Minen und Tourismus - entweder oder
Fijáte 371 vom 1. Nov. 2006, Artikel 2, Seite 2
Original-PDF 371 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 --- Nächstes Fijáte
Minen und Tourismus - entweder oder
Das in den letzten Jahren in die Schlagzeilen geratene Thema des Minentagebaus in Guatemala hat eine lange Geschichte, die mit dem Nickelabbau in El Estor, Izabal, beginnt. Bereits 1955 wurde dort in Bodenproben Mineralgehalt festgestellt. Die erste Lizenz für den Abbau von Nickel erhielt das transnationale Unternehmen INCO, das später zusammen mit der kanadischen Hanna Mining die EXMIBAL (Exploration und Explotation der Minen in Izabal) gründete. Um dieses Unternehmen unter möglichst günstigen Konditionen führen zu können, übten seine Besitzer den entsprechenden Einfluss auf die guatemaltekische Gesetzgebung aus. So schafften sie es beispielsweise, sich um die Zahlung von 53% Einkommenssteuer zu drücken, indem sie das Unternehmen als "im Aufbau" deklarierten und so während der ersten 5 Jahre gänzlich steuerfrei operieren konnten. Laut nicht überprüfbaren Aussagen ehemaliger Minenarbeiter, wurde in El Estor nicht nur Nickel, sondern auch Gold und Uran abgebaut. EXMIBAL erhielt 1965 eine Konzession für vierzig Jahre. Kurz bevor diese Konzession im Jahr 2005 auslief, wurde das Unternehmen an die Guatemaltekische Nickel-Kompanie (CGN), ein Tochterunternehmen der kanadischen Skye Resources verkauft, das sich jetzt erneut um eine Lizenz bemüht. Der nachfolgende Artikel beruht auf einem Gespräch mit Eloyda Mejía, Präsidentin der Umweltorganisation Amigos del Lago aus El Estor. Als Tourismusfachfrau zeigt sie die Widersprüche zwischen der zerstörerischen Ressourcenausbeutung und dem für die Region angestrebten "sanften" Tourismus auf. Seit in der Gegend von El Estor Minerale abgebaut werden, gibt es Protest dagegen und als Antwort darauf Repression seitens des Staates oder der mineneigenen Sicherheitskräfte, denn, für erfolgreiche Geschäfte braucht es politische Stabilität. Anfang der 60er Jahre störte die in der Zone operierende Guerilla diese Stabilität. Die Aufstandsbekämpfung hatte eine extreme Militarisierung zur Folge, im Rahmen einer längerfristig angelegten "Befriedungskampagne" des Militärs kamen in der Gegend rund 3´000 Menschen ums Leben. Unter den erstarkenden Volksbewegungen der siebziger Jahre waren es vor allem linksnationalistische Kreise, die gegen die Verträge zwischen der guatemaltekischen Regierung und ausländischen Bergbauinvestoren protestierten. Zu den damaligen GegnerInnen gehörte eine Ad-hoc-Kommission der staatliche Universität San Carlos, der u.a. auch Alfonso Bauer Paíz angehörte. Kurz bevor ein weiteres für den Staat nachteiliges Abkommen mit EXMIBAL im Jahre 1971 zustande kam, gab es ein Attentat auf die kritischen Anwälte Bauer Paíz und Julio Camey, wobei der Zweitgenannte ums Leben kam. Mit der Unterzeichnung der ILO-Konvention 169 über die Rechte der indigenen Völker durch die guatemaltekische Regierung im Jahr 1996 trat eine neue Opposition auf den Plan. In der Region von El Estor ist 90% der Bevölkerung indigener Herkunft, als Sprachrohr ihres Protestes gegen den Minenbau betätigte sich die Maya-Organisation AEPDI. (Unterdessen gibt es Gerüchte, dass die Organisation "gekauft" wurde und sich nicht mehr gegen die Minentätigkeit wehrt.) Seit einigen Jahren wird auch aus einer anderen Ecke Protest gegen die Minen rund um den Izabal-See laut. In El Estor gibt es nämlich eines (der wenigen gut funktionierenden) von