"Die Delinquenz übersteigt die Kapazitäten der Polizei"
Fijáte 332 vom 13. April 2005, Artikel 8, Seite 6
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"Die Delinquenz übersteigt die Kapazitäten der Polizei"
Guatemala, 5. April. Dies ist die Antwort des Verteidigungsministers Carlos Aldana auf die Frage eines Journalisten der Tageszeitung elPeriódico, weshalb sich das Militär in Angelegenheiten der Inneren Sicherheit, wie z.B. die Bekämpfung der Jugendbanden, des Drogenhandels und der Delinquenz einmischt. Eine der Folgen davon ist, dass seit Anfang April 1000 Soldaten die 583 Polizisten verstärken, welche die neue Sondertruppe ,,Aufgabe Sicheres Guatemala" bestücken. Gemäss Polizeidirektor Erwin Sperisen gehe es nicht darum, die nach den Friedensabkommen aufgelöste Militärpolizei zu reaktivieren, sondern es sei in erster Linie ein Budgetproblem, welches ihn dazu zwinge, Militärkräfte in die Polizei zu integrieren. Diese kombinierte Truppe soll das neue 17. Kommissariat bilden, ihren Sitz wird sie in der ehemaligen Militärkaserne Marical Zavala in der Hauptstadt einnehmen, doch die Idee ist, dass die Truppe bei Bedarf in die Departements des Landesinneren versetzt werden kann. Sperisen betonte, dass es sich bei der Massnahme nicht um eine Militarisierung der Polizei handle und dass ein Polizei- und nicht ein Militäroffizier die Truppe befehlige. Die Meinungen über die Integration vom Militär in die Polizeikräfte sind geteilt. Menschenrechtsprokurator Sergio Morales spricht sich eindeutig dagegen aus, mit der Begründung, die Massnahme widerspreche den Friedensabkommen. Darin heisst es, dass solch kombinierte Einsätze nur in einem Notfall erlaubt seien und nicht institutionalisiert werden dürften. Der Politologe Marco Antonio Barahona hingegen sieht in der momentanen Situation bereits einen Notfall und begrüsst die Massnahme. Wenn man den Ausführungen von Polizeipräsident Sperisen über die Fortschritte der "renovierten" Polizei glaubt, wundert man sich, dass diese eine militärische Verstärkung überhaupt nötig hat. Einerseits wurde in den acht Monaten, seit Sperisen das Regime in der Polzei übernommen hat, der Fahrzeugpark der Polizei massiv vergrössert, auf der anderen Seite rühmt sich Sperisen, er habe als Erstes im "eigenen Haus sauber gemacht". Damit spricht er die Entlassung von 1'232 PolizistInnen wegen Korruption und sonstigen Vergehen gegen die Berufsehre an. Auf diese Weise werde das Vertrauen der Bevölkerung in die Polzei gestärkt, meint der Polizeidirektor. Ebenso spricht er stolz von der neuen Ausbildung für angehende PolizistInnen, die viel strenger sei, womit die Professionalität der zukünftigen PolizistInnen gewährleistet werde. (Gemäss Vize-Innenministerin Silvia Vásquez sind 17% der PolzeiaspirantInnen, die diesen neue Ausbildungsgang absolvieren, während ihres ersten Urlaubes desertiert im Vergleich zu 10% in früheren Lehrgängen. Die Deserteure seien alles junge Männer, von den 122 Frauen die den Kurs absolvieren, seien alle noch dabei, weshalb man in Zukunft die Anzahl der jungen Frauen in dem Ausbildungsgang zu erhöhen versuche, so Vásquez.) Gemischte Polizei-/Militär-Truppen wurden in den letzten Wochen aber aber auch eingesetzt, um die Volksproteste gegen die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den USA zu bekämpfen. Dabei wurden Methoden eingesetzt, die an die Polizeipraxis der Zeit während des bewaffneten Konflikts erinnerten. In diese Richtung weist denn auch die Kritik von Carmen Rosa de León-Escribano, Direktorin des