10 Jahre Friedensabkommen - Wenig wurde erreicht
Fijáte 376 vom 10. Januar 2007, Artikel 3, Seite 3
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10 Jahre Friedensabkommen - Wenig wurde erreicht
Zehn Jahre nach den Friedensabkommen stellen wir fest, dass - trotz einiger Veränderungen - der Grossteil derselben nicht umgesetzt wurde. Hauptgrund dafür ist der mangelnde politische Wille der Herrschenden, die im Bemühen darum, ihren status quo aufrechtzuerhalten, die Umsetzung verunmöglicht haben. Von Mario Polanco von der Menschenrechtsorganisation Grupo de Apoyo Mutuo (GAM). Unbestritten gibt es heute in Guatemala mehr Spielräume, um Ideen oder politische Ideologien zu diskutieren. Es gibt positive Entwicklungen im Kunstbereich, in der Literatur und in der Malerei. Es gibt keine institutionelle Verfolgung von politischen oder sozialen Oppositionellen mehr, ebenso hat sich der Organisierungsgrad der Bevölkerung im Vergleich zu den schlimmsten Zeiten des Staatsterrors um ein Vielfaches verbessert. Leider - und bedauerlicherweise gibt es immer ein "leider" - haben wir keinen Fortschritt in Sachen Bekämpfung der Straflosigkeit zu verzeichnen. Trotz der aktuellen Meinungs- und Ideologienfreiheit war es bisher nicht möglich, die Verbrechen der jüngsten Vergangenheit zu verfolgen; und die dafür Verantwortlichen erfreuen sich nach wie vor ihrer Freiheit. Obwohl es keine offizielle Staatspolitik zur Verfolgung von Oppositionellen mehr gibt, gibt es offenbar eine solche, um die Verbrecher dieser langen und dunklen Terrornacht, die unser Land durchlebt hat, zu schützen. Es war bis heute nicht möglich, auch nur einen Prozess gegen Militärangehörige anzustreben, die in das gewaltsame Verschwindenlassen von Personen involviert waren. Gemäss Daten der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) waren das Militär und die paramilitärischen Strukturen für 94 Prozent der 1112 während des bewaffneten Konflikts begangenen Massaker verantwortlich. Budgetdiskussionen: Fürs Militär nie genugDer Militarismus ist auch heute noch im Alltagsleben präsent. Er manifestiert sich z.B. in den kombinierten Polizei-Militär-Patrouillen, die im ganzen Land anzutreffen sind, oder in den für die innere Sicherheit zuständigen staatlichen Institutionen: Sowohl der Verteidigungsminister wie der Chef des Generalstabs sind Militärs. Jedes Jahr zwischen September und November treten sowohl die/der Finanzminister/in und der Präsident an die Öffentlichkeit und machen sich für das Militär stark - jedes Mal mit dem Argument, dass, um die Friedensabkommen einzuhalten, das Militärbudget erhöht werden müsse. Dieses soll gemäss Friedensabkommen einen gleichbleibenden Prozentanteil des Bruttoinlandprodukts ausmachen (das heisst, mit jeder BIP-Steigerung wächst auch das Militärbudget real). Aber keineR von diesen FunktionärInnen spricht je davon, dass auch die Budgetposten «Bildung» (5%) und «Gesundheitswesen» (2%) im Friedensabkommen an das Bruttoinlandprodukt gekoppelt worden sind. Im «Abkommen über die Rolle des Militärs in einer demokratischen Gesellschaft» steht die Kürzung des Militärpersonals um ein Drittel fest. Dieser Kompromiss wurde tatsächlich eingehalten, wobei zu betonen ist, dass sich zwar die Anzahl der SoldatInnen verringert hat, nicht jedoch die Macht und der Einfluss des Militärs im zivilen und politischen Leben. Reduziert wurde die Anzahl der "einfachen" SoldatInnen, während sich die militärische "Mittelschicht", bestehend aus einer Vielzahl von mässig ausgebildeten Offizieren, halten konnte - zu einer Professionalisierung der Armee hat dies aber nicht beigetragen. Die im selben Abkommen beschworene Stärkung der zivilen Behörden wurde bisher nicht in die Praxis umgesetzt. Im Falle der Armee reizt man also das in den Friedensabkommen definierte Maximalbudget aus, während der Erziehung im Jahr 2006 keine 1,7 % des BIP zugestanden wurden - und für 2007 diskutiert man über eine Erhöhung auf 2,3 %. Weshalb machen sich die Finanzbehörden und die Regierung nicht mit demselben Eifer für eine Erhöhung der Sozialausgaben stark? Traurig aber wahr: Zehn Jahre nach der Friedensunterzeichnung bildet das Militär noch immer die faktische Macht in Guatemala. Explosive SituationDie Militärangehörigen, daran