So sieht Entwicklung aus
Fijáte 377 vom 24. Jan. 2007, Artikel 1, Seite 1
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So sieht Entwicklung aus
Das neue Jahr begann schlecht für die Gemeinden in El Estor, deren Bevölkerung sich gegen das Projekt Fénix der Guatemaltekischen Nickelkompanie (GCN) wehrt (siehe ¡Fijáte! 371). Nachdem bereits Ende 2006 Räumungen angedroht und zum Teil ausgeführt wurden, erwecken die jüngsten Ereignisse fast den Eindruck, als habe man die Feiertage nutzen wollen, um möglichst ohne Aufsehen weitere Räumungen durchzuziehen. Wir veröffentlichen einen Augenzeuginnenbericht von Dawn Paley von Rights Action. Bekannt wegen der Präsenz der INCO-Nickelmine seit den frühen 60er- bis Mitte der 90er-Jahre ist die Region von El Estor seit einiger Zeit erneut im Rampenlicht. Vor drei Jahren übernahm die in Vancouver angesiedelte Skye Resources das Unternehmen, mit dem Versprechen, eine neue Ära von Entwicklung und der Schaffung von Jobs für die lokale Bevölkerung einzuläuten. Vor Ort hingegen charakterisiert sich die Präsenz des Unternehmens durch gewaltsame Räumungen, die von einer Runde in die nächste gehen. Mitte September 2006, nachdem etwa fünf Familien sich auf einer bereits überbesiedelten Parzelle in der Ortschaft Chichipate, im Westen der Stadt El Estor, niederliessen, beschlossen rund 400 Familien, aufgeteilt in sechs Gruppen, Land zu besiedeln, das der guatemaltekischen Tochterfirma der Skye Resources, der Guatemaltekischen Nickelkompanie CGN gehört. Die Mehrheit der Leute, die an dieser, von einigen "Landbesetzung" genannten Aktion teilnahmen, gehören der Ethnie der Q'eqchi's an und sind BäuerInnen. Ihr Hauptinteresse ist es, ein Stück Land zu haben, um durch Subsistenzwirtschaft ihre Familien zu ernähren. Eine dieser Siedlungen heisst Barrio Revolución. Sie entstand im Verlauf der letzten Monate auf einem Stück Land, das seit Jahrzehnten unbenutzt und entsprechend unproduktiv war. Trotz der ihnen in den Weg gelegten Hindernisse - unter anderem wurde die Siedlung am 12. November gewaltsam geräumt (siehe ¡Fijáte! 374) - bauten die Gemeindemitglieder ihre Häuser sowie ein Versammlungslokal, in dem ihre regelmässigen Treffen stattfanden, wieder auf und begannen, Mais und Bohnen zu säen. Ich besuchte die Gemeinde erstmals Anfang Dezember, kurz nach der ersten Räumung. Die Leute zeigten mir ihre mit Strohdächern gedeckten Häuser, die zum Teil noch im Bau waren. Ihr Versammlungsort bestand aus einem grossen Palmdach auf Holzpfeilern, einem gestampften Lehmboden und selbst gezimmerten Bänken. Trotz aller Schwierigkeiten, denen sie ausgesetzt waren, strahlten die Mitglieder der Gemeinde ein Gefühl der Hoffnung aus. Doña Fidelia, eine ältere Frau die im Barrio Revolución lebt, erklärte, dass sie das Land zurücknehmen und nicht erobern. Einige der BewohnerInnen seien auf diesem Land geboren worden, bevor irgendein Minenunternehmen überhaupt in die Region kam. In Bezug auf die EXMIBAL, die die kanadische INCO in den 60er-Jahren in der Region ansiedelte, sagte Fidelia: "Unsere Eltern waren vor der EXMIBAL hier". EXMIBAL wurde im Jahr 2004 von Skye Resources aufgekauft, für welche heute die CGN das "Projekt Fénix" führt. Der Gemeindefriedhof zeugt von den Worten Doña Fidelias. Auf ihm finden sich nämlich Grabsteine aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Friedhof liegt im Zentrum von Barrio Revolución. Als die EXMIBAL begann, Land aufzukaufen und zu roden, wurden die Leute entweder mit falschen Versprechungen übers Ohr gehauen oder vertrieben. Einige wurden umgebracht. Mit fester Stimme erzählte Doña Fidelia, was ihren Eltern widerfahren ist, die sich mit Leib und Seele der Verteidigung