Instituts für nachhaltige Entwicklung (Iepades). Sie schreibt: "Eines der Probleme beim Übergang von repressiver zu demokratischer Sicherheit ist die Veränderung des Verhaltens und des Auftretens der dafür zuständigen Institutionen. Während früher die Polizei für die Repression in den Städten verantwortlich war, erhofft man heute von ihr, dass sie dafür ausgebildet ist, die Rechte der BürgerInnen zu wahren. Doch auch acht Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen und der damit einhergehenden Polizeireform hat die Polizei den Ruf, gegen die Bevölkerung zu arbeiten. Das Problem ist ein Grundsätzliches. Statt mit neuen Leuten zu arbeiten, hat man die bestehenden Truppen "rezykliert". Es ist eine Illusion zu glauben, mit einem dreimonatigen Kurs könne man ein über Jahre gewachsenes Verhalten ändern, das auf Kontrolle und Repression ausgerichtet war." Möglicherweise stecken noch ganz andere Gründe hinter dem Engagement des Militärs in Sachen Innerer Sicherheit. Nach oben |
Einerseits muss auch die guatemaltekische Armee nach dem Wegfallen ihres Hauptfeindes, der Guerilla, ihre Daseinsberechtigung neu legitimieren. Dies macht sie einerseits durch ihre Teilnahme an internationalen ,,Friedens-"Missionen der UNO: guatemaltekische Militärs wurden nach Haiti und jüngst unter grossem Medienecho in die Demokratische Republik Kongo geschickt. Auf der anderen Seite bieten eine marode Polizei und die zunehmende Gewalt sowie in den letzten Wochen das Aufleben der Volksproteste die beste Gelegenheit, sich der eigenen Bevölkerung als "Retter in der Not" zu verkaufen. Auch darf man den internationalen Druck nicht vergessen. Dazu eine weitere Antwort von Verteidigungsminister Aldana aus dem eingangs zitierten Interview: "Die Feinde des Staates haben sich verändert, es sind nicht mehr die selben wie zur Zeit des bewaffneten Konflikts. Heute sind es die maras (Jugendbanden), der Drogenhandel und seit neuestem, der Terrorismus. Im Fall von Guatemala, wo die Polzei schlichtweg überfordert ist, ist es notwendig, dass die Streitkräfte helfen, die Sicherheit der BürgerInnen zu garantieren. In unseren Nachbarländern Honduras, El Salvador und Nicaragua wird dies bereits gemacht." Dieser Vergleich mit den Nachbarländern klingt fast nach einer regionalen Strategie. Und eine solche ist, wie bei dem Ministertreffen von Anfang April ausgemacht wurde, mindestens im Bereich der Drogenbekämpfung und der Jugendbanden geplant. Auf klaren Druck und mit finanzieller und logistischen Unterstützung der USA. Diese Meinung vertritt Robert Arias in einem Leserbrief in der Tageszeitung La Hora: "Die angekündigte Militärhilfe der USA besteht in einer einmaligen Auszahlung von 3,2 Mio. US-$ und soll das guatemaltekische Militär dahingehend verbessern, dass dieses den Drogenhandel in die USA verhindern kann. (...) Dabei ist doch die Aufgabe unseres Militärs die Verteidigung unserer Landesgrenzen und nicht, dafür zu sorgen, dass keine Drogen in die USA kommen. (...) Die Fusion der Polizei mit dem Militär, die Geschichten von den maras, den Terroristen und dem Drogenhandel sind nichts anderes als ein Vorwand, um die zentralamerikanischen Armeen unter die Kontrolle der USA zu bringen. (...) Der kürzlich erfolgte Besuch von Rumsfeld hat verschiedene Gründe, verschiedene Ziele und verschiedene Bedeutungen. Der Besuch von Rumsfeld bedeutet die - erneute - Militarisierung des Staates, um im Namen des Gesetzes Repression gegen die BürgerInnen durchzuführen." |
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