Guatemala, 10 Jahre danach... Die Beteiligung der Frauen am Friedensaufbau in Guatemala
Fijáte 374 vom 13. Dezember 2006, Artikel 1, Seite 1
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Guatemala, 10 Jahre danach... Die Beteiligung der Frauen am Friedensaufbau in Guatemala
von Luz Méndez, Leiterin der Nationalen Frauenunion Guatemalas UNAMG EinführungAnlässlich des zehnten Jahrestages der guatemaltekischen Friedensabkommen möchte ich nochmals betonen, wie wichtig und wertvoll sie sind. Sie sind ein Konsens, erarbeitet von den verschiedenen AkteurInnen der guatemaltekischen Gesellschaft und sie sind auch heute noch ein Werkzeug für soziale Veränderungen. Die Friedensabkommen bilden die umfassendste Plattform, die Guatemala je hatte, um sozioökonomische Entwicklung, demokratische Prozesse und die Respektierung der Identität und Rechte der indigenen Bevölkerung voranzutreiben. Trotz des Widerstands, den die wirtschaftlichen und politischen Kräfte, aus denen in den letzten Jahren die jeweiligen Regierungen Guatemalas hervorgingen, der Umsetzung der Friedensabkommen entgegensetzten, zeigten diese ihre Wirkung. Erwähnenswert ist das Abkommen über die Identität und die Rechte der indigenen Bevölkerung. Sein "Erfolg" beruht nicht in erster Linie auf der Umsetzung durch die Regierungsinstanzen sondern, indem es enorm zur (Selbst-) Anerkennung der indigenen Kultur und Rechte beiträgt und auch den MestizInnen ermöglicht, den multikulturellen Reichtum der Gesellschaft wertzuschätzen. Die Friedensabkommen geben auch dem Kampf der Frauen um ihre Rechte die notwendige Legitimität und schaffen eine Basis, um gleichberechtigte Beziehungen zwischen den Geschlechtern aufzubauen. Auf der sozioökonomischen Ebene konnten die Abkommen weitaus am wenigsten ausrichten. Die ungleichen Verhältnisse und Strukturen bestehen weiterhin und ein Grossteil der Bevölkerung lebt nach wie vor in Armut. Gleichzeitig spitzen sich Probleme wie die Kriminalität und die Sicherheitsfrage zu. Im Vergleich zu Friedensabkommen in anderen Konfliktregionen, enthalten die guatemaltekischen spezifische Punkte, um die sozialen Bedingungen und den Status der Frauen sichtbar zu machen und sie betonen die Gleichstellung von Männern und Frauen. Ich werde später noch genauer darauf eingehen, wie es möglich war, diese Dimension in ein Abkommen einzubringen, dessen eigentliches Ziel die Beendigung des bewaffneten Konflikts ist. Um den Beitrag der Frauen am Friedensprozess und Wiederaufbau sichtbar zu machen, werde ich drei Etappen genauer beschreiben: Erstens die Zeit der Verhandlungen, zweitens die Strategien, die Frauen entwickelt haben, um in der Umsetzungsphase zu erreichen, dass ihre Forderungen berücksichtigt werden, und drittens ihr Engagement bei der Aufarbeitung der Geschichte und der Suche nach Gerechtigkeit - auch für frauenspezifische Verbrechen, die im Rahmen des Krieges ausgeübt wurden. I. Die FriedensverhandlungenDie Aufnahme geschlechtsspezifischer Abkommen war möglich dank der Themenbreite der Agenda und dank des Settings, in dem sie stattfanden. Es ging nicht bloss um einen Waffenstillstand, um die Entwaffnung und die Demobilisierung, wie das meist bei Friedensabkommen der Fall ist, sondern es standen praktisch alle Themen von nationaler Bedeutung zur Diskussion. Was das Setting betrifft, war der ausschlaggebende Faktor, um die Frauen in den Friedensabkommen sichtbar zu machen, ihre direkte Repräsentation in den verschiedenen, an den Verhandlungen beteiligten Sektoren. Einer dieser Sektoren war die Vereinigung der Zivilgesellschaft (ASC), in der die Frauenbewegung sich eine Vertretung erkämpfte, denn eine reine Frauen-Interessensvertretung war ursprünglich nicht vorgesehen. Innerhalb der ASC betrieben die Frauen Lobbyarbeit und erstellten ihren eigenen Forderungskatalog, den sie gegenüber den anderen Gruppierungen verteidigten und so erreichten, dass ihre Forderungen als Teil der Forderungen der gesamten ASC in die Verhandlungen zwischen der Regierung und der Guerilla einflossen. Eine weitere Möglichkeit, Frauenforderungen einzubringen, war der Verhandlungstisch, an dem die Frauen - wie üblich, wenn es um wichtige politische Entscheidungen geht - untervertreten waren. Dies war sowohl bei den Delegationen der Regierung und der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG) der Fall, aber auch bei den Vertretungen der UNO sowie bei den die Verhandlungen begleitenden "Befreundeten Ländern". Ich selber war Teil der Delegation der URNG. Dies bedeutete für mich, eine doppelte Verantwortung zu übernehmen: Auf der einen Seite musste ich die Interessen der revolutionären Bewegung vertreten, auf der anderen Seite war ich durch mein Engagement in der Frauenbewegung auf geschlechtsspezifische Diskriminierung sensibilisiert und setzte mich dafür ein, dass auch diese Themen in die Verhandlungen aufgenommen wurden. Auch wenn ich keine entscheidende Position in der Verhandlungsdelegation hatte, konnte ich Einfluss nehmen, Dinge vorantreiben und durch Hartnäckigkeit erreichen, dass die in der ASC erarbeiteten Frauenforderungen in die Abkommen aufgenommen wurden. Die vierte Weltfrauenkonferenz von Beijing 1995, an der ich teilnehmen konnte, war für mich eine riesige Stütze und Stärkung. Die Konferenz fand genau zu dem Zeitpunkt statt, als in Guatemala über das sozioökonomische Abkommen und die Landfrage verhandelt wurde. Die von der Konferenz verabschiedete Aktionsplattform gab mir enormen Rückhalt, denn sie umfasst auch ein Kapitel zu "Frauen und bewaffnete Konflikte" in dem speziell auf die Wichtigkeit hingewiesen wird, dass Frauen an politischen Entscheidungsprozessen teilnehmen müssen und eine Geschlechterperspektive in die Konfliktbearbeitung integriert werden muss. So hat auch die internationale Frauenbewegung mit ihren Forderungen ihren Teil zum guatemaltekischen Friedensprozess beigetragen. Es war dieses Zusammenspiel verschiedener Umstände und Begebenheiten die es möglich machten, dass die Frauen in Guatemala zu einer "kritischen Masse" erstarkten und verschiedene Spielräume nutzen konnten, um Frauen- und Gleichstellungsforderungen in die Verhandlungen einzubringen. II. Die UmsetzungsphaseNach der Unterzeichnung der Friedensabkommen haben sich die Frauenorganisationen und die Frauen, die in gemischten Zusammenhängen aktiv waren, für deren Umsetzung eingesetzt. Wir erarbeiteten Vorschläge, nahmen politischen Einfluss, entwickelten Aktionspläne und vieles mehr. Dabei hatten wir sowohl Erfolge wie auch Rückschläge zu verzeichnen.Als Ergebnisse dieses Engagements wurde z.B. die Defensoría de la Mujer Indígena gegründet, die dazu beträgt, die unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen, in denen indigene Frauen verhaftet sind, aufzuzeigen. Im Leben indigener Frauen kommt die ethnische Unterdrückung mit der geschlechtsspezifischen zusammen, ausserdem leben die meisten von ihnen in Armutsverhältnissen. Weiter wurde der Nationale Frauenfonds gegründet, der es erlaubte, Gleichstellungsfragen landesweit zu thematisieren. Als Ergebnisse dieses Engagements wurde z.B. die Defensoría de la Mujer Indígena gegründet, die dazu beträgt, die unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen, in denen indigene Frauen verhaftet sind, aufzuzeigen. Im Leben indigener Frauen kommt die ethnische Unterdrückung mit der geschlechtsspezifischen zusammen, ausserdem leben die meisten von ihnen in Armutsverhältnissen. Weiter wurde der Nationale Frauenfonds gegründet, der es erlaubte, Gleichstellungsfragen landesweit zu thematisieren. Trotz dieser Erfolge auf legislativer und exekutiver Ebene gelang es uns auf juristischer Ebene nicht, dass sexuelle Belästigung als ein Delikt anerkannt wurde. Es gab grossen Widerstand gegen diese Forderung, speziell seitens staatlicher Institutionen. Ebenfalls konnte bisher nicht durchgesetzt werden, dass im Rahmen der Bildungsreform die Schulbücher so umgeschrieben werden, dass sie der Diskriminierung der Frauen keinen Vorschub leisten. Dies sind nur zwei von vielen nicht oder nur mangelhaft umgesetzten Kompromissen der Friedensabkommen. Nach oben |
III. Der Kampf um Gerechtigkeit für FrauenMit dem Friedensschluss erhielten Frauen auch vermehrt Zugang zur Justiz, zu Wiedergutmachungsprogrammen und waren beteiligt an der Aufarbeitung der Geschichte. Die Wahrheitskommission (CEH) zeigte die sozioökonomischen und politischen Gründe auf, die zum bewaffneten Konflikt führten, ebenso seine Auswirkungen. Sie schloss ihre Arbeit ab mit einer Liste von Empfehlungen, die sie als grundlegend für den Aufbau des Friedens sah, z.B. die Bewahrung des historischen Gedächtnisses oder die Würdigung und Entschädigung der Opfer. Die Wahrheitskommission brachte eine Dimension des Krieges ans Licht, über die man sehr wenig weiss und noch weniger wird darüber gesprochen: Die sexuelle Gewalt gegen Frauen, die als ein Teil der Aufstandsbekämpfung systematisch und massiv durch Angehörige der verschiedenen staatlichen Sicherheitsapparate