¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Haarsträubend oder belanglos
Fijáte 390 vom 1. August 2007, Artikel 5, Seite 6
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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Haarsträubend oder belanglos
Ein Leitartikel der Abendzeitung La Hora machte am 28. Juni auf etwas aufmerksam, das selbst der Präsident von Guatemala als "haarsträubend" bezeichnete: es ging um eine Nachricht von seinem honduranischen Amtskollegen, über die Strategie systematischer Überfälle auf Busfahrer und die NutzerInnen der städtischen Busse, die im Geheimen von der Oppositionspartei während der Wahlkampagne angewendet worden war. Diese Strategie zielte seinerzeit darauf ab, Panik zu verbreiten, um die Wahlstimmen für den Vorschlag der Politik der harten Hand seines Rivalen zu gewinnen. Der Berater für diese schreckenerregende Kampagne war ein Nordamerikaner mit Namen Klugmann, der offenbar auch in Guatemala arbeitet, und zwar für die Patriotische Partei (PP) - die lokale Version der harten Hand - just zu dem Zeitpunkt, wo auch hier bei uns von einem alarmierenden Anstieg von kaltblütigen Morden an Busfahrern des städtischen Transportes berichtet wird. So schauderhaft diese Nachricht auch sein mag (und das Leben der Leute, das zum Köder für die Raubtiere der Vorwahlzeit gemacht wird!), sie landete schon nach wenigen Stunden im Papierkorb und wurde durch weniger irritierende ersetzt. Die Medien boten sofort andere beruhigende Reportagen an, wie der übertriebene Presseaufmarsch anlässlich des Events des Internationalen Olympischen Komitees zeigte oder die journalistische Untersuchung über "das Wissen der PräsidentschaftskandidatInnen" oder das Fussballturnier zwischen Journalisten und Kandidaten (Schaut auf der Titelseite, wie sie glücklich dem Ball hinterher rennen, die sich noch kurz vorher eine Schlacht lieferten wegen der Anschuldigungen der Verbrechen im städtischen Busverkehr. Wer hat dieses Foto und warum ausgewählt? Fragt das die MeinungsmacherInnen!). Einstweilen findet die Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) weder Vater noch Mutter im Kongress, obwohl das Verfassungsgericht keine rechtlichen Widrigkeiten gefunden hat. Die Abgeordneten flüchten sich in Vorwände zynischster Art, um zu rechtfertigen, warum sie nicht endlich damit anfangen, den CICIG-Vorschlag im Parlament zu diskutieren: "Die Abgeordneten sind in der Wahlkampagne, deswegen sind sie nicht gekommen", "ich hab keine Zeit gehabt, den Text zu lesen", sagen sie in der Republikanischen Front Guatemalas (FRG); oder "das wäre so, als würde der Regierungspartei ein Wahlbonus geschenkt", meint die UNE. Heiliger Gott. Und wir sind ein Staat am Punkt des Kollapses aufgrund der öffentlichen Gewalt, der Straflosigkeit und der Einschleusung des organisierten Verbrechens in den staatlichen Institutionen! Nach oben |
Die KandidatInnen versprechen in ihren Kampagnen Sicherheit und behindern die CICIG, das Gesetz zur Waffenkontrolle und die Regulierung der Privaten Sicherheitsfirmen? Halten sie uns denn für völlig blöde? Die Schwerfälligkeit der Staatsorgane und der politischen Klasse, gegen das organisierte Verbrechen und die Straflosigkeit anzugehen, kommt nicht von ungefähr, und es ist auch kein genetisches oder kulturelles Phänomen, wie manche vorschlagen. Es ist mehr als bewiesen, dass es gewissen Machstrategien entspricht. Es handelt sich darum, die Wasser aufzuwühlen, in denen die faktischen Mächte sich ohne Fesseln bewegen können, ohne die Fesseln eines starken und souveränen Staates, der sich den Drogenkartellen und den lokalen Kapitalsektoren entgegenstellt, die Guatemala zum Schnäppchenpreis an internationale Unternehmen verkaufen wollen; für sie ist die nationale Souveränität lediglich leeres Gerede am 15. September (dem Nationalfeiertag Guatemalas, die Red.) Doch darüber spricht inmitten dem politischen Trubel niemand. Das psychosoziale Befinden der Bevölkerung ist bedauerlich Es wachsen die Verzweiflung, das Fehlen eines nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls, die soziale und politische Hemmung, das Fehlen eines kritischen Denkens, die Neigung zum Autoritarismus, der soziale Zerfall, die Anarchie und die Straflosigkeit. Ein Szenarium, das in voller Grösse im Bild festgehalten wurde mit der präsidialen Geste, dem Chauffeur eines Stadtbusses in aller Öffentlichkeit zu gratulieren, der sich gegen den Angriff eines Überfalltäters gewehrt hatte und diesen dabei erschoss. Der höchste Vertreter des Staates von Guatemala gesteht, ohne dabei rot zu werden, einerseits die Nutzlosigkeit unserer Institutionen ein und andererseits die Verachtung des menschlichen Lebens! Ein Freund hat mir gesagt, dass meine Kolumne ¡Híjole! bitter und verletzend sei. Ich gestehe, so sehr ich versuche ein Lächeln zu zeichnen, bekomme ich doch nur Grimassen hin. Ich kann nur dem beipflichten, was José Saramago in Spanien kürzlich gesagt hat, als er den Planeten betrachtete: "Es ist Zeit, die Geduld zu verlieren. Es ist Zeit zu heulen, denn wenn wir uns von den Mächten mitreissen lassen, die uns regieren und nichts gegen sie unternehmen, könnte man behaupten, dass wir verdienen, was wir haben. Wir sind am Ende einer Zivilisation angekommen und es zeichnen sich dunkle Zeiten ab: der Faschismus kann zurückkehren. Es muss etwas getan werden, der Betrug ist der König der Erde." Wir müssen die Realität benennen und sie nicht verstecken, sie benennen mit dem Hirn und den Eingeweiden. Heidegger sagte, dass "die Sprache das Zuhause des Seins ist". Lassen wir das Sein nicht schutzlos, entsagen wir nicht dem Sein, der Würde. Inzwischen kann man im Supermarkt dieser Demokratie immer wählen zwischen dem Haarsträubenden und dem Belanglosen… |
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