Neue Enthüllungen im CICIG-Roman
Fijáte 390 vom 1. August 2007, Artikel 2, Seite 3
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Neue Enthüllungen im CICIG-Roman
Guatemala, 27. Juli. Dass aus der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) ein Wahldebakel um Álvaro Colom und seine Partei Nationale Einheit der Hoffnung werden würde, war Mitte Mai nicht abzusehen. Gleichzeitig erlaubte die Zeit der hitzigen Schlacht durchaus auch die Betrachtung unangenehmerer Aspekte des Vorhabens und der Umstände seiner Verabschiedung. Diese liegt nun endgültig in den Händen des Kongresses und ist für den 1. August, der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause anberaumt. Im Vorfeld gab es, wie zu erwarten, zahlreiche, bis zum gewissen Grad sogar erfolgreiche Versuche, die Lesung der CICIG-Gesetzesinitiative zu torpedieren. Wie angekündigt verlas das Verfassungsgericht am 16. Mai seine Antwort auf die parlamentarische Anfrage in Bezug auf Verfassungskonformität und Autonomiesicherung der Staatsanwaltschaft, in der es die Bedenken aus rechtlicher Sicht aus dem Weg räumte. (¡Fijáte! 385) Sodann wurde die Kommission für Auslandsbeziehungen des Kongresses beauftragt, ihr Votum zur CICIG abzugeben. Normalerweise stehen den Kommissionen in solchen Fällen 60 Tage zur Verfügung. Ein knapper Kongressentscheid kürzte diese Bedenkzeit auf acht Tage, die die Kommission aber beflissentlich überschritt, indem nie ausreichend Stimmberechtigte anwesend waren. Zudem argumentierte sie, das Verfassungsgericht hätte sich zu vage ausgedrückt und das Vorhaben müsse gründlich analyisiert werden, handelt es sich schliesslich um eine weitreichende Initiative. Die Tatsache, dass Zury Ríos Sosa die Vorsitzende dieser Kommission ist und gleichzeitig Tochter von Efraín Ríos Montt, dem sowohl in Spanien als auch in Guatemala selbst je ein Prozess wegen Völkermordes anhängt, macht die Mannöver verständlich, möglichst viele Hindernisse einzubauen, um zu verhindern, dass nicht nur der Vater ins Fadenkreuz internationaler Ermittlungen gerät. Auch Zurys Bruder, Enrique Ríos Sosa, stünde unter den ersten auf der Ermittlungsliste, verfechtet er doch gemeinsam mit dem Vater das Militärgeheimnis, um seinerseits das Verschwinden von Millionen aus dem aufgelösten Generalstab des Präsidenten (MP) zu decken, dem er unter Alfonso Portillo vorstand. Auch andere Parteimitglieder der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) haben aus persönlichen Gründen kein Interesse an der Einrichtung einer Kommission, die sich der Aufdeckung des organisierten Verbrechens im staatlichen Gefüge annehmen soll. So vertritt denn auch die FRG, die CICIG würde die Souveränität des Staates unterminieren und sei trotz anderslautendem Urteil des zuständigen Gerichts, verfassungswidrig. Auf diese Rechtfertigung griff auch schliesslich das Urteil der Kommission zurück und lehnte somit die CICIG-Initiative ab. Im Text wird zudem versichert, "die Schaffung einer opportunen Gesellschaft würde viel mehr tun für den Respekt der Menschenrechte". Ausserdem sei die CICIG eine "Parallelkörperschaft, um parallele Mächte zu desartikulieren, die noch gar nicht identifiziert sind". Die USA übte bereits während des Entscheidungsprozesses Druck aus und stellte in Aussicht, bei Zustimmung zur CICIG erwägen zu wollen, das Embargo aufzuheben, das seit den 80er Jahren auf potentieller Miltärhilfe an Guatemala liegt und in der Zwischenzeit nur teilweise gelockert