Wahlklima = Gewaltklima
Fijáte 393 vom 12. Sept. 2007, Artikel 3, Seite 5
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Wahlklima = Gewaltklima
Guatemala, 08. Sept. Mehr als 50 Personen haben während der Kampagne der Wahlen 2007 auf gewaltsame Weise ihr Leben verloren. In ihrer Mehrheit handelt es sich dabei um AspirantInnen auf Posten eines Bürgermeisteramtes und andere lokale Stadtratsämter. Aber auch KandidatInnen für den Kongress, BeraterInnen und Familienangehörige von politischen AktivistInnen bzw. AmtsinhaberInnen sind zu Opfern geworden. Allein im Mord gegen den Berater der Patriotischen Partei (PP), Rodolfo Vielmann Castellanos, im März 2006 ist der Täter jetzt zu 33 Jahren Haft verurteilt worden, und nur im Fall des Mordes an dem Aspiranten auf einen Parlamentssitz für die Nationale Einheit der Hoffnung (UNE), Mario Piraval, der nur einen Monat später stattfand, schliesst die Staatsanwaltschaft politische Motive nicht aus. Es ist wohl die Schwierigkeit der Definition politischer Gewalt, die einige TäterInnen veranlasst, den Wahlkontext zur Irreführung der Ermittlungen zu nutzen. Gleichzeitig ist auf lokaler Ebene oft bekannt, dass derzeitige AmtsinhaberInnen ihre schmutzigen Geschäfte durch eine Wiederwahl unbedingt decken wollen oder aber das organisierte Verbrechen Schmiergelder zahlt, damit manch eineR seine/ ihre Gegen-Kandidatur zurückzieht. So wurden selbst von den WahlbeobachterInnen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im Vorfeld des Wahlsonntags mindestens 110 Munizipien - von 332 - als Konfliktgefährdet eingeschätzt, sei es während des Urnenganges gegen die Installationen der Wahllokale, Häuser der KandidatInnen oder die Wahlhelfenden oder aber bei der Bekanntgabe der Ergebnisse. Auch zahlreiche Presseleute von Radio, Fernsehen und Zeitung berichten von gewalttätigen Aktionen gegen sich. Sei es - wie gegen viele KandidatInnen v. a. der UNE, PP, der Regierungspartei GANA und dem Encuentro por Guatemala - wenn nicht mit tödlichen Folgen doch mittels Morddrohungen und anderen Einschüchterungsversuchen oder zeitweiliger Geiselnahme. Dies erlebte ein TV-Kameramann, der auf dem Weg nach Cubulco, Baja Verapaz, war. Dort war der amtierende Bürgermeister, der bei den Wahlen für die Patriotische Partei kandidiert, dabei, kurz vor den Wahlen die Umgestaltung des Zentralparks in Angriff zu nehmen. Dafür sollten zahlreiche Bäume gefällt werden. Die Bevölkerung, die diese Aktion für Propaganda hält, versuchte mit Hilfe der Vermittlung durch den indigenen Bürgermeister Cubulcos die Situation zu klären, doch der "offizielle Bürgermeister" verweigerte jeglichen Dialogversuch. Der indigene Repräsentant der Gemeinde sollte daraufhin auf Befehl von oben seine Bürgermeisterei verlassen. Die protestierenden AnwohnerInnen machten sich wütend auf den Weg des Wohnhauses des Bürgermeisters, wo dessen Bodyguards sie mit Schlägen und Schüssen erwarteten. Ein 43jähriger Mann und ein zufällig anwesender 11jähriger Schuhputzjunge wurden tödlich getroffen, sechs weitere Menschen verletzt. Die Polizei schaffte es, den Bürgermeister samt Familie vor dem Groll der Bevölkerung zu retten. Diese machte sich die Funde in dem Wohnhaus des Stadtvorstehers zur Beute: drei grosse Pakete mit Bargeld, nach Polizeischätzungen etwa 2 Mio. Quetzales, und eine Menge an Juwelen. Der Bürgermeister hatte sein Amt 12 Jahre in Folge inne. So wie dieser hoffen insgesamt 263 (von 322) BürgermeisterInnen auf eine Wiederwahl, teilweise zum 5. oder 6. Mal und meist unter