Linke Annäherungen
Fijáte 370 vom 18. Oktober 2006, Artikel 2, Seite 3
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Linke Annäherungen
Guatemala, 13. Okt. Seit der Wahlniederlage der URNG Ende 2003 ist sich die guatemaltekische Linke einig, dass sie keine gewichtige politische Kraft darstellt, solange sie in Einzelgruppen und -Parteien zersplittert ist. Man müsse die Leute von der Basis her organisieren und früh genug beginnen, einen Bewusstseinsprozess in die Wege zu leiten, um für die Wahlen 2007 eine gestärkte und geeinte Linke präsentieren zu können, hiess es damals. Es brauche neue Strukturen in den hierarchischen und Personenzentrierten linken Parteien (URNG, ANN) und es sei vor allem eine Verjüngung der Parteimitglieder anzustreben. Die persönlichen Interessen einzelner ProtagonistInnen müssten hinter den politischen Interessen eines "anderen Guatemala" zurückstehen. Unterdessen sind drei Jahre verstrichen. Die mit sechs Parlamentssitzen stärkste linke Kraft im Kongress, die Allianz Neue Nation (ANN), ist aufgebrochen: Nineth Montenegro hat schon relativ früh ihr eigenes Projekt Encuentro por Guatemala (EG) lanciert, zu dem sie auch UnternehmerInnen, Intellektuelle und VertreterInnen von Berufsverbänden einlud, die sich nicht der traditionellen Linken verpflichtet fühlen, immer vorausgesetzt, sie verfolgen "demokratische Prinzipien". Ihre KritikerInnen werfen Montenegro vor, dass sie die Linke Richtung Zentrum verlassen habe. Allgemeinen Respekt verschafft sie sich jedoch dadurch, dass sie bisher nicht in die Gerüchte über mögliche Wahlallianzen involviert ist. Anders ihr ehemaliger Gegenspieler in der ANN, Pablo Monsanto, der seine Partei einer Gruppe von rund 20 ehemaliger Militärs öffnete (siehe ¡Fijáte! 359), welche "die Prinzipien der ANN teilen". Selbstverständlich würden keine Militärs akzeptiert, die in der Vergangenheit in Menschenrechtsverletzungen involviert gewesen seien, versicherte Monsanto. Trotzdem hatte sein Entscheid zur Folge, dass die 55 Mitglieder der ANN Jugendpartei JUANN aus der Mutterpartei austraten. Gerne bemühen die linken Ideologen grosse Worte wie "Transparenz", und "Vaterland" (César Montes), "Niederschlagung der Oligarchie", und "Avantgarde" (Hector Nuila), "Soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung" (Pablo Monsanto), "die guatemaltekische Version der Sozialdemokratie" (Álvaro Colom), um die Notwendigkeit einer starken und handlungsfähigen linken Allianz zu betonen. Ansonsten vergingen die letzten Monate mit von Berührungsängsten geprägten Annäherungsversuchen und Abgrenzungen unter der Linken, der Halblinken, der indigenen Linken und der je nach Opportunität Linken. Die Notwendigkeit, sich sektorübergreifend zusammenzuschliessen, sehen auch die ausserparlamentarischen sozialen Organisationen und Bewegungen, die sich in der Vergangenheit vorwiegend ihren jeweils eigenen Themen verschrieben haben (siehe dazu Interview mit Carlos Gonzales). Dem Aufruf von URNG und ANN vom letzten März, eine gemeinsame "Politische Front" zu gründen, begegneten sie vorerst mit zahlreichen "Aber". Die allgemeine Kritik der sozialen Bewegungen an den linken Parteien, fasste Roberto Matiz von der Frente Nacional de Lucha (FNL) folgendermassen zusammen: "Die linken Parteien unterscheiden sich nicht gross von den traditionellen: Es fehlt ihnen der Kontakt zu den Leuten". Eine weitere Befürchtung ist, dass die parteipolitische Arbeit die führenden Köpfe der sozialen Organisationen absorbieren würde und diese sich einer Parteiagenda unterordnen müssten. Die linken Parteien umgekehrt kritisieren, dass ihre Arbeit im Kongress nicht genügend Unterstützung von der "Strasse" erhalte. Nach oben |
Noch während das gegenseitige Ab- und Vortasten stattfand und niemand sich auf die Äste hinaus lassen wollte, setzte die ANN plötzlich Pflöcke und Pablo Monsanto erklärte sich am 3. Juli 06 als der von seiner Partei auserkorene Präsidentschaftskandidat. Anfang September wurde dann unter dem Titel "Ein anderes Guatemala ist möglich. Aufruf zur Gründung einer sozial-politischen linken Front (FSPI)" ein Papier veröffentlicht, das zwar inhaltlich nicht viel Neues bietet, jedoch von einer beeindruckenden Auswahl linker Persönlichkeiten unterzeichnet ist. "Guatemala braucht einen Richtungswechsel. Unsere Nation fordert mit Dringlichkeit die politische Teilnahme aller Kräfte und Personen, die sich den höchsten Werten und den Menschenrechten verpflichtet fühlen. Guatemala verlangt Einheit, um das herrschende perverse System auszubremsen", heisst es in dem Text. Unterzeichnet wurde es u.a. von den Intellektuellen Carlos Guzmán Bockler und Tania Palencia, dem Lehrergewerkschaftsführer Joviel Acevedo, der ehemaligen indigenen Bürgermeisterin von Sololá, Dominga Vázquez, der Feministin Sandra Morán, dem ehemaligen FDNG-Kongressabgeordneten Antonio Móvil oder Hector Rosada, Leiter der Verhandlungsdelegation der Regierung bei den Friedensabkommen. InitiantInnen des Dokuments sind das Kollektiv der sozialen Organisationen (COS), die Volksbewegung MICSP und die URNG. Seither ist die FSPI in aller Munde, in vielen Zeitungseditorials präsent und scheint eine grosse Anziehungskraft auf alle sich links definierenden Leute zu haben, die die Hoffnung auf Veränderung noch nicht ganz aufgegeben haben. Über 400 Personen haben sich bisher dem Projekt verpflichtet. Doch noch lange nicht die ganze Linke: Nineth Montenegro begrüsste gegenüber der Presse zwar die Gründung dieser linken Plattform, will sich aber vorerst noch nicht zu einer möglichen Beteiligung äussern. Ihr vordringliches Ziel sei die Gründung der eigenen Partei. Und Pablo Monsanto von der ANN kritisierte, es ginge bei dem Papier nicht um den Inhalt, sondern um die Namen, die darunter stehen (seiner nicht). In Guatemala gäbe es nur zwei linke Projekte, seines und die URNG. Er würde die Leute nicht dazu ermuntern, der Frente beizutreten, sondern der ANN, meinte Monsanto. Die URNG hat ihre FSPI-Unterstützung auf ihrem kürzlichen Parteitag noch einmal unterstrichen. Offen bleibt vorläufig die Frage, ob und wie die FSPI an den nächsten Wahlen auftritt. Geht es um ein langfristiges politisches Projekt oder um ein temporäres, wahlpolitisches Bündnis? Es bleibt zu hoffen, dass die Initiative nicht bereits über die Diskussion über eineN möglicheN Präsidentschaftskandidaten/-in wieder auseinander bricht. |
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