Mehr vom selben - Ergebnisse der ersten Wahlrunde in Guatemala
Fijáte 394 vom 26. Sept. 2007, Artikel 1, Seite 1
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Mehr vom selben - Ergebnisse der ersten Wahlrunde in Guatemala
Wie alle vier Jahre gibt es auch 2007 bei den guatemaltekischen Wahlen einen zweiten Durchgang, da keineR der KandidatInnen am vergangenen 9. September mindestens 50% plus eine Wahlstimme auf sich vereinen konnte. Die Konkurrenten für die zweite Runde sind - ebenfalls nicht überraschend - Álvaro Colom von der Partei der Nationalen Einheit (UNE) und Otto Pérez Molina von der Patriotischen Partei (PP). Auch zu erwarten war, dass die linken Parteien schlecht abschneiden würden; dass die grosse Wahlverliererin Rigoberta Menchú heisst, ist aber selbst für die grössten SkeptikerInnen eine Enttäuschung. Im folgenden Artikel präsentieren wir - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einige Zahlen und Statistiken über die Wahlergebnisse und geben ein paar Stimmen wieder, die das Versagen der linken Parteien kommentieren. Die Rangliste bei den Präsidentschaftswahlen entspricht, was die ersten drei Plätze betrifft, den Erwartungen und der im Vorfeld durchgeführten Meinungsumfragen. Mit 28,37% aller gültig eingelegten Stimmen führt der zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat angetretene Álvaro Colom, gefolgt vom nur gut 4% weniger Stimmen auf sich vereinenden Ex-General Otto Pérez Molina (24,12%). Die beiden werden am 4. November die zweite Wahlrunde bestreiten und einer von ihnen wird Mitte Januar den Präsidenten-"Thron" besteigen. Ein halbwegs "gutes" Ergebnis hat mit 17,21% noch der für die aktuelle Regierungspartei Grosse Nationale Allianz GANA angetretene Drittplazierte, der ehemalige Gefängnisdirektor, Alejandro Giammattei, vorzuweisen. Alle anderen KandidatInnen liegen unter der 8%-Grenze und somit weit zurück. Überraschend, und für ihre Partei Grund, die Medien bzw. die Wahlumfragen zu kritisieren, ist der bloss sechste Platz (3,03%) von Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, die für Encuentro por Guatemala (EG)/ Winaq antrat. Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 40% Abstinenz ähnlich niedrig wie in früheren Jahren, womit die Dezentralisierungsstrategie des neuen Wahlgesetzes, durch das Bereitstellen von mehr Wahlurnen den WählerInnen die Stimmabgabe zu erleichtern bzw. sie zur Teilnahme zu motivieren, keinen Erfolg hatte. 9,42% der Stimmen wurden leer oder ungültig eingelegt. Eine weitere Änderung des Wahlgesetzes hat zur Folge, dass die Regierung den Parteien, die mehr als 5% Stimmen auf sich gezogen haben, pro Stimme 2 US-$ (im Vergleich zu früher 4 Quetzales, also rund vier Mal mehr) ausbezahlen muss. Damit werden finanziell schlecht gestellte Parteien gänzlich in den Ruin getrieben, da sie ihre zum Teil auf Pump geführte Wahlkampagne nicht vergütet bekommen, während die gewinnende Partei einen ersten Zugriff auf die Staatskasse nimmt. Im Fall der UNE sind das satte 1,7 Mio. US-$. Parteien, die weniger als 5% Stimmen haben und keinen Sitz im Kongress erreichten, werden aus der Politlandschaft getilgt und als aufgelöst erklärt. Dieses Schicksal ist u.a. der linken Allianz Neue Nation ANN und der Partei Democrácia Cristiana (DC) vom ehemaligen Präsidenten Vinicio Cerezo (1986 - 90) beschieden. Die DC hat bloss rund 15'000 Stimmen erzielt, obwohl sie über 71'000 eingeschriebene Mitglieder ausweist. Gleichzeitig mit den offiziellen Präsidentschafts-, Parlaments- und Gemeindewahlen wurde traditionsgemäss am 9. September auch die Kinderwahl durchgeführt, wobei es jedoch nur um die Präsidentschaft ging. Interessanterweise divergiert dieses Ergebnis mit dem offiziellen: Die Kinder wünschten sich Otto Pérez Molina zum Präsidenten. Sie gaben ihm 39,64% der Stimmen, während Álvaro Colom nur 20.99% bekam. Eigentlich