landesweit 35 Komitees für selbstverwalteten Tourismus. Vorsitzende dieses Komitees ist Eloyda Mejía, ebenfalls Präsidentin der Vereins Amigos del Lago Izabal (ASALI, Freunde des Izabal-Sees). Ihre Argumente gegen die Minen sind umweltschützerischer Natur. Auf das Thema aufmerksam wurde Mejía, als sie merkte, dass es grosse Widersprüche und unvereinbare Interessen zwischen den Plänen der Minenunternehmen und den Projekten im Rahmen des sanften Öko-Tourismus gibt, den ihre Vereinigung fördert. Den Ursprung ihres Engagements gegen die Minen beschreibt Eloyda Mejía so: "Wenn du auf der einen Seite die Versprechen der Unternehmer hörst, die von Fortschritt sprechen und von Steuern, die sie bezahlen wollen und auf der anderen Seite siehst, dass El Estor eine sehr arme Gemeinde ist, deren Entwicklungs- und Gesundheitsindex zu den niedrigsten des Landes gehört, dann wirst du irgendwann neugierig und willst genauer wissen, was da eigentlich vor sich geht". Bei ihren Untersuchungen fanden die Amigos dann heraus, dass EXMIBAL sich der Guatemaltekischen Nickel-Kompanie CGN für den "symbolischen Preis" von rund 95'000 Euro verkauft hat, was etwa dem Budget eines durchschnittlichen Projekts eines kommunalen Entwicklungsrates und in der Praxis den Kosten für den Bau von rund 800 Metern Gemeindestrasse entspricht. Die Fachfrau in Entwicklung und Tourismus phantasiert gerne darüber, was aus dem Minenprojekt hätte gemacht werden können, wenn es die Gemeinde für denselben "symbolischen Preis" hätte kaufen können... Eloyda Mejía ist denn auch nicht grundsätzlich gegen den Abbau von Mineralien. Was sie stört ist einerseits, dass weder das Land selber, geschweige denn die Bevölkerung, davon begünstigt werden und vor allem, dass keinerlei umweltschützerische Massnahmen getroffen werden. Im bzw. unter dem See selber gibt es auch Gas- und Ölvorkommen. Bereits dreimal wurden entsprechende Probebohrungen gemacht. Zuerst sei Shell involviert gewesen, danach sondierte Halliburton und als drittes ein guatemaltekisches Unternehmen, die Petróleos del Atlántico, erzählt Mejía. Diese Unternehmen seien alle mit dem selben Entwicklungsdiskurs gekommen, aber in den Untersuchungen von Shell und Halliburton habe es ganz klar geheissen, dass es eine sehr fragile und für Umweltunfälle anfällige Zone sei, die man eigentlich unter Naturschutz stellen müsste. Sämtliches Schmutzwasser der umliegenden Ortschaften fliesst in den See, der vielen Leute als Lebensgrundlage dient: Sie beziehen ihr Trinkwasser und ihre Nahrung (Fische) daraus. Dazu Mejía: "Wenn wir nicht einmal in der Lage sind, die Überfischung des Sees zu verhindern, wie wollen wir Kontrolle darüber haben, was für Gifte von der Industrie in den See abgeführt werden?" Die Amigos del Lago arbeiten eng mit den Entwicklungsräten der Gemeinden (Cocode) rund um den Izabal-See zusammen und unterstützen diese bei kleinen, aber wichtigen Projekten für die Verbesserung des Gemeindewohls. Weiter informieren sie die lokale Bevölkerung über die Entwicklungen im Minenbau und helfen ihnen bei Einsprüchen gegen das Minenunternehmen oder das Energieministerium, das zuständig für die Vergabe von Lizenzen ist. Nach oben |