worden war. Und ganz klar wurde die US-Hilfe für Guatemala zu den regionalen Sicherheitsplänen an die CICIG gekoppelt, die der stellvertretende US-Staatssekretär für Lateinamerika, Thomas Shannon, gerade zugesagt hatte. (siehe separater Artikel) Moralisch unterstrichen wurde die Erwartungshaltung der USA durch die Nachricht vom Menschenrechtskommissionär Frank LaRue, der sich im Moment der Entscheidung in Washington aufhielt, die Absage sei bei den Zuständigen in den USA wie eine Ohrfeige angekommen und hätte Shannon persönlich beleidigt. Doch selbst die nachdrückliche Empfehlung durch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon und der europäischen Diplomatie in Guatemala, die CICIG gut zu heissen, liess die 21-köpfige Kommission kalt, in der 13 Stimmen - 7 der FRG, 2 der UNE, 1 der PAN und drei von kleineren Parteien - gegen die CICIG votierten. Dass keineR der VertreterInnen der Regierungspartei GANA überhaupt zu der entscheidenden Sitzung kam, ging im allgemeinen Aufbrausen fast unter. Der enttäuschte Vizepräsident Stein, der sich von Anfang an und fast als alleiniger Streiter von Regierungsseite für das Vorhaben einsetzte, liess sich zu dem Kommentar verleiten, es würde somit ja klar, dass einige "Wurmnester" in diversen Parteien verdeckt werden sollten. Dadurch sah sich vornehmlich FRG-Parteichef Aristedes Crespo genötigt, jeden Verdacht, der hinsichtlich der Verzwickungen mit dem organisierten Verbrechens auf der FRG lasten könnte, empört zu entkräften. Nach oben |
In einer ganz anderen Ecke ging hingegen eine Bombe hoch, deren Auswirkungen weniger als 40 Tage vor den Präsidentschaftswahlen nicht abzuschätzen sind. Auf dem Spiel steht eindeutig die bislang souverän verteidigte Pool-Position auf der Liste der WählerInnengunst von Álvaro Colom. Hatte Colom in seiner Wahlkampagne bislang vehement versichert, die CICIG zu unterstützen und dem organisierten Verbrechen den Garaus zu machen, wenn er an die Macht komme, waren es just die Stimmen der zwei der Kommission angehörenden und anwesenden UNE-Abgeordneten César Fajardo und Jorge Girón, die ebenfalls gegen die CICIG stimmten. Und auf ersteren stürzte sich nun die Aufmerksamkeit, ist er schliesslich nicht nur persönlicher Vertrauter von Colom sondern auch stellvertretender Generalsekretär der Partei, deren Vertreter vor dem Höchsten Wahlgericht (TSE), und er steht an zweiter Stelle der nationalen Liste für die Kongressabgeordneten. Colom und Fajardo wiesen gleich darauf hin, dass die Stimmen als persönliche und nicht parteirepräsentative abgegeben worden waren, Fajardo wollte als Anwalt und "ehrsamer Mann" seine Zweifel an der Verfassungsrechtlichkeit nicht unterdrücken. Von der Öffentlichkeit wurde zunächst die Führungspersönlichkeit Coloms in Frage gestellt, nach dem Motto, wie er denn ein Land regieren und gar gegen Widerstände vorgehen wolle, wenn er noch nicht einmal seine eigene Partei in wesentlichen Momenten unter Kontrolle habe. Und dann machte Oscar Clemente Marroquín, Direktor der Tageszeitung La Hora, ein neues Fass auf und brachte Fajardo in Verbindung mit dem Attentat, das im letzten Jahr auf seinen Sohn José Carlos Marroquin verübt worden war. Dieser ist Strategiechef der UNE und somit von Coloms Wahlkampagne. Bei dem Überfall hatten fünf vermummte Personen das Wohnhaus von José Carlos unter Maschinengewehrbeschuss genommen und zwei seiner auf der Strasse parkenden Autos in Brand gesteckt. Die offiziellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind kaum vorangeschritten, ZeugInnen identifizierten jedoch die sich in einer Seitenstrasse die Masken abnehmenden Männer, die José Carlos widerum dem Militär zuordnen konnte. Er stellte die Tat in Zusammenhang mit seinem Erfolg, zwei ehemalige Militärs aus dem Team der Bodyguards von Colom entfernt zu haben, die bereits unter Portillo gedient und mittels Untersuchungen der US-Botschaft dem organisierten Verbrechen zugerechnet wurden. Deren Liste war Colom im Frühjahr 2006 vorgelegt worden. Genau die als Attentäter auf José Carlos erkannten Männer befeierten letztes Jahr César Fajardo in dessen Haus zu seinem Geburtstag. Und Colom soll all diese Informationen gehabt haben, versuchte aber noch jetzt sich herauszureden, er könne schliesslich nichts machen, wenn keine handfesten Beweise vorlägen. - Inzwischen ist Fajardo von seinen UNE-Posten suspendiert, bis sich der Fall klärt; seine Kandidatur behält er indes bei. Als Gegenbeweis seiner angeblichen Führungsschwäche wies Colom darauf hin, dass seine zwei Männer in der Kommission auf sein Geheiss hin sofort ihre Nein-Stimmen zurückgezogen hätten. Überhaupt würde es sich bei all diesen Vorwürfen um ein schwarze Kampagne gegen ihn handeln, angeführt von denjenigen, die tatsächlich vom organisierten Verbrechen durchwachsen seien. Damit wendete er sich an Otto Pérez Molina, den Kandidaten der Patriotischen Partei, der mit etwas Abstand hinter Colom auf der Gunstliste rangiert und sich zu den UNE-Enthüllungen geäussert hatte. Nachdem auch der Vertreter der Einheit des Nationalen Zentrums (UCN) seine Meinung geändert hat und nur noch 10 Stimmen gegen die CICIG vorliegen, wird das Vorhaben nun dem Kongress übergeben, der drei Möglichkeiten hat, damit umzugehen: Mit 80 Stimmen kann er beschliessen, die Initiative in dieselbe Kommission zum erneuten Votum zurückzugeben oder eine andere Kommission damit beauftragen. Mit 105 Stimmen hingegen kann er selbst mit nationaler Dringlichkeit das Vorhaben billigen. Gleich beeilten sich die jeweiligen Parteivorsitzenden zu versichern, am Mittwoch mit all ihren Leuten im Kongress aufzuwarten und die CICIG zu verabschieden bzw. Gegengewicht zur FRG und der das Nein unterstützenden PAN zu leisten. Während der Druck von Seiten der nationalen Zivilgesellschaft und sozialen Organisationen sowie der internationalen Gemeinschaft auf den Kongress anhält, dass dieser sich für die CICIG ausspreche, bleiben trotz der unbestrittenen und dringenden Notwendigkeit dieser Kommission leichte Schatten über dem Ganzen hängen, die bei ihrer tatsächlichen Einrichtung möglicherweise negative Folgen mit sich bringen: - Was kann beispielsweise die CICIG mit aller Unterstützung der Staatsanwaltschaft und ihren Berichten an die UNO ausrichten, wenn die nationalen Strafverfolgungsinstitutionen einfach nicht funktionieren? - Welche Konsequenzen bringen die US-amerikanischen Versprechungen mit sich, als CICIG-Belohnung das Militärembargo aufzuheben? - Und welche Rolle und ernsthafte Verpflichtung von Seiten der Parteien kommt der funktionierenden CICIG zu, die jetzt eindeutig zu einem Wahlpolitikum geworden ist? Gleichzeitig ist jedoch auch Hellen Mack beizupflichten, laut der es im Grunde keinen idealen Zeitpunkt für die Verabschiedung gebe, diese aber jetzt über die Bühne gehen sollte, da sich die nächste Regierung dem Vorhaben gegenüber völlig entgegen stellen wird. |
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