ihres Landes verschrieben und dafür mit ihrem Leben bezahlt hatten. Geschichten wie die von Doña Fidelia sind kein Einzelfall in dieser Region, die auch vom bewaffneten Konflikt nicht verschont blieb. Auch wenn gewisse Dinge sich seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen Ende 1996 definitiv geändert haben, lebte bei der Bevölkerung seit den Land(wieder)besetzungen im September und den darauf folgenden Drohungen der CNG-Skye Resources ein Gefühl der Angst und Unsicherheit wieder auf. Leute, die ich im Dezember traf, erzählten von regelmässigen Helikopterüberflügen, unfruchtbaren Treffen mit den VertreterInnen des Unternehmens, die nicht erlauben, dass die Gemeinde ihre RechtsvertreterInnen oder ÜbersetzerInnen zu den Gesprächen mitbringen, und von der Horrornacht im November, als hunderte von Militär- und Polizeiangehörigen die Leute aus dem Barrio vertrieb. Diese erste Räumung fand am 12. November statt, ohne richterlichen Befehl, wie dies das guatemaltekische Gesetz eigentlich verlangt. AugenzeugInnen berichten, dass die Räumungstruppen von dem Gelände der CNG her kamen und zum Teil unternehmenseigene Fahrzeuge benutzten. Barrio Revolución erhielt für den 27. Dezember 2006 einen zweiten Räumungsbefehl. Dieser weihnachtliche Räumungsbefehl schien ein Versuch der CGN-Skye Resources zu sein, diesmal "legal" vorzugehen. Am Morgen des 27. Dezembers waren die Leute von Barrio Revolución vorbereitet und erwarteten das Schlimmste. Erst über das Lokalradio erfuhren sie, dass die Räumung nicht an diesem Tag stattfinden würde. Doch die Erleichterung war von kurzer Dauer. Der nächste Räumungsbefehl war auf den 8. Januar 2007 ausgestellt. Als ich am 7. Januar abends in El Estor ankam, spürte ich sofort, dass etwas in der Luft lag. Dutzende von Polizeiautos blockierten die Zugangsstrassen zur Stadt Río Dulce. Die Polizei war überall. Am nächsten Morgen war klar, dass die Räumung stattfinden würde. Nach oben |
Die RäumungNachdem sie sich um 8 Uhr beim Hauptquartier der CGN-Skye Resources versammelt hatten, näherten sich die von rund 200 Militärangehörigen begleiteten 430 PolizistInnen dem Barrio Unión, einer ebenfalls wiederbesetzten Gemeinde mit ca. 70 Familien. Während sich die Polizei in Einerreihe zwischen der Gemeinde und der Hauptstrasse aufstellte, las Staatsanwalt Rafael Andrade Escobar den BewohnerInnen den Räumungsbefehl vor. Rückblickend und unbeachtet der Tatsache, dass die Räumung ungerecht war, muss gesagt werden, dass in Barrio Unión die Dinge angemessen verliefen. Den BewohnerInnen wurde die nötige Zeit eingeräumt, um ihre Habseligkeiten zusammen zu suchen, die Häuser wurden von Angestellten der CNG-Skye Resources sorgfältig abgebaut. Die zweite Räumung fand am selben Tag etwas später in La Pista statt. Hier beschlossen die BewohnerInnen, die Gemeinde zu evakuieren, bevor die Polizei und das Militär kamen. Ihre Häuser wurden weniger sorgfältig zerlegt, einige wurden niedergebrannt. Gegen Abend machten Spekulationen die Runde, dass nun Barrio Revolución, eine der grössten und am besten organisierten Gemeinden, als nächstes an die Reihe käme. Am Morgen des 9. Januar versammelten sich die Polizei und das Militär erneut im Hauptquartier der CGN-Skye Resources. Ein Polizeikonvoi in der Länge von mehreren hundert Metern, jedes Fahrzeug mit mindestens vier schweren Geschützen bewaffnet und schwarz uniformierte Polizisten füllten die Strassen. Private, bewaffnete Sicherheitskräfte, die T-Shirts des Minenunternehmens trugen, fuhren weisse Pick-ups. Andere Sicherheitskräfte versteckten sich in den Gebüschen längs der Strasse und von oben wurde die Szene aus einem Helikopter observiert. Im Visier waren das Barrio