wäre zu erwarten, dass die Kinder unter dem Einfluss der Medien, der Diskussionen und Kommentare in ihrem Elternhaus oder in der Schule ihre Stimme vergeben - dass sie sich jedoch noch stärker als ihre Eltern für den Kandidaten der "harten Hand" aussprechen, ist beunruhigend, weil es bedeutet, dass seine Slogans gut und einfach verständlich sind und offenbar ankommen. Für die zweite Runde ist eine noch geringere Wahlbeteiligung zu erwarten. Für beide Kandidaten geht es nun darum, Allianzen mit anderen Parteien zu schmieden, damit diese ihren AnhängerInnen und Mitgliedern die entsprechende Wahlempfehlung geben. Bisher hat die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) bekannt gegeben, dass sie keine Stimmempfehlung erteilen wird und Nineth Montenegro von Encuentro por Guatemala ruft dazu auf "eine gut überlegte Wahl" zu treffen. Dieser Tage gab der Drittplatzierte, Alejandro Giammattei von der GANA bekannt, dass er sich eine Allianz mit Otto Pérez Molina überlege. Er habe Parallelen in ihren jeweiligen politischen Programmen gefunden, rate jedoch Otto, seinen Diskurs noch etwas mehr auf die "Frau, die Stütze der Entwicklung" auszurichten. Es ist gut möglich, dass im Hinblick auf die Macht- und Allianzverhältnisse im neuen Kongress diesbezüglich noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.
Keine Mehrheit im KongressAllianzen müssen aber unweigerlich geschlossen werden, will der zukünftige Kongress in der Lage sein, irgendwelche Entscheide zu fällen. So wie die Sitze neu verteilt sind, wird nämlich keine Partei die Mehrheit stellen. Von den insgesamt 158 Abgeordneten wurden 67 in ihrem Amt bestätigt. Von den Sitzen werden (mindestens zu Beginn) die UNE 49, die PP 30, die GANA 37, die Republikanische Front Guatemalas (FRG) von Ríos Montt 15 (statt bisher 29!), Encuentro por Guatemala 4 und die URNG 2 besetzen. Da aber in Guatemala das Parteienwechseln eine Art Volkssport ist, muss auch hier im Verlaufe der Jahre mit Verschiebungen gerechnet werden. Der massive Sitzverlust im Kongress wird denn auch die Umsetzung des Traums des (nach vierjähriger Parlaments-Pause) als Abgeordneter wiedergewählten Efraín Ríos Montt erschweren, sich zum Kongresspräsidenten wählen zu lassen. Einmal mehr hat die FRG ihre Stimmen auf dem Land, speziell im Departement Quiché gesammelt, das während dem Bürgerkrieg extrem unter der Regierungspolitik nicht zuletzt von Ríos Montt gelitten hat. Gegen ihn laufen genau wegen dieser Verbrechen sowohl in Guatemala wie auch in Spanien Gerichtsprozesse. Menschenrechtsorganisationen befürchten, dass Ríos Montt als Parlamentarier diplomatische Immunität geniesst und sich so vor den Prozessen drücken kann. Gemäss Informationen der Anwälte der in Spanien klagenden Rigoberta Menchú-Stiftung soll diese Immunität aber nur für Straftaten gelten, die jemand während seiner oder ihrer aktuellen Amtszeit als KongressabgeordneteR begeht und nicht für in der Vergangenheit begangene Verbrechen. Über dieses Detail werden die AnwältInnen beider Seiten in den nächsten vier Jahren zu streiten haben. Nebst Ríos Montt ist auch seine Tochter Zury im FRG-Abgeordneten-Amt bestätigt worden. Die mit einem republikanischen US-Senator verheiratete "Tochter ihres Vaters" wird in diesen Tagen wegen eines Geldskandals im Zusammenhang mit einer in den USA ansässigen Stiftung für guatemaltekische Frauen und Kinder durch die Presse gezogen. Gemäss oben definierter Immunität wird ihr aber juristisch nichts und niemand etwas anhaben können. Ebenfalls wenig geändert im Parlament hat sich die Frauenvertretung. Bloss 21 Sitze (13,29%) werden von Frauen besetzt, dies entspricht prozentual dem Verhältnis aller Frauenkandidaturen. Mehr vom selben auch in der Hauptstadt und in den DepartementsKeine Überraschung ist die Wiederwahl des hauptstädtischen Bürgermeisters und ehemaligen Präsidenten (1996 - 2000) Álvaro Arzú. Er kandidierte für die Unionistas, deren Präsidentschaftskandidat Fritz García-Gallont mit 2,85% ein schlechtes Ergebnis vorwies. Auch im Parlament sind die Unionistas mit bloss zwei Abgeordneten vertreten. Arzús Wiederwahl kann so interpretiert werden, dass es für die WählerInnen schlicht keinen überzeugenden Alternativkandidaten gab. In Bezug auf das allgemeine Wahlergebnis der Unionistas zeigt es, dass die WählerInnen sich für die Person Arzú und nicht für die Partei Unionistas und deren politischen Ziele entschieden haben. Landesweit sind weitere 22 Bürgermeistereien (von insgesamt 332) von Mitgliedern der Unionistas besetzt. Auch in dieser Kategorie liegt die UNE mit 104 gewonnenen Bürgermeistereien an der Spitze, während die PP mit 39 Gemeinden landesweit eindeutig schwächer ist. Dazwischen liegt die aktuelle Regierungspartei GANA mit 78 alcaldías an zweiter Stelle. Wiedergewählt wurde auch in der zweitgrössten Stadt Quetzaltenango der GANA-Bürgermeister Jorge Barrientos. Nach oben |
Eine ganze Reihe von Bürgermeistern (z. T. neu- z. T. wiedergewählte) haben eine zweifelhafte Vergangenheit. Einer davon ist Manuel Castillo, bisher Kongressabgeordneter, neu Bürgermeister von Jutiapa. Er wird mit dem Drogenhandel in Verbindung gebracht und ist aktuell in einen Prozess involviert, bei dem es um seine mögliche Beteiligung an der Ermordung der drei salvadorianischen PARLACEN-Abgeordneten und deren Chauffeur im Februar dieses Jahres geht. (siehe ¡Fijáte! 391) Ein anderer "Verdächtiger" ist Arnoldo Medrano, zum fünften Mal im Amt des Bürgermeisters von Chinautla, Guatemala, bestätigt. Gegen ihn laufen diverse Prozesse wegen Korruptionsgeschichten, im Zusammenhang mit den Wahlen wird er der Fälschung von Identitätsausweisen beschuldigt. Für ein Amt als Bürgermeisterin haben insgesamt 106 Frauen kandidiert, gewählt wurden acht. Der Anteil indigener BürgermeisterInnen hat sich im Vergleich zu den letzten Wahlen nicht wesentlich verändert. Waren es 2003 noch 123, sind es heute 129. Schlechte Resultate für die LinkeLeider haben auch die linken Parteien die Prognosen erfüllt, die im Vorfeld von AnalytikerInnen und bei den Wahlumfragen gestellt wurden. Die fraktionierte Linke, zu der in diesem Fall die Partei der ehemaligen Guerilla URNG, deren Abspaltung unter dem Guerilla-Ex-Kommandanten Pablo Monsanto, die Allianz Neue Nation (ANN), und das Wahlbündnis EG/Winaq, dessen bekannteste Vertreterinnen die Kongressabgeordnete Nineth Montenegro und die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú sind, gezählt werden, vereinen zusammen nur knapp 6% aller Stimmen auf sich. Im Falle eines Wahlbündnisses hätte es ihnen rein rechnerisch aber auch nicht mehr als den sechsten Platz eingebracht. Vielleicht wäre das Resultat aber doch ein anderes gewesen, weil eine geschlossene Linke sicher für viele Leute, die jetzt den so genannten Mitte-Links-Kandidaten Alvaro Colom gewählt haben, eine reale Alternative hätte sein können. Die URNG konnte mit zwei Parlamentsvertretern (Hector Nuila und Walter Felix) und sieben Bürgermeistereien knapp den status quo halten. Die ANN wird mangels genügend Stimmen und weil sie keinen Parlamentssitz holte, aufgelöst. EG und Winaq, deren Bündnis wenige Tage nach den Wahlen - wie erwartet und im Vorfeld angekündigt - bereits wieder aufgelöst wurde, haben die wenigen gewonnenen Parlamentssitze wohl der Person und Persönlichkeit von Nineth Montenegro zu verdanken (in den Departements ist die Partei generell sehr schwach vertreten). Zusammen mit Montenegro ziehen weitere drei EG-VertreterInnen in den Kongress, darunter Otilia Lux de Cojtí, ehemalige Kulturministerin unter Alfonso Portillo und ehemaliges Mitglied der Wahrheitskommission. Rigoberta Menchú hingegen hat ein (leider zu erwartendes) schlechtes Resultat erzielt, selbst in ihrer Herkunftsgemeinde