Startschuss für die Wahlen
Fijáte 385 vom 16. Mai 2007, Artikel 1, Seite 1
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Startschuss für die Wahlen
Mit dem Dekret 1-2007 berief das Oberste Wahlgericht (TSE) am 2. Mai offiziell die Wahlen ein. Gewählt werden PräsidentIn, VizepräsidentIn, 158 Kongressabgeordnete, 20 Abgeordnete für das Zentralamerikanische Parlament (Parlacen) sowie deren StellvertreterInnen und 332 BürgermeisterInnen. Bis zum 11. Juli haben die Parteien nun Zeit, ihre KandidatInnen ins Wahlregister einzutragen. Wahltag ist der 9. September, kommt es zu einer zweiten Wahlrunde, was ziemlich wahrscheinlich ist, findet diese am 4. November statt. Wir nutzen den Wahlauftakt, um einen Überblick über das aktuelle Wahlpanorama zu geben. Im Vergleich zu früheren Wahlen finden die diesjährigen um zwei Monate vorgezogen statt, im September anstatt im November. Damit hofft man, rund einer halben Million Personen die Beteiligung an den Wahlen zu ermöglichen, Leuten, die normalerweise die letzten beiden Monate des Jahres fern ihrer Wohnorte als temporäre ArbeiterInnen bei der Ernte auf den Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen verbringen. Gelingt es tatsächlich, diese Leute zur Wahl zu motivieren, könnte nicht nur die Wahlbeteiligung um rund 20% erhöht werden, sondern es könnte sich auch die Wahl-Soziologie verändern, handelt es sich doch bei diesen Personen in erster Linie um indigene BäuerInnen aus dem Hochland. Ein anderer Sektor, der immerhin etwa 12% der Bevölkerung ausmacht, nämlich die MigrantInnen, wird jedoch nicht als Wählerschaft berücksichtigt. MigrantInnenorganisationen in den USA fordern von der Regierung, ein System einzuführen, das ihnen die Wahlbeteiligung ermöglicht, sowohl als WählerInnen wie auch als KandidatInnen. Mit dem Argument, dass sie einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor bilden, wollten sie auch politisch mitreden können, was in ihrer Heimat geschieht. Das Netzwerk für Frieden und Entwicklung (RPDG), eine der grossen guatemaltekischen MigrantInnenorganisationen in den USA, fordert die Parteien auf, nebst einer Indígena- und einer Frauenquote auch eine MigrantInnenquote einzuführen, damit garantiert ist, dass dieser Sektor ebenfalls über eine Vertretung im guatemaltekischen Kongress verfügt. Die Vizeaussenministerin, Marta Altolaguirre, glaubt jedoch nicht daran, dass eine Stimmabgabe im Ausland organisiert werden kann, dafür fehle es an politischem Interesse. Sicher ein Vorteil von vorgezogenen Wahlen ist, dass die Übergangszeit bzw. die Vorbereitungszeit für die neu antretenden Autoritäten länger ist. Bisher war diese im Fall des Präsidenten und Vizepräsidenten, vor allem, wenn es eine zweite Wahlrunde gab, sehr knapp, fand diese nämlich jeweils erst Ende Dezember statt, während die Regierungsübergabe gemäss Verfassung immer auf den 14. Januar angesetzt ist. Gemäss dem aktuellen Zeitplan haben nun die Kongressabgeordneten und BürgermeisterInnen vier Monate Zeit, um sich auf ihr neues Amt vorzubereiten, PräsidentIn und VizepräsidentIn immerhin noch zwei Monate. Etwas komisch mutet die Tatsache an, dass zwar die 20 Abgeordneten für das Parlacen dieses Jahr gewählt werden, ihren Posten jedoch erst im Jahr 2011 antreten werden. Trotzdem wird ihnen ab dem Moment ihrer Einschreibung ins Wahlregister absolute Immunität gewährt. Im Falle einer erfolgreichen Wahl gilt diese Immunität bis zum Ende ihres Mandats im Jahr 2016. Dies könnte für gewisse Personen, zum Beispiel für den Sohn von Efraín Ríos Montt, Enrique, gegen den ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft läuft, von grossem Nutzen sein. Von ihm wird gefordert, Rechenschaft abzulegen über die Verwendung von 280 Mio. Quetzales zu seiner Zeit als Angestellter der Finanzabteilung des Militärs im Jahr 2001. Mindestens 18 verschiedenen