"Der Izabal-See ist ein Schatz, aber er ist auch eine Gefahr. Um ihn dreht sich hier in der Region alles. Seine Verschmutzung ist unser Ende", so Eloyda Mejía. Und weiter: "Die Politik der Regierung ist sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite spricht sie davon, durch die Vergabe von Bergbaulizenzen das Land der Wirtschaft und dem Fortschritt zu öffnen. Auf der anderen Seite will man den Tourismus fördern. Dieses Jahr ankerten 58 Kreuzfahrtschiffe an der Atlantikküste Guatemalas. Diese "Industrie ohne Kamine", der Tourismus, soll ausgebaut werden. Die Regierung hat kürzlich die Lizenz für den Bau eines Kreuzfahrtschiffhafens vergeben, der die Anlegekapazität für jährlich 200 Kreuzer haben soll. Das sind 400'000 TouristInnen, die nicht nur in Livingston oder in Puerto Barrios bleiben werden, sondern die das Landesinnere besuchen wollen. Bis jetzt kommen sie nur bis Río Dulce, doch der Izabal-See bietet sich eigentlich als Tourismusziel an, und je nach Service, den wir bieten können, kommen die Leute auch. Doch wenn wir ihnen einen verschmutzen See, verschmutzte Flüsse und zerstörte Landschaften bieten, kommen sie sicher nicht." Seit dem Jahr 2000 haben sich nun auf Initiative von Eloyda Mejía die BesitzerInnen von Hotels und Restaurants von El Estor organisiert, um gemeinsam für mehr Bekanntheit und besseren Service zu werben. Es wurde ein Konzept entwickelt, wie die Gemeinde durch den Tourismus zu mehr Entwicklung und zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der lokalen Bevölkerung kommen kann. Es wurde eine Webseite erstellt, Prospekte und Karten der Region mit den wichtigen Sehenswürdigkeiten und Angeboten zusammengestellt, ein Internetcafé eröffnet, Annehmlichkeiten, wie sie TouristInnen wünschen. Solche kleinen Initiativen gab es in verschiedenen Gemeinden und man beschloss, sich in einem Komitee zusammenzuschliessen. Zwar hatte parallel dazu auch das staatliche Tourismusinstitut INGUAT ähnliche Pläne von lokalen Tourismusvereinigungen, doch klappten diese Projekte nie richtig, weil es an Begleitung und Beratung fehlte. Die selbstorganisierten Komitees hingegen haben eine gemeinsam entwickelte Vision, auf die sie hinarbeiten. Ist es nicht etwas naiv, den Tourismus als die Lösung aller Probleme zu sehen? Dazu Eloyda Mejía: "Ich bin mir absolut im Klaren darüber, dass der Tourismus nicht die Lösung für die Entwicklung der Region ist. Man muss die Sache sehr sorgfältig angehen. Um wirklich zur Entwicklung einer Region beizutragen, muss der Tourismus von der lokalen Bevölkerung betrieben werden. In El Estor gibt es Leute, die haben seit 25 oder 30 Jahren schlecht laufende Hotels. Wenn man nun mehr TouristInnen herholt, profitieren nicht nur die HotelbesitzerInnen sondern alle: die Tortillaverkäuferin auf dem Markt, die mehr Tortillas an die Restaurants verkaufen kann, ebenso die Gemüsehändlerin, die Fischer. Wir haben auch eine Idee, wie der Überfischung des Sees begegnet werden kann: Fischer, die den See ihr Leben lang kennen, bilden sich zu Touristenführer aus und bieten Seerundfahrten zu den Naturschutzgebieten an. Mit einer vierstündigen Tourismus-Tour auf dem See verdient der Fischer, was er früher in einem Tag verdient hat. Es geht bei dieser Art von Tourismus darum, den Reichtum, den uns die Natur schenkt, so zu benutzen, dass alle ihn geniessen können und er dabei nicht zerstört wird." Im Tourismus liegt ein Potential. Im Moment wird er durch die Minen und die Umweltzerstörung bedroht. Wenn der See weiterhin als Endlager für die im Minenbau benötigten Giftstoffe dient, sind bald alle Fische vergiftet oder ausgerottet. Während Jahren war der See z.B. überwuchert von einer asiatischen Wasserpflanze Namens Hydrilla Verticilata. Es ist unklar, wie diese in den See kam. Es könnten die Zugvögel gewesen sein, sie könnte auch in den Propellern der Schiffsmotoren von Shell oder Halliburton eingeführt worden sein, die von Miami kamen, wo die Hydrilla vorkommt. Es gibt auch den Verdacht, dass sie versehentlich ausgesetzt wurde, die Pflanze wird normalerweise in den Fischaquarien als Wasserpflanze verwendet. Sie wächst so dicht, dass man mit Motorbooten nicht mehr durchkommt, weil sie sich in den Motorschrauben verwickelt. Unter den entsprechenden Bedingungen wächst sie bis zu 10 cm täglich. Bei ihren Untersuchungen haben die Amigos del Lago herausgefunden, dass die grösste Konzentration der Hydrilla dort wuchs, wo es an der Küste Monokulturen mit Afrikanischer Palme oder Bananen gab und dort, wo das Minenunternehmen seine Abwasser einfliessen liess. Das heisst, die Pflanze braucht einen gewissen Grad an Wasserverschmutzung, um überhaupt wachsen zu können. "Wir machten die Sache publik, luden JournalistInnen auf eine Bootsfahrt ein und baten sie, darüber zu berichten. Die Story löste eine ziemliche Aufregung aus, man sprach von einer ausserirdischen Pflanze, die Regierung verhängte den "Ausnahmezustand" über den See, ansonsten passierte nichts. Unsere Vereinigung hat dann die Sache weiter verfolgt und wir entdeckten, dass die Regierung vorhatte, die Pflanze mit Herbizid zu bekämpfen, worauf wir sofort eine Klage beim (als moralische Instanz funktionierenden) Zentralamerikanischen Wassergericht einreichten und verlangten, dass man das Einzugsgebiet des Sees als etwas Einheitliches betrachtet und entsprechend integrale Lösungen für die auftretenden Umweltprobleme sucht. Die Reaktion der Regierung auf das "Urteil" des Wassergerichts war, eine Maschine herzubringen, mit der die Pflanze abgeschnitten wurde. So wie sie sich jedoch vermehrt, entstand aus jedem abgeschnittenen Teil eine neue Pflanze." Normalerweise regeneriert sich der See auf natürliche Weise, aber bei Phänomenen wie dem Tropensturm Mitch oder wenn Gift in den See fliesst, kommt alles aus dem Gleichgewicht. Erstaunlicherweise und trotz allem, was ihm zugefügt wird, erholte er sich in den letzten Jahren und die Ausbreitung der Pflanze dämmte sich "von selber" ein. Und die Zukunft? Eloyda Mejía: "Ich denke, es wäre an der Zeit, sich zu überlegen, was aus dem Departement Izabal eigentlich gemacht werden soll. Denn die beiden Aktivitäten, Tourismus und Minenbau, sind absolut unvereinbar. Will man die Region weiter industrialisieren, okay, aber dann können wir mit dem Tourismus aufhören, weil es in zehn oder fünfzehn Jahren hier nichts mehr gibt. Will man hingegen auf Tourismus setzen, muss die Regierung die notwendigen Massnahmen gegen die Minen ergreifen. Ein weiteres Problem, das wir jetzt schon haben, das aber zunimmt, wenn man sich offiziell für den Tourismus entscheidet, ist, dass wir als lokale TourismusanbieterInnen hart um unser Überleben kämpfen müssen. Bereits jetzt wurde am Seeufer die erste Baubewilligung an eine internationale Hotelkette vergeben. Auf der anderen Seite gibt es keine Regierungspolitik, um den lokal betriebenen Tourismus zu fördern. Beantragst du als lokale Hotelbesitzerin bei der Bank einen Kredit, um den Service in deinem Hotel zu verbessern, musst du Wucherzinsen bezahlen. Deshalb wiederhole ich: Wenn der Tourismus wirklich etwas zur Entwicklung der Region beitragen soll, dann muss er einer längerfristigen Strategie folgen und in erster Linie eine Alternative für die lokale Bevölkerung sein." |
Original-PDF 371 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 --- Nächstes Fijáte