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"Einen Präsidenten zu stürzen, ist schon recht viel"

Fijáte 349 vom 7. Dez. 2005, Artikel 1, Seite 1

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"Einen Präsidenten zu stürzen, ist schon recht viel"

Frage: Welche Rolle spielte der Staat bei der Konstruktion dieser Identität?

S.A.: Während des internen bewaffneten Konflikts befand sich der Staat in einer Legitimitäts- und Regierungskrise. Er war sich bewusst, dass er eine Integrationspolitik betreiben musste, wenn er nicht kollabieren wollte. In diesem Sinne boten die Friedensabkommen eine Gelegenheit, das Maya-Thema aufzugreifen und einzubeziehen.

Die Ursachen, die zum bewaffneten Konflikt führten, wurden mit den Friedensabkommen nicht behoben, aber sie erlaubten eine gewisse Modernisierung und geben dem Staat den notwendigen Sauerstoff, um noch etwas zu überleben. Das Funktionieren des Staates hängt stark davon ab, ob er es schafft, die Maya-Bewegung zu integrieren. Wenn es aber so weitergeht wie bisher, wenn nur periphere Fragen behandelt werden und die zentralen Elemente wie die Ungleichheit, die Gerechtigkeit und andere Faktoren übergangen werden, wird es unweigerlich wieder eine Krise geben.

Frage: Was bedeutet die Ernennung von Maya-VertreterInnen in Staatsfunktionen?

S.A.: Dies ist eine Sache, die auf zwei Ebenen Spannungen verursacht. Auf der einen Seite ist uns allen klar, dass der Staat seit seinen Anfängen rassistisch und ausschliessend ist und dass die politischen und administrativen Strukturen in diesem Sinne funktionieren. Auf der anderen Seite hat die indigene Bewegung die Forderung nach politischer Beteiligung aufgestellt. Es wurde damit argumentiert, dass wir die Mehrheit der Bevölkerung sind, aber die Politik in Funktion der Minderheit steht, und dass es nicht reicht, ein "Indígena-Gesetz" oder ein "Indígena-Ministerium" zu fordern.

Ein konkretes Beispiel ist der indigene Entwicklungsfonds (VGFODIGUANF) der ein Budget von 20 Mio. Quetzales hat für einen Sektor, der zwischen 40% und 60% der Bevölkerung ausmacht. Oder die VGDefensoría de la Mujer IndígenaNF, die ein Budget von 1 Mio. Quetzales für fast die Hälfte der Frauen dieses Landes zur Verfügung hat. Der Staat hat kleine Institutionen geschaffen für etwas, das einen ganzen Sektor umfassen sollte.

Wenn ein oder eine Indígena einen Staatsposten einnimmt, besteht auf der einen Seite die Befürchtung, dass er oder sie die Ideale der Maya-Bewegung verrät. Und innerhalb des Staates befürchten gewisse FunktionärInnen, dass die Mayas die Sache auf den Kopf stellen und einen umgekehrten VGRassismusNF einführen wollen. Dazu kommt, dass die politischen Parteien keine Nachwuchskader ausbilden. Die sozialen Bewegungen hingegen schon, aber ihre Einflussnahme auf die Regierungspolitik ist sehr gering.

Frage: Könnte eine Maya-Partei zu einer wichtigen politischen Kraft werden?

S.B.: Das Phänomen der sozialen Bewegungen kennen wir in ganz Lateinamerika. In einigen Ländern sind sie erfolgreicher als in anderen. In VGBolivienNF z.B. staunen alle über die Mobilisierungsfähigkeit der bolivianischen Indígenas, dessen Bewegung sich sozialistische Bewegung nennt.

Frage: Diese indigenen Parteien, wie in Bolivien oder VGEcuadorNF, wurden von einigen als tumbapresidente-Bewegungen (Bewegungen, deren Ziel der Sturz des Präsidenten ist) bezeichnet, denen eine politische Vision fehlt.

S.B.: Stell dir vor, einen Präsidenten zu stürzen, ist schon recht viel! Die Demokratisierung kann nur das Mittel sein, nicht das Ziel an sich. Wenn die Institutionalität funktionieren würde, gäbe es solche Bewegungen nicht. Wie kann man das Justizwesen so umgestalten, dass es jemanden, der oder die einen Fehler begeht, nicht gleich einsperrt, sondern andere Formen von "Bestrafung" gesucht werden, wie es die MayaVölker machen? Aber speziell in Guatemala ist der Staat solchen Veränderungen gegenüber total verschlossen.

Frage: Würde eine Indígenapartei ideologisch mit einer linken Partei übereinstimmen?

S.B.: Das hatten wir ja schon zur Zeit des bewaffneten Konflikts. Die indigenen Bewegungen sind eine Antwort des Volkes an die leidende, ausgeschlossene Bevölkerung, die ihre sozioökonomischen Rechte einfordert, ebenso wie andere, nicht-indigene Sektoren. Kraft erhält diese Bewegung dann, wenn sie es schafft, sich mit anderen Sektoren zusammenzuschliessen.


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