Die Sprache der Tatoo's
Fijáte 367 vom 30. August 2006, Artikel 4, Seite 4
Original-PDF 367 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte
Die Sprache der Tatoo's
Die Kubanerin María Véliz arbeitet an eine Studie über Tatoos als urbane und künstlerische Ausdrucksformen in Zentralamerika. Ihr Studienobjekt sind die Jugendbanden. Frage: Wie müssen in Guatemala Tätowierungen gelesen werden? M.V.: Die Tatoos sind für Bandenmitglieder eine Art Curriculum, sie sind ein Abbild ihrer Lebensgeschichte. Wer nicht tätowiert ist, hat innerhalb der Gruppe keine Identität, und irgendwann ist die Gruppenidentität dann stärker als die individuelle. Die Sprache der Tätowierungen entspricht einer sehr zentralamerikanischen Ikonographie, die für dortige Grossstädte typische Bilder widerspiegelt: Chaos, Ausschluss, Marginalisierung, das Konzept einer Jugend, die nicht Teil des nationalen Lebens ist.Es gibt sehr kunstvolle Tätowierungen. Der Guatemalteke Jorge de León z.B. war Mitglied einer mara (Jugendbande) und sagt, er habe dank der Tätowierungen zur modernen Kunst gefunden. In El Salvador habe ich einen Tatowierer kennengelernt, der im letzten Jahr des Kunststudiums an der Universität ist, für den das Tätowieren nichts anderes ist als eine zusätzliche Technik und ein Experimentierfeld für seine Kunst. Frage: Tatoo als eine Ausdrucksform moderner Kunst? M.V.:Tätowierungen an und für sich können wohl nicht als eine Sparte der modernen Kunst bezeichnet werden. Es geht da wohl eher um eine ethnographische Frage. Tatoos können Kunst sein, sind es aber nicht immer. Es ist eine Ausdrucksform, die davon abhängt, wie man sie trägt, wer sie trägt, wo man sie trägt. Dann spielt noch das Motiv und das Zusammenspiel der verschiedenen Motive eine Rolle. Frage: Im Verständnis der Politik der "harten Hand" gegen die maras, sind Tätowierungen inhärente Symbole der Bandenmitglieder. Sind aber alle, die Tatoos tragen, Mitglied einer Jungendbande? Nach oben |
M.V.: Ich habe mal an einem Sonntag eine Umfrage in einem Einkaufszentrum gemacht. Von den 14 Personen, die ich gefragt habe, ob grundsätzlich alle Tätowierten Bandenmitglieder sind, haben alle 14 mit NEIN geantwortet. Ein spannendes Phänomen und eine Art Klassenfrage. In der Mittel- oder Oberschicht, die ein gewisses Mass an Bildung hat und über die notwendigen ökonomischen Mittel verfügt, haben Tätowierungen eine ganz andere Bedeutung. Sie sind ein Modeaccessoire, gehören dazu, um "in" zu sein. Diese Leute haben ganz gewiss keine sozialen Probleme, ihre Fotos erscheinen nicht in den Zeitungen. Es gibt also einen Unterschied zwischen dieser Art von Tätowierungen und denen, die sich die mareros machen lassen. Für sie sind die Tatoos eine eigene Sprache. |
Original-PDF 367 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte