Barbarischer Regen und tatenlose Autoritäten
Fijáte 387 vom 13. Juni 2007, Artikel 8, Seite 5
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Barbarischer Regen und tatenlose Autoritäten
Guatemala, 07. Juni. Er hiess Bárbara, der Regensturm, der Anfang des Monats über den Westen Guatemalas hinweg in Richtung Mexiko zog und seine Spuren hinterliess: In der am Pazifik gelegenen Gemeinde Ocós, Departement San Marcos, deckte er hunderte von Häusern ab und überschwemmte den Grossteil der Felder. Die BewohnerInnen mussten die Region verlassen und sind zumeist in temporären Herbergen untergebracht. Der strömende Regen hält derweil im westlichen Hochland, dem Süden und an der Pazifikküste an und hat bereits zwei Todesopfer gefordert. In San Antonio Palopó, Sololá, wurden zwei Kinder während der Feldarbeit in einem Flusstal von den Wassermassen verschüttet. Im Departement Escuintla, in dem besonders häufig bei Regenfällen die Flüsse über die Ufer treten, stehen ebenfalls ganze Gemeinden unter Wasser, einige Abschnitte der Überlandstrassen sind schon beschädigt. Und das ist erst der Anfang der diesjährigen Regenzeit, die sich bis November hinziehen wird. Erwartet werden bis dahin insgesamt 16 "grosse" Regenstürme, von denen acht als so signifikant eingeschätzt werden, dass sie einen eigenen Namen bekommen sollen, wie Bárbara. Allein im Monat Mai lag der Niederschlag um 84% über den normalen Werten. Die Erinnerungen an, Erfahrungen mit und die weitläufige Zerstörung durch den Tropensturm Stan im Oktober 2005 liegen gerade einmal anderthalb Jahre zurück. Anderthalb Jahre, in denen von autoritärer Seite hehre Versprechen eingegangen und gute Vorsätze gefasst wurden. Die wenigsten davon sind bis heute erfüllt. Auch wenn die Verkehrsinfrastruktur weitgehend repariert oder ersetzt wurde, sind von den angekündigten Wohnprojekten noch kein einziges fertig gestellt, 7911 betroffene Familien (80% aller) leben immer noch in überfüllten Herbergen ohne die geringste Grundausstattung, die übrigen, die auf ein neues Heim warten, mussten sich einmieten oder sind bei Angehörigen untergekommen. Für etwa die Hälfte der neu anzusiedelnden Familien sind vom Staat mittlerweile 48 Fincas gekauft worden, von denen die ersten derzeit urbar gemacht werden. Das Sozialaudit des Wiederaufbaus nach Stan durch die BürgerInneninitiative Acción Ciudadana (AC) hat unterdessen Zweifel angemeldet angesichts des plötzlichen Anstiegs der Anträge auf Wohnungsbausubvention von 13´558 auf 22´054. Offiziell wird das Phänomen dadurch erklärt, dass bei der ersten Befragung viele Familien nicht zugegen gewesen wären und die Katastrophenschutzkoordinationsstelle CONRED eine neue Umfrage mit den neuen Ergebnissen durchgeführt habe. Auf Nachfrage weiss man bei CONRED nichts von dieser Umfrage. Acción Ciudadana befürchtet einen wahlpolitischen Missbrauch von öffentlichen Geldern, und dass viele der "neuen" AntragstellerInnen in persönlicher Beziehung zu EntscheidungsträgerInnen stehen. Auch die schleppende Übergabe von Wohnhäusern an die Betroffenen und die Tatsache, dass nur ein geringer Teil der Bauten tatsächlich mit allen Versorgungsleistungen ausgestattet sind während die übrigen bloss aus zwei Wohnräumen bestehen sollen, weil das Geld nicht für mehr reiche, stellt AC in Frage. Bereits seit Anfang des Jahres wurden die meteorologischen Vorhersagen der zu erwartenden Regenzeit bekannt gemacht und zahlreiche Gemeinden, die nach Stan immer noch in temporären Unterkünften aus Blech und Plastik leben, machten wiederholt auf ihre prekäre Situation aufmerksam. Doch erst Mitte Mai stellte CONRED ihren Katastrophenvorsorgeplan 2007 vor. Dabei versicherte sie, sowohl ausreichend Räumlichkeiten für die temporäre Unterbringung von Evakuierten sowie zur Lagerung von Hilfsgütern vorbereitet und Einsatz- und Räummaschinerie in Stellung gebracht zu haben. Nach oben |
Doch das Menschenrechtsprokurat (PDH), das den Generalplan vor Ort jeweils überprüfte und sich dabei von lokalen Autoritäten begleiten liess, konnte nichts davon bestätigen. Im Gegenteil, es gebe nicht einmal eine Liste der für den Einsatz vorgesehenen Unterkünfte, von einer entsprechenden Vorbereitung der möglichen Herbergen in ausgewiesenen Risikozonen ganz zu schweigen. Diese würden erst im tatsächlichen Fall in Funktion genommen. Dabei hat auch CONRED bereits Schätzungen vorgenommen: Demnach laufen im ganzen Land 390´538 Personen Gefahr von Überschwemmungen betroffen zu werden, während 25´500 durch Erdrutsche gefährdet sind. Allein 20´000 von diesen leben in 32 exponierten Ansiedlungen in und nahe der Hauptstadt. Dort wurde gerade der ausgerufene Notstand im Stadtviertel San Antonio, Zone 6, ein weiteres Mal verlängert, wo sich seit dem 22. Februar ein riesiges Loch auftut. (siehe ¡Fijátes! 380, 381) Inzwischen ist die These widerlegt, der Krater habe sich aufgrund von geologischen Verschiebungen aufgetan. Genauere Untersuchungen weisen vielmehr darauf hin, dass dieser auf die fehlende Instandhaltung des Abwassersystems und hier konkret um die Verstopfung der Zu- und Abflüsse des unterirdischen Sammelbeckens zurückzuführen ist. Zudem gäbe es an dieser Stelle einen unterirdischen Fluss, der seine Wasser durch die Kanäle transportiert. Die gegenseitigen Beschuldigungen zwischen Stadtverwaltung und Regierung führten dazu, dass erst einen Monat nach dem Unglück mit den Reparaturarbeiten begonnen wurde, die mindestens sechs Monate dauern werden. Das Menschenrechtsprokurat (PDH) hat mittlerweile festgestellt, dass dem Nationalen Meteorologischen Institut (INSIVUMEH) bereits 1989 aus San Antonio gemeldet wurde, dass etwas mit den Dränagen nicht in Ordnung sei und die Erde immer wieder beben würde. 1997 wiederholten die AnwohnerInnen ihre Klage, reichten sie diesmal beim Munizipalen Wasserunternehmen (EMPAGUA) ein. Jetzt nach dem Aufriss des Kraters, behaupten die Autoritäten, am 18. Februar dieses Jahres das erste Mal von der Problematik gehört zu haben, als ein Fernsehsender davon berichtete und AnwohnerInnen interviewte. Derweil wird das Gelände von PolizeibeamtInnen gesichert, die aber bereits Unmut provoziert haben. Nachts, so beschweren sich die AnwohnerInnen, würden sie betrunken Skandale machen oder sässen herum und spielten Karten, anstatt ihrem Job nachzugehen. Und das unterirdische Grollen geht weiter, während die beginnende Regenzeit den Abwasserstrom anwachsen lässt und Ungeziefer und Gestank in das Viertel treibt, in dem immer noch in gefährlicher Nähe zu dem Krater die BewohnerInnen auf Hilfestellung wartet. |
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