gefallene Mädchen" in den gerne skandierten Rotlichtzonen. Damit bestätigt sich das rassistische Vorurteil quasi von selbst, das die zentralamerikanischen NachbarInnen als Armutsflüchtlinge annimmt, die so marginalisiert seien, dass alle Männer kriminell und alle Frauen Prostituierte wären. Rassistische Zurückweisung und exotische Anziehung verbinden sich dann auf einer sexistischen Ebene, wenn gerade Frauen aus Honduras aufgrund einer tendenziell helleren Haut- und Haarfarbe und mit Gesichtszügen, die eher alten Kolonialherren als indigenen Vorfahren ähneln, als besonders schön und begehrenswert gelten.

Diese sich überlagernde Fremdwahrnehmung bewirkt auf alle Fälle eins: Migrantinnen werden in der Genzregion generell als "putas" (Huren) stigmatisiert. Für Frauen aus Zentralamerika, die eine Arbeit ausserhalb der Rotlichtzonen suchen, ein kaum zu überwindendes Hindernis: Laut Umfragen, die das mexikanische Ministerium für soziale Entwicklung bezüglich VGDiskriminierungNF durchführte, schneiden "Prostituierte" am schlechtesten ab, wenn gefragt wird, an wen man auf keinen Fall einen Job ergeben würde. Tief verwurzelt ist in Mexiko die gesellschaftlich im machismo verankerte Bipolarität von "Heiligen und Huren", die von Frauen entweder die vollkommene Anpassung an ein prüdes, von der Mutterrolle geprägtes Frauenbild fordert oder sie zu Geächteten erklärt.

Auch wenn Prostitution in Zeiten der VGGlobalisierungNF eine der wenigen selbständigen Einkommensmöglichkeiten für Frauen ohne Ausbildung darstellt, so basiert das Gewerbe doch auf der hohen Ausbeutungsspanne, die den beteiligten Migrantinnen stets nur einen minimalen Bruchteil der von ihnen erarbeiteten Gewinne zugesteht. So bietet die Prostitution an der Grenze Guatemala-Mexiko eine von Gewalt und Gewinninteressen stark eingeschränkte Emanzipationsmöglichkeit. Für die hier arbeitenden Frauen bedeutet sie zumeist eine alternative Form der Sicherung ihrer Existenz, solange in ihren Herkunftsländern grosse Teile der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleiben.


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