"San Narcos" - im Visier
Fijáte 368 vom 20. September 2006, Artikel 4, Seite 4
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"San Narcos" - im Visier
Guatemala, 13. Sept. Nach dem eher erfolglosen Sturm auf den Ixcán durch Polizei und Militär (siehe ¡Fijáte! 367) versetzte die Regierung nur eine Woche später dem Nord-Westen des Landes einen weiteren Stoss und verordnete in fünf Munizipien des Departements San Marcos für 14 Tage den "Präventionszustand". Mit der somit verhängten Beschränkung des Versammlungs- und öffentlichen Demonstrationsrechts, des Tragens von Schusswaffen und der Bewegungsfreiheit von Fahrzeugen wollte man auch hier dem Drogenhandel auf die Spur kommen. Erst auf Antrag der Interamerikanischen Pressesozietät (SIP) wurde der Dekretabsatz gestrichen, mittels dem den öffentlichen Medien, womit konkret kommunale Radiosender gemeint waren, die Verbreitung von "Unruhe stiftenden Botschaften" untersagt werden sollte. 600 Polizeikräfte, 300 Militärs, 50 Elemente der Anti-Drogeneinheit SAIA, sowie 3 Richter und 24 Mitarbeitende der Staatsanwaltschaft führten in Concepción Tutuapa, Ixchiguán, San Miguel Ixtahuacán, Tajumulco und Tejutla minutiöse Inspektionen von Autos, 32 Hausdurchsuchungen, 20 Festnahmen sowie die Beschlagnahmung von 12 Waffen und einem in Sololá als gestohlen gemeldeten Fahrzeugs durch. Unter den Verhafteten - alle verdächtigt, am Drogenhandel beteiligt zu sein - findet sich zumindest einer von insgesamt sechs mutmasslichen lokalen Drogenbossen, dem neben einem Mord auch die Brandstiftung zu Lasten gelegt wird, in die die vermeintlichen Grenzstreitigkeiten zwischen Ixchiguán und Tajumulco im Februar gipfelten. (vgl. ¡Fijáte! 354) Besonders stolz ist Innenminister Carlos Vielmann auf die massenweise Vernichtung von Schlafmohn- und Hanffeldern - die genauen Angaben schwanken zwischen 17,5 Mio. und 22 Mio. Mohn- und 80´000 und 6 Mio. Hanfpflanzen, letztere durchgängig gleichgesetzt mit Marihuana. Somit sei die Vorgehensweise gerechtfertigt und den zur Vorsicht aufrufenden Stimmen aus der Zivilgesellschaft hinsichtlich der Gefahr des Missbrauchs der aufgehobenen Bürgerrechte der Wind aus den Segeln genommen. Erst kurz vor der "Operation Amapola" (amapola = Schlafmohn, die Red.) hatte die Tageszeitung elPeriódico einen ausführlichen Report über den Drogenanbau im Departement San Marcos veröffentlicht und als bekannt bekundet, dass seit 20 Jahren in der Region Schlafmohn angebaut wird, der lokal ansatzweise verarbeitet und per Pferd an die Grenze zu Mexiko geliefert wird. Selbst die geschäftsführenden mexikanischen Kartelle "Juárez y Sinaloa" und das "Golfkartell" sind bekannt und der Gewinnunterschied von 4´000 Quetzales im Halbjahr für traditionellen Gemüseanbau gegenüber 50´000 Quetzales im Jahr für den Mohnanbau als Entscheidungskriterium für die zu 61% in extremer Armut lebende Bevölkerung von Überlebenssichernder Bedeutung. So hat sich Guatemala mit einer Anbaufläche von 1´800 Hektar mittlerweile zum sechsten Drogenexportland weltweit entpuppt - nach Afghanistan, Pakistan, Myanmar, Kolumbien und Mexiko. Nach oben |
Angesichts der bisherigen staatlichen Passivität ob der Zustände war die Priorität der aussenpolitischen Absicht der Aktion schnell klar: Im September verteilen die Vereinigten Staaten wieder Noten in Sachen Drogenbekämpfung und Guatemala wollte sich auf den letzten Drücker die Versetzung, sprich Zertifizierung, sichern, die mit lächerlichen 80 Kilogramm beschlagnahmten Kokains während 2006 nicht gefährdet, wohl aber unglaubwürdig wäre. Die Nichtgefährdung hängt an verschiedenen strategischen Sicherungsseilen: an dem, dass Guatemala diplomatischer UN-Partner ist und sich an UN-Friedensmissionen beteiligt, an dem Seil, eine der wenigen lateinamerikanischen US-freundlichen Regierungen zu sein und schliesslich dem, dass die USA durch die Unterstützung der Kandidatur Guatemalas verhindern wollen, dass Venezuela in den UN-Sicherheitsrat gewählt wird. Auch innenpolitisch hat die Operation einige Veränderungen zur Folge. Zum einen wurde das beabsichtigte Ziel erreicht, den Konflikt zwischen Ixchiguán und Tajumulco zu schlichten, in dem nun die Grenze zwischen den Munizipien eindeutig festgelegt wurde. Zudem wurde eine Sicherheitstaskforce geschaffen, die mit 300 Polizeikräften in den fünf Munizipien die Suche nach Personen mit Haftbefehl, die Kontrolle von Personen und Fahrzeugen sowie ganz allgemein den Kampf gegen den Drogenhandel weiterführen soll. Unklar ist der Zusammenhang mit der zeitgleich ernannten militärischen Taskforce, die vom Militärstutzpunkt Santa Ana Berlín, Coatepeque im Departement Quetzaltenango gegen das organisierte Verbrechen, den Schmuggel von Waren aber auch von Personen ohne Dokumente im Westen des Landes, speziell in den Departements Retalhuleu, Suchitepéquez, San Marcos und vier Munizipien der Küstenregion Quetzaltenangos vorgehen wird. Hellhörig macht der somit ständige Einsatz des Militärs in den namentlich genannten Munizipien - Colomba, Flores, Génova y Coatepeque - sind doch diese vor allem bekannt durch die gewalttätigen Räumungen von besetzten Fincas und die anhaltende Verletzung von Arbeitsrechten, gegen die die Arbeitenden wiederholt die Öffentlichkeit aufmerksam machen. Abzuwarten ist auch die Erfüllung des Regierungsversprechens, den örtlichen BäuerInnen attraktive Landwirtschaftsprogramme anzubieten, um sie vom Drogenanbau abzuhalten und ihr Überleben dennoch zu sichern. |
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