ausgeübt wurde. Vergewaltigung wurde zu einer regelrechten Kriegswaffe gegen die Bevölkerung. Zu den Scheusslichkeiten, die den Frauen zugefügt wurden, gehören öffentliche und mehrfache Massenvergewaltigungen, die Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane, öffentliches Ausstellen von verstümmelten weiblichen Körpern, die Vergewaltigung schwangerer Frauen und die Tötung ihrer Föten, über Jahre dauernde sexuelle Ausbeutung und Versklavung der Frauen in Kasernen oder in öffentlichen, vom Militär besetzten Gebäuden in den Gemeinden. All dies hinterliess nicht ausradierbare Spuren bei den Frauen und in den Dorfgemeinschaften: Schuldgefühle, Scham, fehlendes Selbstvertrauen und körperliche Krankheiten. Ganz zu schweigen von den sozialen Konsequenzen. Bis heute erleiden Frauen, die vergewaltigt wurden, sozialen Ausschluss und Ablehnung, sowohl von der Gemeinde wie auch von ihren Familien. Obwohl die Wahrheitskommission in ihrem Bericht all dies erwähnte, gab sie dazu keinerlei Empfehlungen ab. Auch Organisationen, die gegen die Straflosigkeit kämpfen, berücksichtigen in ihrer Arbeit diese Art von Verbrechen viel zu wenig. Um dem Schweigen etwas entgegenzusetzen, hat sich die Vereinigung "Akteurinnen des Wandels - der Kampf der Frauen um Gerechtigkeit" gegründet. Ziel der Organisation ist die Unterstützung von Veränderungsprozessen bei Frauen, die während des Krieges sexuelle Gewalt erlitten haben. Wir sind uns bewusst, dass die patriarchale Unterdrückung in Form von sexueller Gewalt ein soziales Problem ist, das weit über den Krieg hinausgeht. Sie ist eine Realität, die sich aber in Kriegskontexten verschärft. Die Vereinigung der "Akteurinnen" besteht aus der Unión Nacional de Mujeres Guatemaltecas UNAMG, (die dieser Tage für ihre Arbeit den mit 100'000 Dollar dotierten Gruber-Preis erhielt, die Red., siehe separater Artikel), und dem Equipo de Estudios Comunitarios y Acción Psicosocial ECAP. Ihre Arbeitsbereiche sind die psychosoziale Begleitung, die Bewusstseinsarbeit, die Aufarbeitung der Geschichte, die politische Beteiligung und die ökonomische und moralische Entschädigung der Frauen, die im Krieg vergewaltigt wurden - kurz, das Empowerment dieser Frauen. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist das brutalste Mittel, um das System der geschlechtsspezifischen Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Während des bewaffneten Konflikts waren die Vergewaltigungen von Frauen Teil des Genozid, denn die meisten der betroffenen Frauen waren Indígenas. Die Vergangenheit ist eng mit der Gegenwart verbunden. Der Friedensschluss und die Nachkriegszeit haben den Frauen keine Sicherheit gebracht. Im Gegenteil, in den letzten Jahren hat die gezielte Ermordung von Frauen extrem zugenommen. Die mexikanische Feministin und Ethnologin Marcela Lagarde hat dafür den Begriff des Feminizid eingeführt. Die Gewalt gegen Frauen während und nach dem Krieg hat ähnliche Ursachen, die in erster Linie in den ungleichen Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen liegen. Diese Ungleichheiten verstärken sich in einem Kontext der Straflosigkeit, zunehmender Delinquenz und allgemeiner Unsicherheit, wie sie in Guatemala anzutreffen sind. Um die Friedensagenda voranzutreiben, braucht es in erster Linie eine Stärkung der organisierten Frauen und ein Sichtbarmachen ihrer Forderungen und Vorschläge. Ebenso wichtig ist es, Allianzen mit anderen sozialen und politischen AkteurInnen einzugehen, die an den in den Friedensabkommen enthaltenen Veränderungen interessiert sind. Es braucht eine soziale und politisch bewusst agierende Linke, die sich dafür stark macht, dass die Friedensabkommen auf die politische Agenda aller staatlichen Institutionen gesetzt werden. Für uns Frauen bedeutet das Knüpfen solcher Allianzen einen doppelten Aufwand. Einerseits beteiligen wir uns am gemeinsamen Kampf um soziale Veränderungen und gleichzeitig müssen wir innerhalb der gemischten Organisationen, wo wir als Frauen ebenfalls diskriminiert werden, um unsere Rechte und unsere Anerkennung kämpfen. Es geht deshalb im Endeffekt darum, die drei grossen Unterdrückungssysteme abzuschaffen, die die guatemaltekische Gesellschaft ausmachen und beherrschen: die ungerechten wirtschaftlichen Strukturen und deren Auswirkungen wie Armut und extreme Armut, die ethnische Unterdrückung und den Rassismus gegen die indigene Bevölkerung sowie die Geschlechterunterdrückung. |
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