Ländliche Entwicklung und Agrarpolitik: Lektion gelernt?
Fijáte 416 vom 13. August 2008, Artikel 1, Seite 1
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Ländliche Entwicklung und Agrarpolitik: Lektion gelernt?
Die Friedensabkommen trugen dazu bei, dass die Agrarfrage und die ländliche Entwicklung ihr thematisches Schattendasein verliessen und Teile einer nationalen Debatte wurden. Dass das entsprechende Friedensabkommen nicht umgesetzt wurde, weckte die Besorgnis der internationalen Gemeinschaft und wichtiger nationaler Sektoren. Die letzten beiden Regierungen unter Alfonso Portillo und Oscar Berger versuchten (erfolglos), auf partizipative Art und Weise, eine nationale Politik der ländlichen Entwicklung zu formulieren. Es ist schlussendlich aber der Initiative des Unternehmenssektors zu verdanken, dem Plan Visión de País, dass es gelang, auch die politischen Parteien dazu anzuhalten, einen Konsens zu finden und ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten. Die aktuelle Regierung folgt jedoch wieder den gescheiterten Ansätzen ihrer Vorgängerinnen. Gleichzeitig bringen die weltweite Nahrungskrise und die strukturellen nationalen Missstände das Thema Landwirtschaft erneut in die Schlagzeilen. Aus diesen Gründen empfiehlt es sich, den Umgang mit diesem konjunkturell relevanten Thema genau zu evaluieren und "lessons learned", die daraus gezogenen Lehren, herauszuarbeiten - speziell auch, weil von ländlicher Entwicklung in einem Land wie Guatemala zu sprechen gleichbedeutend ist wie von nationaler Entwicklung zu sprechen. Wir veröffentlichen Ausschnitte einer Zusammenfassung der Doktorarbeit von Adrian Zapata, die im diálogo der Lateinamerikanischen Vereinigung für Sozialwissenschaften FLACSO im Juli 2008 erschienen ist. Dabei verzichten wir auf die theoretische Herleitung und konzentrieren uns auf die konkreten politischen Schritte, die in Guatemala in den letzten 10 Jahren in Sachen Landwirtschaftpolitik und ländlicher Entwicklung unternommen worden sind. Landwirtschaftspolitik und eine integrale ländliche Entwicklung sind zwei Paar Schuhe. Es ist aber unbestreitbar, dass sie zusammengehören, vor allem in Ländern mit einer historischen und strukturellen Ausgangslage wie Guatemala. Sowenig es möglich ist, die Grenzen der Landwirtschaftspolitik für die "automatische" ländliche Entwicklung zu ignorieren, so undenkbar ist es auch, die ländliche Entwicklung zu denken, ohne die Transformation der bestehenden Agrarstrukturen einzubeziehen. Die Versuche der letzten Jahre, auf partizipative Weise, das heisst unter Beizug aller involvierten und betroffenen Parteien, eine nationale Politik der ländlichen Entwicklung zu formulieren, haben die beiden Themen immer als unvereinbare Gegensätze verstanden, was dazu führte, dass sämtliche Dialoge scheiterten, sobald es um die Landfrage ging. Zuerst versuchte es Präsident Alfonso Portillo (1999 - 2003) mit seinem "Intersektoriellen Rundtisch über ländliche Entwicklung" (MIDDR). Sein Nachfolger Oscar Berger (2003 - 2007) nannte seinen entsprechenden Rundtisch "Dialog und Partizipation für eine integrale ländliche Entwicklung" (MDPDRI). Die Gründe für das Scheitern beider Initiativen (es gelang nicht, sich auf eine politische Linie zu einigen) sind u.a. folgende: Schwache staatliche Institutionen und politische Parteien sowie ein Ungleichgewicht in der politischen Machtverteilung zugunsten von ökonomisch mächtigen Sektoren. Diese üben nicht nur Druck aus, sondern einen effektiven und direkten Einfluss auf verschiedene Staatsorgane und Ministerien, vor allem wenn es um eine Sozialpolitik geht, die gegen ihre Interessen verläuft. Ländliche Entwicklung ist ein typisches Beispiel dieser verletzten Interessen, eben weil es so eng mit der Landfrage verknüpft ist. Die Schwäche der staatlichen Institutionen zeigte sich in der Rolle, die beide Regierungen in den partizipativen Prozessen spielten. Während der Regierung von Alfonso Portillo war die Exekutive blosse Zuschauerin am Rundtisch. Sie zeigte kein Interesse, eine Führungsrolle zu übernehmen, weil dadurch