Geheime Dienste
Fijáte 347 vom 9. Nov. 2005, Artikel 1, Seite 1
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Geheime Dienste
Mitte Oktober verabschiedete der guatemaltekische Kongress ein Gesetz, um der Generaldirektion für zivile Geheimdienst- und Informationstätigkeit (Dirección General de Inteligencia Civil e Información, DIGICI) die legale Basis zu geben. Damit ist einer der Forderungen entsprochen, die im 1996 unterzeichneten Teil-Friedensabkommen über die ,,Stärkung der Zivilgewalt und die Rolle der Armee in einer demokratischen Gesellschaft" festgehalten ist: Der Trennung zwischen militärischen und zivilen Sicherheits- und Geheimdienstapparaten. Eine weitere Forderung ist die nach einem Rahmengesetz, das die Aufgaben und Kompetenzen der verschiedenen Geheimdienste regelt. Ein solches Gesetz ist im Moment im Kongress in Diskussion. Das neue Gesetz über einen zivilen Geheimdienst wird zwar allgemein begrüsst, doch befürchten Menschenrechtsorganisationen, dass die Institution DIGICI, falls sie nicht einer strikten Kontrolle und Kompetenzeinschränkung unterliegt, ebenso anfällig auf Missbrauch ist wie die früheren (militärischen) Geheimdienste. Der folgende Artikel beschreibt die Geschichte und den aktuellen Stand sowie die Herausforderungen an eine zukünftige Ausgestaltung von Geheimdiensten. Als Grundlage diente der Text Camino Rocoso Avances y Desafíos de la Reforma de Inteligencia en Guatemala, den Iduvina Hernández von Sedem (Sicherheit in Demokratie) geschrieben und das Washington Office on Latin America (WOLA) im September 2005 veröffentlicht hat. Die Friedensabkommen von 1996 versuchen Mechanismen zu schaffen, mit denen die Sicherheits- und Geheimdienstapparate so umstrukturiert werden können, dass dem Bedürfnis nach Sicherheit Rechnung getragen werden kann und gleichzeitig die Einhaltung der Menschenrechte garantiert ist. Dem organisierten Verbrechen und der Gewalt soll vorgebeugt werden, ohne dass flächendeckend jeder und jede als ,,suspekt" in irgendwelchen Geheimdienstarchiven registriert werden kann. Der Bericht der Kommission zur historischen Wahrheitsfindung (CEH,) hält fest, dass das guatemaltekische Geheimdienstsystem während des bewaffneten Konflikts als Kontroll- und Operationsorgan der Aufstandsbekämpfung diente. In dieser Funktion beging es zig Menschenrechtsverletzungen. Im Bericht der CEH heisst es: ,,Der militärische Geheimdienst Guatemalas wurde auf der Grundlage einer in Lateinamerika verbreiteten Doktrin der nationalen Sicherheit geschaffen, basierend auf den Ost-West-Polaritäten und mit der Bekämpfung des Kommunismus als wichtigsten Staatsaufgabe. Mangels Kontrolle, Transparenz und eines normativen Rahmens, operieren auch heute die verschiedenen, existierenden Geheimdienststrukturen auf einer beschränkten legalen Grundlage und nicht immer gemäss dem Buchstaben des Gesetzes. Durch die zunehmende Kriminalität, den Drogenhandel und die Jugendbanden, die im Moment die guatemaltekischen Gesellschaft verunsichern, haben die Themen Sicherheit und Überwachung/Kontrolle in letzter Zeit wieder an Aktualität gewonnen. In den Diskussionen stehen auf der einen Seite diejenigen, die im Namen der Sicherheit bereit sind, individuelle Rechte aufs Spiel zu setzen, im Sinne von: Wer sich nichts hat zuschulden lassen kommen, braucht nichts zu befürchten. Demgegenüber äussern vor allem Menschenrechtsorganisationen ihre Bedenken und erinnern an ,,alte Zeiten", wo willkürlich jeder und jede zum Objekt geheimdienstlicher Untersuchung werden konnte. Mit den bekannten Konsequenzen. Grundsätzliche ÜberlegungenSicherheit und Demokratie sind zwei Konzepte die sich gemäss Iduvina Hernández nicht ausschliessen. Ebenso wie es für einen Staat wichtig sein mag, einen Geheimdienst zu haben, muss er sich an demokratische Prinzipien halten. Obwohl es in der Natur der Sache liegt, dass gewisse Geheimdiensttätigkeiten ,,geheim" sind, müssen