Wirtschaftliche Folgen von Stan
Fijáte 346 vom 26. Okt. 2005, Artikel 8, Seite 5
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Wirtschaftliche Folgen von Stan
Guatemala, 21. Okt. Gleichzeitig, wenn nicht gar noch bevor die ersten Hilfslieferungen in die überschwemmte Region der Pazifikküste gelangte, erfuhr man vom Präsidenten der Guatemaltekischen Industriekammer (CIG), Jaime Arimany, dass voraussichtlich 30% der Bananen-, Kaffee- und Maisproduktion in dieser Region durch Stan zerstört wurde und dass wohl Hunderte von ArbeiterInnen des agroindustriellen Sektors entlassen werden müssten. Mit Millionenschäden rechne auch die dortige Papierindustrie, der in der nächsten Zeit wegen der schlechten Strassenzustände keine Rohmaterialien zugeliefert werden könne, weshalb die Produktion eingestellt werden müsse. Ebenso sähen sich die Crevettenzuchten von Escuintla und Retalhuleu, die Pflanzenöl- sowie die Milchindustrie zu Entlassungen gezwungen. Die an den Hängen der Vulkane anbauenden KaffeeproduzentInnen beklagen, dass nicht nur ihre Plantagen zerstört sind, sondern auch die Zufahrtsstrassen, die es ihnen ermöglichen würde, die Produktion auf den Markt und die ArbeiterInnen zu den Pflanzungen zu bringen. Auch in diesem Sektor rechnet man mit Hunderten von zusätzlichen Arbeitslosen. Unterdessen spricht man von landesweit 40% verlorenen Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft. Zum Teil trifft es ganze Dörfer, wie zum Beispiel das in der Nähe von Quetzaltenango gelegene Almolonga, das seine Gemüseproduktion bis weit über die Landesgrenzen hinaus verkaufte. Durch Stan wurden 80% des Dorfes und 100% der Ernte zerstört. Ein weiterer Sektor, der die Folgen des Hurrikans zu spüren bekommt, ist der Tourismus. Obwohl man davon ausgehen kann, dass die Strassen, die an den touristisch attraktiven Atitlán-See führen, zu den ersten gehören, die repariert werden, ist vorübergehend mit einem Rückgang von Feriengästen zu rechnen. Fluglinien sprechen von 15% Stornierungen nach Stan, das Institut für Tourismus (INGUAT) rechnet mit finanziellen Einbussen in der Höhe von 80 Mio. US-$. Doch auch hier darf man nicht allein Stan die Schuld zuschieben: Erstens sind diese finanziellen Verluste übers ganze Jahr hinweg berechnet und zweitens gibt es verschiedene Länder, die seit Monaten ihren BürgerInnen von einem Urlaub in Guatemala abraten. Nicht weil sie Naturkatastrophen längerfristig prognostizieren könnten, sondern wegen der zunehmenden Unsicherheit für TouristInnen und der Gefahr, dass diese Opfer von Raubüberfällen oder anderen Gewalttaten werden. Die Folgen der wirtschaftlichen Einbussen sind absehbar: Armut und angesichts der Unfähigkeit der Regierung, der aktuellen Notsituation zu begegnen oder wenigstens einzugestehen, dass sie damit überfordert ist eine daraus resultierende soziale Krise. Der Mangel an Lebensmitteln in den schwer erreichbaren oder nach wie vor abgeschnittenen Regionen führt zum Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel, so lange es überhaupt noch solche gibt, und zu gesundheitlichen Problemen. (In diesem Zusammenhang und um aufzuzeigen, wie ignorant die Regierung ist, sei hier folgende Anekdote eingeschoben: Das guatemaltekische Gesundheitsministerium, befallen von der Vogelgrippe-Panik, gab bekannt, vorläufig nicht mit ,,handfesten" Massnahmen, sondern mit einer Sensibilisierungskampagne auf das Thema aufmerksam zu machen. Dazu gehört die Information der Bevölkerung über mögliche Symptome, die da sind: Fieber, Husten, Muskelschmerzen, Augen- und Lungenentzündung sowie allgemeine Atemnot. All dies sind Krankheiten, unter denen die durch den Hurrikan obdachlos gewordene Bevölkerung in extremem Ausmass leidet, geschwächt durch das erlebte Leid und die unbefriedigten Grundbedürfnisse. Und auch der Rest der Bevölkerung ist aufgrund des anhaltenden Regens und der in bestimmten Gebieten bis auf minus 10°C prognostizierten Temperaturen auf diese Krankheiten anfällig.) Die ohnehin schon schwache Position Guatemalas, im Welthandel wettbewerbsfähig zu sein, ist durch Stan noch prekärer geworden. Nach oben |