Parteien nehmen an den Wahlen teil und mindestens 15 davon stellen KandidatInnen für die Präsidentschaft auf. Real haben aber gemäss Umfragen der guatemaltekischen Tageszeitungen bloss vier eine Chance, diesen Posten zu erlangen. Dies sind: Álvaro Colom von der Partei der "Nationalen Einheit der Hoffnung" (UNE), der pensionierte General Otto Pérez Molina von der "Patriotischen Partei" (PP), Alejandro Giammattei für die aktuelle Regierungspartei "Grosse Nationale Allianz" (GANA) und Rigoberta Menchú, die für die Partei "Begegnung für Guatemala" (EG) antritt. Wenn auch nicht mit Gewinnchancen, doch mit im Spiel mischt auch die "Republikanische Front Guatemalas" (FRG) und deren Generalsekretär und Aushängeschild Efraín Ríos Montt. Ihm gelang es, mit der Einschreibung ins Wahlregister erneut die Immunität zu erlangen, womit die beiden gegen ihn angestrebten Klagen wegen Genozids einmal mehr und auf unbestimmt blockiert sind. Präsidentschaftskandidat der FRG ist Luís Rabbé, ehemaliger Minister für Kommunikation und Verkehr, während der mehr als korrupten FRG-Regierung von Alfonso Portillo, und als Vizepräsident kandidiert der bisherige Kongressabgeordnete Haroldo Quej. Ríos Montt selber kandidiert an erster Stelle auf der Liste der Kongressabgeordneten, sein erklärtes Ziel ist, dieses Gremium zu präsidieren. Momentaner Spitzenreiter bei den Umfragen ist Álvaro Colom, der bereits zum dritten Mal zu den Präsidentschaftswahlen antritt. Im Jahr 1995, als er für die damals noch geeinte Linke das erste Mal kandidierte, vereinte er immerhin 12% der Stimmen auf sich. Als er bei den letzten Wahlen bereits mit seiner eigenen Partei UNE antrat, schaffte er es mit ca. 36% der Stimmen in die zweite Wahlrunde. Colom gewann damals in fast allen Departements des indigenen Hochlands, da er sich unter der Regierung von Álvaro Arzú einen Namen als untadeliger Chef des Nationalen Friedensfonds (FONAPAZ) gemacht hatte. Ein Teil dieser Stimmen wird ihm in diesen Wahlen die indigene Kandidatin Rigoberta Menchú streitig machen. Als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft stellt die UNE den renommierten Herzspezialisten Rafael Espada auf. Nach oben |
Die PP kandidiert mit dem Ex-General Otto Pérez Molina, der in seinen populistischen Diskursen eine soziale Besserstellung der armen Bevölkerung verspricht sowie das Vorgehen mit "harter Hand" gegen die herrschende Gewalt. Eine Mischung, die offenbar ankommt; dass hinter diesem Diskurs ein militaristisches Denken steckt und eine völlige Verdrehung von ehemals von linken Parteien besetzten Begriffen wie z.B. Solidarität, ist offenbar Nebensache. Der Vizepräsidentschaftskandidat der PP ist Ricardo Castillo Sinibaldi, einer der grössten Investoren luxuriöser Vergnügungszentren für die Angestellten des Privatsektors (IRTRA), die "ein Anrecht auf Erholung haben, ein heiliges Gut, das Gott uns schenkt, um uns für die täglichen Mühen und Anstrengungen zu belohnen". Die Arbeitsbedingungen der Angestellten dieser Zentren hingegen zeichnen sich aus durch Flexibilisierung, Kurzzeitarbeitsverträge, keine Sozial- und Altersversicherung und die Unterbindung von Gewerkschaften. Soviel zum Thema Solidarität, wie sie die Patriotische Partei versteht. Alejandro Giammattei, Präsidentschaftskandidat der GANA, hätte wohl, wären die Wahlen im letzten September gewesen, eine reelle Chance auf einen Sieg gehabt. Als damaliger Chef des Gefängniswesens ging er als "Held und Retter" aus der "Rückeroberung" des Hochsicherheitsgefängnisses "El Pavón" hervor (siehe ¡Fijáte! 369). Dass dabei sieben als Anführer des organisierten Verbrechens und des Drogenhandels hochstilisierten Häftlinge brutal umgebracht wurden, wurde unter dem Stichwort "der Zweck heiligt die Mittel" von der breiten Bevölkerung akzeptiert. Die Popularität Giammatteis hat aber bereits wieder abgenommen. Einerseits, weil unterdessen das Menschenrechtsprokurat (PDH)in einem Bericht über den Hergang dieser "Rückeroberung" einige Ungereimtheiten an den Tag brachte, anderseits weil die jüngsten Skandale rund um das Gefängniswesen klar zeigen, dass hier Korruption bis in die allerhöchsten Etagen verbreitet ist. Giammattei hat zwar den Absprung rechtzeitig geschafft, die Pavón-Geschichte reicht ihm aber nicht als treibendes Vehikel in einer Wahlkampagne. Und dann ist da noch Rigoberta Menchú, die grosse Unbekannte in diesen Wahlen. Ihre Teilnahme könnte, ginge es ihr nicht gleichermassen um Macht wie allen anderen, eine unterhaltsame Abwechslung in die Wahlkampagnen-Dynamik bringen. Leider macht sie es aber genauso wie alle anderen: Sie stellt ihre Person in den Vordergrund und hat bisher noch keine politische Plattform vorgestellt die interessante politische Inhalte hätte. "Frau und Indígena" allein reicht nicht für ein Regierungsprogramm und es bleibt zu hoffen, dass Rigoberta eine Kampagne führt, die am Ende nicht genau diesen beiden Sektoren, den Frauen und den Indígenas, im Hinblick auf zukünftige politische Partizipation, schadet. Die Kosten für die Durchführung der Wahlen werden auf rund 56 Mio. US-$ veranschlagt. Ausserdem werden mehr als 2000 lokale und internationale WahlbeobachterInnen erwartet, darunter VertreterInnen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der Europäischen Union aber auch des guatemaltekischen Menschenrechtsprokurats, der Universität San Carlos, der Privatwirtschaft und aus dem indigenen Sektor. Wie bereits bei den letzten Wahlen verspricht auch der von verschiedenen guatemaltekischen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengesetzte Mirador Electoral eine minutiöse Wahlbeobachtung, nicht nur am Tag selber, sondern auch im Vorfeld und in der Transitionsphase. Anlässlich des Kampagnenstarts forderte der Präsident des Obersten Wahlgerichts (TSE), Oscar Bolaños, die KandidatInnen und GeneralsekretärInnen der Parteien zu transparenten Wahlen auf, das Wahlgesetz zu respektieren und auf Gewalt zu verzichten. Dieser Aufruf mutet etwas naiv an, angesichts der schon seit Monaten auf nicht gerade ehrenwerte Weise geführte Wahlpropaganda einzelner Parteien und der Tatsache, dass es das TSE nicht geschafft hat, im Gesetz zu typifizieren, was genau ein so genanntes Wahldelikt ist, geschweige denn, wie ein solches sanktioniert wird. Pro Partei darf während der 17-wöchigen Wahlkampagne nicht mehr als 41.5 Mio. Quetzales (ca. 5.5 Mio. US-$) investiert werden. Diese Zahl wurde anhand der rund 5.5 Mio. wahlberechtigten Personen berechnet, jede Partei darf also pro potentieller/m WählerIn 1 US-$ in Wahlpropaganda investieren. Gemäss Selbstdeklaration wird die GANA rund 42 Mio., die PP 40 Mio., die FRG 27 Mio. und die linke ANN 20 Mio. Quetzales in ihre Kampagnen investieren. Der Rest der Parteien wird zwischen 9 und 15 Mio. Quetzales für Wahlpropaganda ausgeben. Hübsche Summen, die einmal mehr zeigen, dass Macht ihren Preis hat, den nicht alle bezahlen können. Verschiedene Organisationen und AnalystInnen äussern sich besorgt über die Verstrickung des organisierten Verbrechens und des Drogenhandels in die Parteien und BürgerInnenkomitees sowie über die damit einhergehende politisch motivierte Gewalt. Im Verlauf des letzten Jahres wurden 43 Gewalttaten gegen parteipolitische AktivistInnen verübt, 28 davon endeten tödlich. Die UNE von Álvaro Colom ist die am meisten betroffene Partei und hat 14 Morde an Parteimitgliedern zu verzeichnen. Die PP und die URNG haben je drei Todesopfer zu beklagen. Diese Attentate konzentrierten sich auf die Departements Guatemala, Jutiapa, Escuintla und San Marcos, mit Ausnahme von Guatemala Regionen, in denen der Drogenhandel und das organisierte Verbrechen florieren. |
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