¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Warum weint er bloss?
Fijáte 368 vom 20. September 2006, Artikel 8, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Warum weint er bloss?
Im vergangenen Monat hatte ich das Privileg bei einem Besuch von dreissig GemeindeführerInnen, Frauen und Männer, des Maya-Volkes Q´eqchi´ dabei zu sein, die eine ebensolche Gruppe des Maya-Volkes Achi´ aus Rabinal traf. Diese Frauen und Männer sind, wie man so schön sagt, historische FührerInnen, Bewahrende der schmerzhaften Erinnerung ihrer Völker. Für mich war es eine Ehre, diesen Personen zuzuhören und sie zu beobachten, denn das, was sie erzählen, stammt nicht von Papieren, aus Computern und Gesprächen im Büro, sondern sind menschliche Grenzerfahrungen, berichtet in erster Person. Im Prinzip kann jeder und jede in Ländern wie dem unseren in eine solche Gunst kommen; es reicht der Wunsch, solche Treffen miterleben zu wollen. Die Begegnung fand in der Gedenk-Kapelle an die Opfer des Massakers von Plan de Sánchez in Rabinal statt. Unter dem Fussboden sind die verbrannten Überreste von 268 Opfern dieses Gemetzels bestattet, in ihrer Mehrheit Kinder, junge Mädchen und Frauen. Am Sonntag den 18. Juli 1982, als sie zu Fuss vom Markt und der Sonntagsmesse wieder ins Dorf heraufkamen, schnitt ihnen das Militär mit Paramilitärs und Zivilpatroullisten den Weg ab und versammelte sie in einem Haus, in dem sie sie später mit Maschinengewehren töteten und in das sie schliesslich Granaten warfen. Die Mädchen und jungen Frauen wurden von ihnen getrennt, um sie zu vergewaltigen und sie an Ort und Stelle umzubringen. Die Versammlung der GemeindeführerInnen begann mit der Anrufung der Ahnen. Diesen wurden Weihrauch und Kerzen dargebracht und sie wurden zu dem Treffen eingeladen, denn sie, die Verstorbenen, waren die Protagonisten. Der Hauptanlass für den Besuch von Seiten der Q´eqchi´ bestand darin, Informationen über den Prozess zu erhalten, den die Gemeinde von Plan de Sánchez geführt hat, um zu erreichen, dass der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof den Staat Guatemala als schuldig für das Massaker verurteilte. Die Damen und Herren Q´eqchí waren ebenfalls ZeugInnen von den unzähligen Übeltaten, die sie acht Jahre lang überlebten, versteckt und immer auf der Flucht vor dem Militär in den Wäldern von Ixcán, wo sie das Allernötigste zum Überleben entbehrten: ein Dach über dem Kopf, Salz, Nahrungsmittel, Medizin und Kleidung. Dort sahen sie viele der Ihren an Hunger oder Krankheiten sterben, andere, die im Armeefeuer fielen. Sie gehörten zu den tausenden von GuatemaltekInnen, der Gemeinden der Bevölkerung im Widerstand (CPR), stets unsichtbar gemacht von der Regierung. Die BesucherInnen sagten zu denen aus Plan de Sánchez: - "Alle Achtung, ihr habt es erreicht, die Leichen eurer Familienangehörigen zu exhumieren, aber wir können das nicht. Die Unseren sind dort in den Wäldern geblieben. Wie können wir sie wieder bergen?" Nach oben |
In beiden Gruppen herrscht die gleiche Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Diejenigen aus Plan de Sánchez haben zwar vom Staat als Entschädigung eine erste Geldrate erhalten, aber versichern, so lange keine Ruhe zu geben, bis sie die Verantwortlichen für den Genozid hinter Gittern sehen. Die Q´eqchí sind entschlossen, dem Weg zu folgen, den die Gemeinde von Plan de Sánchez nach Jahren nervenaufreibender Bürokratie bis zum Urteil zu ebnen erreichte. Ich dachte dabei für mich: Wenn die Erinnerung lediglich aus einer Anekdote besteht, trägt sie nichts bei, vielmehr reproduziert sie die gleiche Gewalt der Herrschenden. Aber wenn die Erinnerung Schmerz ist, dann nährt sie unaufhörlich die Utopie. Und die Utopie ist nicht mehr als das verunmöglichte Mögliche, wie der spanische Schriftsteller Alfonso Sastre sagt. Es ist genau das, was wir vor einem Jahr bereits in Plan de Sánchez erlebt haben, als der Vizepräsident Eduardo Stein als Regierungsvertreter angekommen ist, um die Gemeinde um Verzeihung zu bitten, die Auflage des Urteils erfüllend. Die Frivolität, mit der die Staatsfunktionäre ihr Podium aufbauten, das Sonnendach spannten und ihr Grinsen als nette Jungs vor der Gemeinde, trafen auf die schmerzhafte Erinnerung der Leute, die weiterhin ganz genau wissen, was sie wollen: "Das alles bringt überhaupt nichts, solange wir die Verurteilten des Genozids in Plan de Sánchez nicht verurteilt sehen", rief Don Juan ins Mikrofon, der Führer der Gemeinde. Minuten später, als dem Vizepräsidenten die Stimme brach während er um Verzeihung bat, gingen den Menschen andere Fragen durch den Kopf, die auf dem Gedenk-Video festgehalten sind: "Warum weint er bloss? Schämt er sich wohl? Oder ist er wütend? Warum ist nicht der Präsident persönlich gekommen, der der Freund der grossen Unternehmer ist, um um Verzeihung zu bitten? Warum sind nicht die grossen guatemaltekischen Manager gekommen? Warum ist nicht Ríos Montt gekommen, der im Kongress sitzt? Warum ist nicht der flüchtige Kommandant Solares gekommen? Warum sind nicht die Justizangestellten und Patroullisten gekommen, die in Rabinal sind? Bittet er wirklich um Verzeihung, oder handelt es sich bloss um einen rein politischen Akt?" Die Begegnung der Überlebenden Q´equchi der CPR und der Achi´aus Rabinal stellte einen weiteren Ausdruck des profunden Guatemalas dar, des wahren Guatemalas, wo es noch glimmende Asche von Würde und Utopie gibt. |
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