Revolución und das Barrio La Paz. Etwa um 9.45 Uhr setzte sich der Treck in Richtung Barrio Revolución in Bewegung. Anstatt dass der Staatsanwalt einen Räumungsbefehl verlas, drangen Polizeikräfte in die Gemeinde ein und "sicherten" den Fluss, der durch die Siedlung floss. Danach wurden die Häuser eingekreist und die BewohnerInnen in den westlichen Teil von Barrio Revolución gedrängt, wo sich der Versammlungsplatz befindet. Von Polizeikräften umringt, warteten dort etwa 50 Personen auf das Erscheinen des Staatsanwaltes, darunter etwa ein Dutzend Frauen und einige Kinder. Alles niederbrennenIn der Ferne leuchtete orangenes Licht auf. Es wurde grösser und Rauch begann die Luft zu erfüllen: Ein Haus auf der anderen Seite des Flusses brannte. Staatsanwalt Andrade Escobar stand etwas abseits, als ein zweites und ein drittes Haus zu brennen begannen. Er berief sich darauf, dass sein Mobiltelefon keinen Empfang habe, damit er seine Männer zurückrufen könnte. Sein Befehl, mit dem Niederbrennen der Häuser aufzuhören, sei auf der anderen Seite des Flusses nicht angekommen. Und er versicherte, er würde rechtliche Schritte gegen die Angestellten des Minenunternehmens einleiten, die die Häuser in Brand setzten. Auf die Frage, weshalb diese überhaupt die Häuser niederbrannten, wenn doch die Räumung der Siedlung die Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei, antwortete Andrade Escobar: "Ich habe die Verantwortung über jenen Sektor (auf der anderen Seite des Flusses) dem Anwalt des Minenunternehmens übergeben, der (und nicht die Staatsanwaltschaft) nun auch die Verantwortung dafür trägt, was dort geschieht". Nachdem fast alle Häuser im westlichen Sektor von Barrio Revolución in Flammen standen, konnten endlich die zwölf Angestellten des Minenunternehmens, die sich der Zerstörung der Häuser widmeten, gestoppt werden. Während sich die Hitze des Feuers ausdehnte, durchkämmten etwas 60 Armeeangehörige die Felder und den nahe gelegenen Wald. Cesar Bora von der Indigenen- und BäuerInnenkoordination CONIC beschreibt das Vorgehen "ähnlich der Situationen, wie wir sie aus der Zeit des bewaffneten Konflikts kennen". Endlich verlas Staatsanwalt Andrade Escobar auch seinen Räumungsbefehl. Er ordnete an, dass die BewohnerInnen von Barrio Revolución ihre Häuser jetzt abbrechen sollten, falls sie nicht bereits niedergebrannt waren. Entwicklung bringt VertreibungDas in Brand setzen der Häuser war illegal und eine Machtdemonstration seitens des Minenunternehmens. Nachdem er den Räumungsbefehl verlesen hatte, verlies Andrade Escobar sofort den Ort des Geschehens, um sich an die vierte Räumung, in Barrio La Paz, zu machen. Nach dem Desaster in Barrio Revolución erschien die Räumung von Barrio La Paz fast friedlich, obwohl die legale Basis dafür sehr fraglich ist. Hunderte von Familien wurden im Verlauf von 48 Stunden obdachlos, weitere Räumungen sind für die nächsten Tage geplant. Unter Polizeiaufsicht räumten die Familien von Barrio Revolución und Barrio La Paz die Überreste von dem, was einst ihre Häuser waren, zusammen und retteten, was zu retten war. Im Verlaufe des Nachmittags begann es zu regnen, doch die Leute hatten keinen Ort, wo sie hingehen und sich unterstellen konnten. Ihre Zukunft ist unsicher. Noch trauern sie dem Verlust ihrer Habseligkeiten und Häuser nach, doch der Wunsch, auf diesem Land zu leben, besteht weiterhin. Solange das Minenunternehmen und der guatemaltekische Staat ihre Strategien nicht radikal ändern, oder die kanadische Regierung Einfluss auf das Schalten und Walten von Skye Resources in Guatemala nimmt, wird sich dieser verzweifelte Konflikt verschärfen. |
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