ihr (Interessens-)Konflikt mit dem Unternehmenssektor noch offensichtlicher geworden wäre. Während der Amtszeit von Oscar Berger vertrat die Regierung offen und schamlos die Interessen der UnternehmerInnen, vor allem als diese von den Dialogen zurücktraten mit dem Ziel, sie scheitern zu lassen. Die politischen Parteien glänzten während beider Regierungszeiten durch Abwesenheit an den Dialogen. Die ungleiche Machtverteilung wirkte sich in einer Verwässerung der Demokratie aus, denn die Unternehmensspitzen bewiesen ganz klar, dass sie die Vetomacht in diesen Prozessen haben, und diese zum Platzen bringen können. An dieser Stelle ist es wichtig, auf den nach wie vor ideologisch und historisch begründeten Antagonismus zwischen dem Unternehmenssektor und den sozialen Organisationen in der Landfrage hinzuweisen. Für die BäuerInnenorganisationen gehört der Traum von einer Landreform zu den angestrebten, aber leider unvollendeten Aufgaben der Revolutionsregierung von 1944. Dabei wird oft übersehen, dass eine Landreform allein noch keine ländliche Entwicklung garantiert. Für die UnternehmerInnen ist "die Landfrage" nach wie vor ein kommunistisches Phantom, dessen Ziel die Abschaffung des sakrosankten Privatbesitzes sein soll. Wie viel Gewicht die Landfrage am Rundtisch während der Regierungszeit von Oscar Berger einnahm, wurde in der Schlussdeklaration dieses Prozesses klar. Im entsprechenden Kommuniqué des Vizepräsidenten hiess es, dass "trotz der Einsicht, dass die Konzentration der Produktionsmittel im Agrarbereich ein Hindernis für die ländliche Entwicklung ist, der Rundtisch im Februar 2006 seine Arbeit angesichts der Diskrepanzen zwischen der Regierung und den VertreterInnen der sozialen Organisationen in substanziellen Fragen der Agrarpolitik niederlegt". Die im Zitat erwähnten Diskrepanzen entstanden durch die offene Positionierung der Regierung zugunsten der Interessen der UnternehmerInnen, welche den Verhandlungstisch verliessen und die Regierung zu ihrer Pflichtverteidigerin machten. Die Verdienste des "Plan Visión del País"Im Jahr 2005 kamen einige UnternehmerInnen zu dem Schluss, dass überparteiliche Vereinbarungen zu einigen wichtigen politischen Themen abgeschlossen werden müssten, die als Grundlagen für eine mehrheitsfähige Regierungspolitik dienen sollten. Zu diesen Themen gehörten anfänglich u.a. die Bildung und die Sicherheit. Um der Sache etwas mehr Legitimität zu verleihen, wurden auch VertreterInnen sozialer Institutionen eingeladen, der Steuerungsgruppe des sogenannten "Plan Visión del País" beizutreten, so zum Beispiel die MenschenrechtlerInnen Helen Mack und Mario Polanco, sowie der damalige Kardiologe und heutige Vizepräsident Rafael Espada und Adrian Zapata, Autor des vorliegenden Textes. Nach oben |
Während des ganzen Jahres 2006 wurden Vorschläge ausgearbeitet und diskutiert, doch war auch in dieser Gruppe die Dominanz der UnternehmerInnen offensichtlich. Von Seiten der politischen Parteien, die ebenfalls an dem Prozess teilnahmen, kam der Vorschlag, auch die ländliche Entwicklung auf die Agenda zu setzen. Glücklicherweise erklärten die UnternehmerInnen ihre Bereitschaft und zogen sich nicht von den Diskussionen zurück. Sie beriefen sich auf die Metapher einer "Autobahn, die genügend breit ist, damit auf ihren verschiedenen Spuren (Rechts, Mitte, Links) mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gefahren werden kann". Als im Rahmen des "Plan Visión del País" die Diskussionen über die ländliche Entwicklung begannen, stiess man anfänglich auf dieselben scheinbar unlösbaren Probleme wie am Rundtisch der Regierung Berger: Agrarstruktur, bäuerliche Ökonomie, die Rolle des Staates und die Institutionalisierung einer Politik der ländlichen Entwicklung. Schliesslich gelang es, ein von allen Parteien unterstütztes Dokument zu unterzeichnen. Darin wurde anerkannt, dass der Zugang zu Land (nebst technischem Know-how und Finanzierung) für KleinbäuerInnen ein wichtiges Element ländlicher Entwicklung ist. Um diesen Zugang zu gewähren, müssten die herkömmlichen juristischen Instrumente, die