gewöhnt, ihre Einkünfte und ihre Macht durch schmutzige Kriegsgeschäfte und Menschenrechtsverletzungen zu garantieren, befürchteten mit den Friedensabkommen das Ende ihres modus vivendi. Entsprechend suchten sie sich andere Formen, um zu Geld zu kommen, Formen die sich häufig im illegalen Bereich befinden. Viele Ex-Militärs dienen heute dem organisierten Verbrechen, andere halten ihren Einflussbereich auf die Regierung oder bei den Sicherheitskräften aufrecht und beliefern diese Strukturen mit Waffen oder Personal. Diese Verbindungen zwischen Militärs, Ex-Militärs und dem organisierten Verbrechen hat zur Folge, dass Guatemala zu einem Nährboden wird, auf dem sich die fatalen Situationen, in denen wir bereits heute leben, bestens kultivieren - und irgendwann explodieren - können. Nach oben |
Ausdruck dieser nach wie vor die Politik durchdringenden Macht des Militärs ist, dass mehrere der provisorischen Wahlkandidaten Ex-Militärs sind. Einer davon - mit nicht unerheblicher Chance auf den Präsidentensitz - ist der General Otto Peréz Molina, der verspricht, mit «eiserner Hand» gegen die aktuelle Gewaltwelle vorzugehen. Wirtschaft: Ungerechte VerteilungWas die wirtschaftliche Situation betrifft, lebt ein Grossteil der Bevölkerung nach wie vor in Armut. Gemäss offiziellen Daten nehmen 50 Prozent der Kinder in Guatemala nicht die täglich zum Leben notwendige Kalorienzahl zu sich. Ganz abgesehen von den Buben und Mädchen, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht zur Schule gehen können. Auch die Arbeitslosigkeit wächst täglich, während gleichzeitig die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt. In jüngster Zeit ist eine neue Art temporärer Arbeitsverträge aufgekommen, welche die Angestellten von jeglichen Sozialleistungen und Arbeitsplatzsicherheiten ausschliessen. Diese Verträge werden jeweils für die Dauer eines Jahres abgeschlossen, die Arbeitsbezeichnung lautet vielversprechend «BeraterIn» (consultorA). Dies provoziert grosse Verunsicherung und Frustration in der Bevölkerung. Der Unterschied zwischen Arm und Reich wächst. Während eine Minderheit in Opulenz und Privilegien lebt, weiss die Mehrheit nicht, was sie morgen ihren Kindern auf den Tisch bringen soll. Im Jahr 2006 sind die sozialen Unterschiede viel grösser als zu Beginn des bewaffneten Konflikts in den 1950er Jahren. Die ethnischen Ungleichheiten spiegeln sich zusätzlich und vor allem in den Departements mit indigener Bevölkerungsmehrheit wider. Departements wie El Quiché oder Huehuetenango erhalten z.B. weniger als 2 Prozent des nationalen Etats, während das Departement Guatemala, in dem die Hauptstadt liegt und nur etwa ein Fünftel aller GuatemaltekInnen lebt, ganze 48 Prozent des Budgets bekommt. Womit der Zentralismus - entgegen den in den Friedensabkommen festgeschriebenen Dezentralisierungsbestrebungen - einmal mehr nachgewiesen wäre. Die operativen Abkommen, in denen es unter anderem um die Demobilisierung der Guerilla geht, wurden buchstabengemäss umgesetzt, womit garantiert werden konnte, dass sich nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen keinerlei Art von bewaffneten Auseinandersetzungen mehr wiederholten. Dies allein ist ein wichtiger Erfolg. Es bleibt nur die Hoffnung…Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Empfehlungen der Wahrheitskommission CEH, die sich sehr eng an die Friedensabkommen hielten, nicht umgesetzt, ja sogar von den Regierungen seit 1999 (als der Bericht abgeschlossen und der nationalen und internationalen Öffentlichkeit vorgelegt wurde) ignoriert wurden. Einer der wenigen Punkte, die in den Empfehlungen der CEH und im Friedensabkommen über die Menschenrechte festgehalten ist, und von dem man sagen könnte, dass er sich in Umsetzung befindet, ist derjenige über die Entschädigung der Opfer der während dem Krieg begangenen Menschenrechtsverletzungen. Aber auch hier gibt es Schwierigkeiten und Hindernisse, die den Prozess erschweren. Was bleibt, ist die Hoffnung der Bevölkerung, dass sich irgendwann irgendetwas ändern muss. Dass die Friedensabkommen eines Tages umgesetzt werden müssen und dass der Aufbau einer Demokratie und des Friedens in Guatemala einmal Realität sein werden. |
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