Kontrollmechanismen vorhanden sein, damit garantiert ist, dass im Namen dieser Geheimhaltung keine Verletzungen von demokratischen Prinzipien oder der Menschenrechte möglich sind. Strukturell muss die Trennung von Handelsspielraum, Funktion und Rechenschaftspflicht der einzelnen Geheimdienste klar ersichtlich sind. Dies zu regeln ist mit dem erwähnten, aktuell im Kongress diskutierten Rahmengesetz vorgesehen. In Guatemala gibt es: a) den militärischen Geheimdienst, dessen Aufgabe es ist, Gefahren von aussen vorauszusehen und abzuwenden; b) den polizeilich-kriminalistischen Geheimdienst zur Aufklärung und Bekämpfung von (organisiertem) Verbrechen; c) den strategischen Geheimdienst, der dem Präsident Grundlagen für politische Entscheide liefert. Die Geheimdienste werden also nicht in erster Linie aufgrund ihres zivilen oder militärischen Charakters unterschieden, sondern nach ihrer Funktion und dem Bereich, in dem sie aktiv sind. Geheimdienste im Zeichen der FriedensabkommenDas eingangs erwähnte Friedensabkommen über die Stärkung der Zivilgewalt und die Rolle der Armee in einer demokratischen Gesellschaft (AFPC) versucht, dieser Trennung die legale Basis zu schaffen. Das Abkommen unterscheidet eine Generaldirektion des militärischen Geheimdienst (Estado Mayor de la Defensa Nacional, D2), einen Zivilen (polizeilichen) Geheimdienst (Departamento de Inteligencia Civil y Análisis de Información, DICAI bzw. neu DIGICI) und das Sekretariat für strategische Analysen (SAE). Der Aufbau und die Konsolidierung dieser Struktur haben jedoch einen steinigen Weg hinter und wohl auch vor sich. Militärischer GeheimdienstWährend des bewaffneten Konflikts waren sämtliche Geheimdienste militärischer Natur. Dies hätte mit den Friedensabkommen geändert werden sollen. Mit der Volksbefragung (consulta popular) im Jahr 1999 und der NichtRatifizierung notwendiger Verfassungsänderungen, bleibt es aber die Aufgabe der Armee, die äussere UND innere Sicherheit zu garantieren. Seither hat sich niemand mehr darum bemüht, die Funktion des militärischen Geheimdienstes auf rein militärische Belange zu beschränken. Ein Beispiel dafür ist die Schaffung einer kombinierten Polizei/ Militär-Truppe zur Bekämpfung ,,alltäglicher" Gewalt, die unter dem Kommando der Armee steht und gemäss Innenminister Carlos Vielmann auf der Basis von Daten und Informationen des militärischen Geheimdienstes arbeitet. Im Moment steht, parallel zum Rahmengesetz und dem bereits verabschiedeten Gesetz zur DIGICI auch ein neues Militärgesetz zur Diskussion, das u. a. die Kompetenzen des militärischen Geheimdienstes regeln soll. Nach oben |
Präsidialer GeheimdienstWährend des bewaffneten Konflikts oblag die Sicherheit des Präsidenten einer militärischen Struktur, die finanzielle Autonomie genoss und ein grosses Machtpotential in sich vereinte. Der Generalstab des Präsidenten (EMP) hatte seinen eigenen Geheimdienst, der mit ehemaligen Offizieren des militärischen Geheimdienstes bestückt wurde. Von den USA unterdessen freigegebene Dokumente über diese Zeit beweisen, dass in Sachen Aufstandsbekämpfung eine enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Geheimdiensten (präsidial und militärisch) bestand. Die Friedensabkommen enthalten diverse Komponenten, mit denen der EMP in zwei zivile Bereiche aufgeteilt werden sollte: In das Sekretariat für administrative Belange und die Sicherheit des Präsidenten (SAAS) und das Sekretariat für strategische Analysen (SAE). Damit wollte man die Sicherheit des Präsidenten von politisch-strategischen Entscheidungen trennen und zugleich beide Bereiche entmilitarisieren. Das für die Sicherheit des Präsidenten und dessen Familie zuständige SAAS wurde im Jahr 2000 gegründet. 