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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Müll wählen

Fijáte 387 vom 13. Juni 2007, Artikel 9, Seite 6

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¡Híjole...! Die einmonatliche Kolumne von Fernando Suazo: Müll wählen

Der Wahlakt entspricht dem Umgang mit Gefühlen, die durch Gerüchte und Versprechen beeinflusst sind. Es werden keine Regierungsprogramme über die wirklich wichtigen Themen diskutiert: Was wird aus der Justiz? Was wird aus der Lebensqualität (VGGesundheitNF, Bildung, Wohnraum, Infrastruktur)? Wie steht es um die wirkliche Beteiligung, ohne Ausschluss? Wie steht es um die nationale Souveränität (Ernährung und Naturressourcen)? etc.

Deswegen verstehe ich eine andere Haltung, auf die ich auch immer wieder treffe, durchaus. Viele Männer und Frauen schauen sich diesen Tumult an und schweigen. Er zieht einfach an ihnen vorbei. Niemand hat ihnen beigebracht, in politischer Sprache auszudrücken, was sie denken und niemand bietet ihnen alternative Antworten an. Einen leeren Stimmzettel abgeben? Aber was wird dann aus unserer Demokratie? Nichtsdestotrotz errate ich in ihrem distanzierten Schweigen jene Unstimmigkeit, die der VGspanischeNF Meister Miguel de Unamuno für gewöhnlich ausdrückte: "dies ist es nicht und das ist es nicht…" Wer interpretiert und kümmert sich um diese Stimmen der schweigenden Mehrheit?

Ich ziehe es vor, mich diesen vorsichtigen, schweigenden und zum Schweigen gebrachten BürgerInnen anzunehmen. In ihnen entdecke ich, dass die Identität (welche die kollektive Erinnerung und der Entwurf eines Lebens in Würde ist) nicht für einen Teller Bohnen zu verkaufen ist oder für einen Parteibeitritt. Ich verstehe durch sie, dass die Demokratie, die uns aufgedrückt wird, die Aufkündigung unsere Identität mit einschliesst. Diese Demokratie zielt darauf ab uns glauben zu machen, dass die Leidenschaften in der Vorwahlzeit alle vier Jahre das Gleiche sind wie die Leidenschaften, die tagtäglich unsere Identität als gedemütigte Frauen und Männer nähren, als ausgeschlossene Maya, als Opfer der VGStraflosigkeitNF, als ausgeraubtes Land, als Peripherie der Welt... Politische Parteimitgliedschaft anstelle von Identität, das scheint die Formel zu sein. Und sie scheint zu funktionieren.

In verlassenen Gegenden unseres Guatemalas stehen handgeschriebene Schilder mit anregenden Rechtschreibfehlern. Auf einigen steht in Grossbuchstaben: "PROIVIDO VOTAR BASURA" (wörtliche Übersetzung: Es ist verboten, Müll zu wählen.) Sie schreiben "wählen" anstelle von "(in die Gegend) werfen" (v und b werden oft synonym verwendet, was aber die Bedeutung des Wortes völlig verändern kann). Ich gestehe, ich kann beim Lesen ein arglistiges Schmunzeln nicht unterdrücken. "Das ist es", sage ich mir dann, "was uns noch bleibt in diesem Possenspiel, das sie immer noch repräsentative Demokratie nennen: Wir stellen auf allen Wahltischen Schilder auf mit der Aufschrift: "Es ist verboten, Müll zu wählen".


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