So ist z. B. der bereits bestehende Druck auf das Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit den USA und ab 1. Januar 2006 eine Diversifizierung der Produktion anzustreben, nach der weitgehenden Zerstörung der Landwirtschaft an der Pazifikküste und der ,,Boca Costa" noch grösser geworden, aber auch umso unrealistischer zu erfüllen. Auf der anderen Seite ist zu befürchten, dass gewisse Hilfsleistungen für den Wiederaufbau an wirtschaftliche Konditionen gebunden sind. So will es z. B. der Zufall, dass just diese Woche der US-amerikanische Handelssekretär, Carlos Gutiérrez, eine Dienstreise nach Guatemala unternahm und verlauten liess, dass noch einige guatemaltekische Gesetze überarbeitet werden müssten (z. B. dasjenige über das geistige Eigentum), bevor das Freihandelsabkommen in Kraft treten könne. Unabhängig davon, dass eine solche Gesetzesänderung vielleicht gar positive Seiten im Sinne von Schutz des geistigen Eigentums haben könnte, oder das Nicht-Inkrafttreten des TLC den Wünschen einiger sozialer ExponentInnen entsprechen würde soll mit diesem Beispiel gezeigt werden, wie schwach und ausgeliefert die Verhandlungsposition von Guatemala ist, jetzt, wo das Land dringend auf ausländische Hilfe angewiesen ist. Die Antwort der guatemaltekischen Regierung auf die drohende wirtschaftliche (und soziale) Krise ist nicht überzeugend. Allgemein ist man sich einig, dass die notwendigen finanziellen Mittel für den Wiederaufbau im Land selber nicht vorhanden sind. In der Frage, wie man dazu kommt, ist es dann mit der Einigkeit auch schon zu Ende. Die einen schlagen die Erhebung einer Sondersteuer vor, Vizepräsident Eduardo Stein sprach gar von einer Einkommenssteuer, was jedoch von Gewerkschaftsseite sofort zurückgewiesen wurde. Andere tendieren eher dazu, Staatsanleihen zu veräussern, was von anderen kritisiert wird mit dem Argument, dass damit die internen Schulden steigen würden. Juan Alberto Fuentes Knigth, Präsident des Zentralamerikanischen Instituts für Finanzstudien (ICEF), schlägt die Besteuerung von Geldtransaktionen vor. Die momentan weitsichtigsten Regierungspläne betreffen das Staatsbudget 2006, von dem rund 100 Millionen US-$ vor allem in den Bereichen Soziales und Infrastruktur in den Wiederaufbau gesteckt werden sollen. Ein entsprechendes Rahmengesetz soll in diesen Tagen vom Kongress verabschiedet werden. In einem der Gesetzespunkte geht es unter anderem darum, dass ein Grossteil des Wiederaufbaus im Wettbewerbsverfahren der Privatwirtschaft übertragen werden soll. Dazu kommt ein Wiederaufbauplan, im Rahmen dessen der Kongress bei der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration (BCIE) 749 Mio. US-$ beantragen will. Ebenfalls hat Präsident Berger beim Internationalen Währungsfonds und der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) einen Antrag auf Schuldenerlass gestellt. Die Art und Weise, wie die humanitäre Nothilfe betrieben wird, aber auch die längerfristigen Pläne lassen befürchten, dass es nicht darum geht, mit dem Wiederaufbau auch gleich ein Stück Prävention zu betreiben, sondern dass das Ziel ist, so schnell wie möglich wieder zur "Normalität", wie sie Carolina Sarti Escobar in ihrer Kolumne beschreibt, zurückzukehren. |
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