(Wahlpolitische) Perspektiven für 2006
Fijáte 351 vom 18. Jan. 2006, Artikel 1, Seite 1
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(Wahlpolitische) Perspektiven für 2006
2006 wird für Guatemala ein intensives Jahr werden. Auf der politischen Agenda steht der Beginn der Wahlkampagne, die formal eigentlich erst im Mai 2007 starten sollte, aber schon längst läuft. Die Wahlen selber finden im September '07 statt, eine eventuelle zweite Wahlrunde um die Präsidentschaft wäre für November '07 vorgesehen. Es ist ein angespannter Wahlkampf mit polarisierten Diskursen zu erwarten und, im Hintergrund, zahlreiche, mehr oder weniger faire Verhandlungen zwischen den einzelnen Sektoren im Disput um die Macht. Auf der wirtschaftlichen Agenda steht die (unterdessen vom 1. Januar auf unbestimmt verschobene) Inkraftsetzung der Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten (TLC bzw. DR-CAFTA), zu denen es sowohl enthusiastische BefürworterInnen- wie auch kritische GegnerInnenstimmen gibt. Die grösste Herausforderung für 2006 wird jedoch im sozialen Bereich zu erwarten sein. Die Evaluation der Wirtschaftskommission für Lateinamerika (CEPAL) über die Auswirkungen des Hurrikan Stan kommt zu dem Schluss, dass es nicht so sehr das Wirtschaftssystem im allgemeinen, sondern vielmehr das soziale Gefüge, speziell der indigenen Gemeinschaften, und deren prekäre Überlebensgrundlagen getroffen hat. Es muss also mit einer Zunahme von Hunger und Armut gerechnet werden, mit zunehmender Migration in die Städte oder nach Mexiko bzw. in die USA. All dies trägt zu einer wachsenden sozialen Entwurzelung, einer Stärkung des organisierten Verbrechens und dem Florieren einer kriminellen Ökonomie bei. Der folgende (gekürzte) Artikel erschien in der Nr. 35 der zweiwöchentlichen Analyse von Fundadesc (www.fundadesc.org), für dessen Redaktion sich Edgar Gutiérrez verantwortlich zeichnet. Das politische PanoramaObwohl die Regierungspartei im Kongress eine Minderheit ausmacht, hat sie dank einer schwachen Opposition und dem grosszügigen Verteilen von Schmiergeldern zweifellos die Kapazität, ihre Agenda wunschgemäss durchzusetzen. Ganz allgemein geniessen die Parteien und ihre FührerInnen einen schlechten Ruf in der Bevölkerung. Es wird ihnen vorgeworfen, aus dem Elfenbeinturm heraus zu regieren, die Probleme der Mehrheit der BürgerInnen nicht zu sehen bzw. sich nicht dafür zu interessieren, und Riesensummen für eine unproduktive Arbeit zu kassieren bzw. auszugeben. Präsident Berger geniesst zwar im Allgemeinen die Sympathien der Medien, nicht jedoch der BürgerInnen. Ihm wird mangelnde Transparenz vorgeworfen und eine Vernachlässigung der Themen Arbeit und öffentliche Sicherheit. Innerhalb seiner Regierung existieren verschiedene Strömungen, die sich für den Wahlkampf rüsten. Dazu gehört z.B. Eduardo González, Exekutivsekretär des Präsidenten, der unter der Fahne der Regierungspartei GANA kandidieren wird, falls er die parteiinterne Wahl gewinnen sollte. Oder Luis Flores, Ex-Vizepräsident unter Alvaro Arzú, heute Direktor des Sozialfonds FIS und Kommissär für Megaprojekte, der für die Partei des Nationalen Fortschritts, PAN, antreten wird. Alvaro Colóm, Verlierer der letzten Wahlen, begann seinen Wahlkampf bereits mit dem Amtsantritt seines Gegenspielers im Januar 2004. Colóm gibt sich sozialdemokratisch und steckt momentan den Hauptanteil seiner Energie in die Umorganisierung seiner Partei der Nationalen Einheit, UNE. Von den Medien erhält er alles andere als Unterstützung und gleichzeitig läuft gegen ihn eine Untersuchung wegen Missbrauchs öffentlicher Gelder während seiner letzten Wahlkampagne. Keiner der drei (Flores, Colóm und González) kann jedoch mit dem goodwill der Unternehmenskreise, angeführt von der Gruppe Gutiérrez-Bosch und sekundiert von weiteren Familien unternehmerischer Herkunft (Castillo, Botrán, etc.) rechnen. Entsprechend kursieren Gerüchte, dass aus diesen Kreisen ein eigener Kandidat aufgestellt werden soll, gehandelt wird der Name von Dionisio Gutiérrez, Mitbesitzer der Holding, der u. a. die guatemaltekische Hähnchen-Fastfoodkette Pollo Campero gehört, und Moderator der politischen TV-Talkshow "Libre Encuentro". Auch Rigoberta Menchú wird als eine mögliche Kontrahentin von Colóm gehandelt; die drei letztgenannten (Colóm, Gutiérrez und Menchú) führen eine im Dezember durchgeführte Meinungsumfrage an. Nach oben |