Konfliktlösungsstrategien und die Verteilmechanismen überprüft werden. Enteignung wurde dabei explizit ausgeschlossen, dem Staat hingegen die Möglichkeit zugestanden, auf illegale oder betrügerische Weise angeeignetes Land zurückzuerlangen. Wie man sieht, wurde hier die konfliktreiche Beziehung zwischen Agrarpolitik und ländlicher Entwicklung erfolgreich unter einen Hut gebracht - zumindest theoretisch. Den politischen Parteien, die nie an den Rundtischen der vorherigen Regierungen teilgenommen hatten, gelang es, einen Konsens zu erlangen, der weit über die frustrierten Initiativen der letzten Jahre hinausgeht. Leider scheiterte dieser erfolgversprechende Ansatz daran, dass die den "Plan Visión del País" dominierenden UnternehmerInnen dem Kongress einen Gesetzesvorschlag vorlegten, der die juristischen Grundlagen für die Umsetzung des Dokuments bilden sollte - ohne diesen jedoch den anderen involvierten Gruppierungen und Parteien im Vorfeld vorzulegen. Gemäss VertreterInnen dieser übergangenen Gruppen entspricht der Gesetzesvorschlag nicht den in dem gemeinsam erarbeiteten Papier vereinbarten Punkten. So verabschiedeten zwar die wichtigen politischen Parteien unter der Schirmherrschaft der UnternehmerInnen ein brauchbares politisches Dokument, das jedoch in der aktuellen Konstellation nicht mit dem Rückhalt der Legislative rechnen kann. Und die sozialen Bewegungen, die sich mit dem bäuerlichen und umweltschützerischen Kämpfen solidarisieren, waren bei diesem "partizipativen" Prozess überhaupt nicht vertreten. Die aktuelle SituationHeute liegen dem Kongress verschiedene Gesetzesinitiativen über ländliche Entwicklung vor: Die oben genannte, eine, die von der Allianz für eine integrale ländliche Entwicklung (ADRI) eingereicht wurde, welche verschiedene soziale und bäuerlichen Organisationen umfasst, und eine von der Regierung erarbeitete, die ein Konsens der beiden anderen sein will. Analysiert man die "lessons learned" der vergangenen Jahre, ist relativ einfach ersichtlich, was die Herausforderungen an den von Präsident Alvaro Colom initiierten neuen Prozess in Sachen ländlicher Entwicklung sind: - Die Konsensfindung zwischen der umweltschützerisch-bäuerlichen Bewegung und ihrer Alliierten (kleine UnternehmerInnen, Nichtregierungsorganisationen, AkademikerInnen) und dem Regierungssektor, der notorisch einen progressiven und sozialdemokratischen Diskurs vertritt, der aber nicht der Mehrheit entspricht, sowie einem Präsidenten, der sich, wenn er sich gegenüber den UnternehmerInnen positionieren muss, zwischen ungestüm und unterwerferischer Reue bewegt. - Sollte tatsächlich eine solche Einigung zustande kommen und eine konsensfähige Gesetzesinitiative vorgelegt werden, wer garantiert, dass die Kongressabgeordneten der Regierungspartei UNE, die so divers und heterogen wie die Regierung selber ist, auch wirklich dahinter stehen? - Sollte das Wunder der Unterstützung durch die UNE-Abgeordneten eintreten, wie kann erreicht werden, dass auch die anderen Parteien die Zustimmung geben für ein Projekt, das "nur" vom Präsidenten, der Regierungspartei und den sozialen Organisationen ausgearbeitet wurden? - Und last but not least: Werden die Führungsspitzen der UnternehmerInnen ein Gesetz und eine Politik akzeptieren, deren finale Ausformulierung zwar "partizipativ" war, sie aber nicht daran beteiligt waren? Wie man sieht, der Weg geht steil bergan. Sicher darf man das Engagement der Regierung (oder eines Teils von ihr) nicht ausser acht lassen, einen Konsens mit den BäuerInnen- und Umweltschutzorganisationen zu erreichen. Hoffentlich findet sich eine Form, damit auch die politischen Parteien in den Prozess einbezogen werden, da ja diese Initiative, sollte sie erfolgreich sein, auf den Schreibtischen des Kongresses landet. Hoffentlich findet sich auch eine Form, die UnternehmerInnen einzubeziehen, und zwar so, dass sie zu einer Konsenslösung beitragen und nicht durch ihre Abwesenheit einmal mehr die Umsetzung des so oft wiederholten Prozesses verunmöglichen. |
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