einer anderen Parteiflagge als der vorherigen. Auf der Liste der Kongressabgeordneten sind es 121 KandidatInnen von den 159 "alten", von denen nach Schätzungen rund 95, als 60% ihren Sitz so gut wie sicher haben. Dabei gilt Guatemala als Friedhof der Parteien: seit 1984 sind 64 Parteien wieder von der Wahlbühne verschwunden. Aber die schwarzen Kampagnen unter den KandidatInnen, zu denen mancherorts die gegenseitige Zerstörung der Wahlplakate gehört oder die Duplizierung von Personalausweisen, die Einschreibung von längst Verstorbenen oder, im Grenzgebiet, die Einschreibung von HonduranerInnen ins Wahlregister, werden auch auf der nationalen Ebene geführt. So beschuldigen sich UNE-Kandidat Alvaro Colom und Otto Pérez Molina von der PP gegenseitiger Intrigen und prangern die offensichtlichen Schwächen des anderen an - Coloms Partei ist nicht frei von Mutmassungen, Mitglieder des organisierten Verbrechens in ihren Reihen zu haben, ausserdem wird der Kandidat als Weichling dargestellt - demgegenüber sieht sich Pérez mit seiner militärischen Vergangenheit und aktiven Zeit während des internen bewaffneten Konflikts u. a. im Quiché konfrontiert. Nach oben |
Ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzungen bzw. Regierungsprogramme, über die sich die Parteien profilieren könnten, gab es bis zum Schluss nicht. Auch zahlreiche Foren, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen zu relevanten Themen wie Sicherheit, die Landfrage, Frauen, Indígenas, Jugend und anderen Aspekten organisiert worden waren, wurden von den eingeladenen PräsidentschaftskandidatInnen kaum ernst genommen. Vielmehr hatten diese, wenn sie denn teilnahmen, wenig dazu zu sagen. Doch, trotz aller Mahnungen von Seiten des Obersten Wahlgerichts (TSE), eine friedliche Kampagne zu fahren, unterstrich diese Instanz auch diesbezüglich einmal mehr sein Image völliger Ineffizienz. Trotz angeblicher Informationskampagnen wussten kurz vor Sonntag viele Wählende immer noch nicht, an welchem Ort sie wählen müssen. Durch den neuen Plan der Dezentralisierung wurden viele neue Wahllokale eingerichtet, doch die Zuweisungen von WählerIn und Lokal waren nicht immer von Vorteil für die BürgerInnen. Ausserdem ging das TSE weder konsequent gegen den inoffiziellen Start der Parteienpropaganda lange vor der Einläutung des Wahlprozesses vor noch gegen das Unterlassen seitens der grossen Parteien, die Quellen ihrer Finanzierung offen zu legen und das vom TSE bestimmte Budgetlimit von 42 Mio. Quetzales zu beachten. Während die ehemaligen Zivilpatroullisten (Ex-PAC) drohen, wichtige Strassenzüge am Tag der Wahlen zu blockieren, wenn sie die dritte Rate ihrer "Entschädigungszahlungen" nicht erhalten, stellt vor allem das Wetter den Risikofaktor Nr. 1 dar. Infolge des Hurrikan Felix werden weiterhin starke Regenfälle erwartet, die der Bevölkerung den Weg zu den Urnen mit Erdrutschen versperren können. Vor einer Woche sind 12 von 15 SympathisantInnen der UNE auf dem Rückweg von einer abgesagten Wahlveranstaltung, von einem durch den Regen angestiegenen Fluss mitgerissen worden, den sie mit ihrem Pick-up durchqueren wollten. Drei Personen konnten gerettet werden. Die Wahlen am 9. September, die vierten demokratischen infolge seit 1985, werden die "bestbeobachtesten" sein: Nationale und internationale Freiwillige, die internationalen Missionen und nationale wie internationale JournalistInnen summieren sich zu rund 70´000 akkreditierten BeobachterInnen. |
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