Die Republikanische Front Guatemalas (FRG) ihrerseits wird sich entscheiden müssen, entweder die Kandidatur von Ex-Minister für Kommunikation und Verkehr, Luis Rabbé, voranzutreiben oder auf juristischer Ebene den nationalen und internationalen Kampf um eine erneute Kandidatur von Ex-General Efraín Ríos Montt zu führen. Bei der "Linken" wird von einer möglichen Wiedervereinigung der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas, URNG, und der Allianz Neue Nation, ANN, gemunkelt. Doch müssen sie die "linken" Stimmen mit anderen Mitte-"Links"-Parteien teilen, z.B. mit der neuen Demokratischen Front von Alfonso Cabrera (ehemaliger Generalsekretär der Christdemokraten), dem Encuentro por Guatemala von Nineth Montenegro oder der DIA mit Francisco Arredondo. Auch wird von einer möglichen Allianz der "Linken" mit der UNE gesprochen, eine Forderung, die schon bei den vergangenen Wahlen 2003 aus gewissen linken Kreisen verlautbart wurde. Das Jahr 2006 wird das Jahr der Verhandlungen sein, das Jahr, wo die einzelnen an der Regierungsmacht interessierten PolitikerInnen Flagge zeigen, Allianzen schliessen oder aus-schliessen müssen. Ein Jahr, in dem jede politische Handlung von wahlpolitischen Interessen geleitet sein wird. Das sozio-ökonomische PanoramaDas wirtschaftliche Wachstum der letzten Jahre war gänzlich unzureichend, um eine Strategie zur Reduzierung der Armut und der Ungleichheiten voranzutreiben. Es ist nicht gelungen, eine effiziente Reform des Staates durchzuführen, die eine regulierende Wirkung auf den Markt gehabt hätte und von einer starken und effizienten Sozialpolitik begleitet gewesen wäre. Entsprechend kleine Fortschritte wurden von diversen Phänomenen fortlaufend zunichte gemacht: Trockenzeiten, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen, aber auch durch Wirtschaftskrisen, wie z.B. im Jahr 2000 der Fall der Kaffeepreise auf dem internationalen Markt. Der Hurrikan Stan, der im Oktober 2005 das Land heimsuchte, zerstörte die bäuerliche wirtschaftliche Existenz und Zukunft: Die Ernten gingen verloren, die während der nächsten sechs Monate das Überleben tausender Familien gesichert hätten, währenddessen das Land für die nächste Aussaat vorbereitet wird und sich die BäuerInnen mit temporärer Migration über Wasser halten. Durch die Zerstörung ihrer Ernten mussten nun viele Leute frühzeitig und auf der Suche nach Arbeit migrieren. Doch Stan hat auch das mexikanische Chiapas stark getroffen, eine Region, in der während der Kaffeeernte normalerweise 60-80'000 GuatemaltekInnen Arbeit finden. Die Zerstörung von ca. 50% der Plantagen in Chiapas hat zur Folge, dass dort die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückging, ebenso wie die Löhne im Landwirtschaftsbereich. Dies führt wiederum dazu, dass nun vermehrt Frauen in die südmexikanischen Städte migrieren, auf der Suche nach Arbeit als Hausangestellte. Derweil akkumuliert das guatemaltekische Wirtschaftssystem Arbeitslose: Von den 125'000 Jugendlichen, die jährlich in den Arbeitsmarkt eintreten, schaffen es gerade mal ca. 20% zu einer mehr oder weniger stabilen Arbeitssituation. Mit bescheidenen staatlichen Sozialausgaben, einer mangelnden Kommunikation und Koordination zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Privatinitiative und einem ausschliessenden Bildungssystem, sind die Zukunftsaussichten für jugendliche GuatemaltekInnen alles andere als rosig. Das soziale Panorama ist also nicht erfreulich. Armut, Gewalt, Delinquenz, Angst, all dies sind Faktoren, die eine breite Bevölkerungsschicht dazu treiben kann, nach einer "starken Hand" zu verlangen. Das Erstarken einer Hardliner-Ideologie, die nach Restriktion und Aufhebung gewisser bürgerlichen Freiheiten verlangt, ist absehbar. Obwohl die Volksbewegungen in den letzten Jahren an Stärke verloren und sich gespalten haben, ist nicht auszuschliessen, dass es 2006 zu sozialen Zusammenstössen diverser Art und ebensolchen Ausmasses kommt. (Wie fast jedes Jahr zu Schulbeginn, haben die LehrerInnengewerkschaften für den 13. Januar einen nationalen Streiktag ausgerufen, um die Erziehungsministerin zu Verhandlungen über Löhne, Schulmahlzeiten und 16 andere Forderungen zu bewegen. die Red., siehe sep. Artikel) Man darf hierbei den Einfluss der sozialen Bewegungen in verschiedenen Ländern der Region nicht unterschätzen, ebenso wenig die Zunahme politischer Macht seitens der indigenen Völker. All dies fördert andere, neue soziale Organisationsformen, die auch andere Methoden der politischen Partizipation und Einflussnahme entwickeln. Das Jahr 2006 könnte zu einem Jahr werden, in dem sich diese Kräfte artikulieren und die Forderungen ihrer Basis in die politische Diskussion einbringen. |
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