644 zivile AgentInnen wurden während zwei Jahren für teures Geld (56'000 US-$ pro Person) ausgebildet. Im Oktober 2003 wurde dann der Generalstab des Präsidenten offiziell aufgelöst, was aber nicht heisst, dass der Einfluss der militärischen Kräfte nachgelassen hätte, denn zahlreiche Mitglieder des ehemaligen EMP wurden in das zivile SAAS integriert. Die Aufgabe des zivilen Sekretariat für strategische Analysen (SAE) ist es, ,,Gefahren oder Risiken verschiedener Art, welche die Demokratie bedrohen, vorauszusehen oder vorzubeugen". Das SAE darf keine eigenen verdeckten Ermittlungen durchführen, sondern muss mit den vom Innenministerium und vom militärischen Geheimdienst zur Verfügung gestellten Informationen arbeiten. Das SAE hat seit seiner Schaffung einige Rückschläge zu verzeichnen, nicht unproblematisch ist z. B., dass mit jedem Regierungswechsel das Personal des SAE ausgewechselt wird. Eine kürzlich eingereichte Initiative des Kongressabgeordneten und ehemaligen Generals Sergio Camargo schlägt vor, dass dem SAE die Kompetenz übertragen werden soll, auch operativ zu handeln und sog. ,,sozialen Geheimdienst" zu betreiben, mit dem klaren Ziel, soziale Proteste zu unterdrücken und die sozialen Bewegungen zu kontrollieren. Polizeilicher GeheimdienstEin wichtiger Aspekt der Reformbestrebungen im Geheimdienstwesen ist die Schaffung eines Departements für einen zivilen Geheimdienst und Informationsanalyse (DICAI), welches dem Innenministerium unterstellt sein soll. Hauptaufgabe dieser Institution sollen Untersuchungen und Geheimdienstaktivitäten im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen sein, in enger Zusammenarbeit mit dem Justizapparat. Bis zum heutigen Tag konnte jedoch das DICAI nicht gesetzeskonform gestaltet und eingesetzt werden. Aktuell gibt es innerhalb des Sicherheitsapparates drei Abteilungen, die je einen Bereich abdecken (Drogenbekämpfung, kriminalistische Untersuchungen und interne Sicherheit). Während der Regierungszeit von Alfonso Portillo wurde das DICAI umgewandelt in die Generaldirektion für zivile Geheimdienst- und Informationstätigkeit (DIGICI). Unter anderem soll damit das Departement zu einer Generaldirektion aufgewertet werden, analog zur Generaldirektion des militärischen Geheimdienstes. Das Gesetz zur Schaffung der DIGICI wurde wie erwähnt Mitte Oktober vom Kongress angenommen (siehe dazu separater Artikel). Kontrollmechanismen Die Friedensabkommen sehen ,,demokratische Kontrollmechanismen" vor, um die Tätigkeiten der verschiedenen Geheimdienste zu überwachen und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Dafür gibt es interne Mechanismen bezüglich der Selektion des Personals oder dessen Ausbildung, aber auch externe Kontrollinstanzen wie z. B. eine entsprechende Kommission des Kongresses, das Justizwesen, oder die Zivilgesellschaft inkl. Presse. Um eine solche Kontrolle zu ermöglichen, müsste aber in erster Linie eine klare Aufgaben- und Kompetenztrennung innerhalb der einzelnen Geheimdienste bestehen, was mit dem Rahmengesetz erst noch bestimmt werden muss. Um wirklich eine ,,demokratische Kontrolle" über die Geheimdienste ausüben zu können, bräuchte es noch andere Massnahmen: Ein Gesetz über den freien Zugang zu Informationen, die Aufhebung diverser ,,Staatsgeheimnisse", vor allem im militärischen Bereich, und ein Gesetz über das Sammeln und Aufbewahren persönlicher Daten (Habeas Data). Parallel dazu bräuchte es eine personelle ,,Säuberung" sowohl des Sicherheits- wie des Justizapparates, d. h. eine Verabschiedung aller aktuellen und ehemaligen Militärangehörigen und in Korruptionsfälle involvierte Personen aus den zivilen Institutionen. Die Armee ihrerseits müsste diejenigen Mitglieder, die während des Krieges Menschenrechtsverletzungen zu verantworten haben, aus ihren Reihen ausschliessen. So ist denn auch eine der Schlussfolgerungen des Dokuments von Iduvina Hernández, dass nach einer integralen Lösung gesucht werden muss, die sowohl den Friedensabkommen, wie den nationalen und internationalen (Menschen-) Rechtsbestimmungen entspricht. |
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