Uspantán hat sie bloss 200 Stimmen bekommen. Bedauerlicherweise bieten auch die Analysen über die linken Wahlergebnisse nichts Neues. Auf der einen Seite strotzen diese Analysen von "selbstkritischer Selbstbeweihräucherung", im Sinne von "wir haben unter den gegebenen Umständen das Beste erreicht, was wir erreichen konnten". Auf der anderen Seite wiederholen sie die Notwenigkeit einer geeinten Linken im Hinblick auf die Wahlen 2011, einer Verjüngung der Parteistrukturen, dem Einschluss von mehr Frauen und Indígenas, etc., wie das schon vor vier Jahren nach einem ähnlich tristen Wahlresultat der Fall war. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die politischen, finanziellen und strukturellen Bedingungen, unter denen die Linke die Wahlen antraten, nicht die besten waren. Es ist aber definitiv falsch, die Schuld des Wahlausgangs ausschliesslich diesen Bedingungen zuzuschieben, wie das z.B. Rigoberta Menchú macht, für die "das Patriarchat" und "der Rassismus" verantwortlich sind für ihr schlechtes Wahlresultat. In dieser Beziehung ist die Anthropologin Irma Alicia Velázquez Nimatuj, die an den Allianzverhandelung von Winaq und EG mit dabei war, viel kritischer: "Winaq war nicht in der Lage, ein Regierungsprogramm zu erarbeiten, das eine klare indigene Position beinhaltete und eine dezidierte Meinung zu Themen wie Gleichberechtigung, Ausschluss und der Landfrage vertrat". Wie weiter?Kongress und Gemeindeverwaltungen sind gewählt. Ihre Zusammensetzungen haben sich nicht massgeblich verändert, entsprechend ist auch nicht zu erwarten, dass sich das politische Geschehen auf diesen Ebenen gross verändert. Auf Gemeindeebene kann dies höchstens in einzelnen Orten der Fall sein, zum Beispiel in Sipakapa, San Marcos, wo das BürgerInnenkomitee, das sich klar gegen die Präsenz des Goldminenunternehmens in der Region wehrt, den neuen Bürgermeister stellt. An der Regierungspolitik jedoch wird sich in Bezug auf die Minenproblematik mit dem neuen Kongress, mit dem aktuellen und über den Regierungswechsel hinaus amtierenden Verfassungsgericht und unabhängig davon, wer die Präsidentschaft gewinnt, gar nichts ändern. Ein weiteres Erbe der Regierung Berger, zu dem keine der beiden um die Präsidentschaft konkurrierenden Parteien ernsthaft Stellung nimmt und in Bezug auf das keine wesentliche Änderung des politischen Umgangs zu erwarten ist, ist die Landfrage (aktuell gibt es in Guatemala 1600 Landkonflikte, die einer von der Regierung begleiteten oder initiierten Lösung harren). Und in ihren Diskursen versichern zwar sowohl Colom wie Pérez Molina der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) ihre Unterstützung, wie diese in der Realität aussehen wird, bleibt aber abzuwarten. Zu befürchten ist auch, dass sich aus der organisierten Zivilgesellschaft keine grosse Opposition herausbilden wird. Die Wahlbeteiligung und das Wahlergebnis lassen auf eine gewisse Resignation der WählerInnen schliessen, die Raúl Molina vom guatemaltekischen MigrantInnennetzwerk RPDG folgendermassen zusammenfasst: "Die Bevölkerung hat ihren Glauben in die politische Klasse verloren. Niemand konnte sich für eine der zur Wahl stehenden Optionen begeistern. Dies war auch schon während der Wahlkampagnen und bei den Wahlveranstaltungen spürbar und hat sich mit den Wahlergebnissen bestätigt. Nicht nur war die Anzahl leerer und ungültiger Stimmen verhältnismässig hoch, es hat auch keiner der Kandidaten ein wirklich eindeutiges Ergebnis erzielt. Das heisst, dass weder Otto Pérez Molina, sollte er gewählt werden, mit Überzeugung behaupten kann, dass die guatemaltekische Bevölkerung seine "harte Hand" wirklich will, noch wird Colóm mit Sicherheit sagen können, dass "seine" Stimmen tatsächlich für ihn und nicht gegen Pérez Molina gedacht waren". Mehr dazu nach dem 4. November. |
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