Rücktritt der Gefängnisdirektorin
Fijáte 335 vom 25. Mai 2005, Artikel 4, Seite 5
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Rücktritt der Gefängnisdirektorin
Guatemala, 18. Mai. Mit dem Mord an Juan Carlos García Rodríguez am 14. April begann die Diskussion um und Hetzjagd auf Patricia Guillermo de Chea, inzwischen ehemalige Direktorin des guatemaltekischen Haftanstaltsystems. García Rodríguez, alias Juanca, galt als einer der führenden Köpfe des in der Hauptstadt bekannten Drogenkartells des Stadtviertels El Gallito. Ende Mai 2003 war er in Flagranti bei einem Drogendeal verhaftet und zu 17 Jahren Gefängnis wegen Geldwäsche verurteilt worden. Er war der letzte von vier Brüdern, die alle erschossen wurden und vermutlich alle im Drogengeschäft tätig waren. Juan Carlos war bereits im Juni vergangenen Jahres von einem für diese Tat mit 350´000 Quetzales bezahlten, in der Szene als ,,Marino" bekannten Handlangers angegriffen worden. Aufgrund der Verletzungsfolgen - unter anderem befand sich noch eine Kugel in seinem Kopf - weilte er derzeit auf der Krankenstation des Gefängnisses Preventivo, wo ihm von einem für das Einsammeln der Schmutzwäsche zuständigen und des schweren Diebstahls sowie illegalen Waffenbesitzes bestraften Mithäftling 9 Schüsse verpasst wurden. An den Folgen dieser Verletzungen starb er schliesslich. Damit summierten sich die internen Morde an Häftlingen innerhalb der rund 10 Monate, in denen Patricia Guillermo de Chea den Leitungsposten innehatte, auf sechs. Dies weckte jedoch weniger Aufmerksamkeit als das Resultat der Razzia, die zur Auffindung der Tatwaffe und dem Belohnungsgeld für den Mord im Preventivo durchgeführt wurde: In der Tageszeitung Siglo XXI erschien auf der Titelseite ein Foto, auf dem eine Gruppe von Häftlingen in fröhlichem Gelage bei Alkohol und Handytelefonaten zu sehen waren. Die gesellschaftliche Empörung gelangte an ihren Höhepunkt, als de Chea beim Anblick dieser Bilder ,,nichts Ungewöhnliches" zu erkennen meinte und es nur bedauerte, dass die zu sehenden Alkoholflaschen illegal ins Gefängnis eingeschleust worden waren. Gleichzeitig gab sie bekannt, dass sie einen Gesetzesvorschlag eingereicht hätte, mittels dessen die Einführung von Alkohol zu bestimmten Anlässen wie Weihnachten, Geburtstag oder einem Fussballspiel genehmigt werden sollte. Diese sollten von den Inhaftierten beantragt werden können, da sie, wie die in Freiheit Lebenden, das Recht darauf hätten, sich zu entspannen. ,,Die Gefangenen sind auch Menschen und das Verbote haben bloss mehr Korruption zur Folge", so de Chea. Die Tatsache, dass die Juristin in ihrer relativ kurzen Amtszeit wesentliche Reformschritte eingeleitet hat, die zum Teil schlicht an fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert sind, blieb in der Aufregung darüber, dass die Gefängnisse mit Schwerverbrechern sich nun in eine einzige Party verwandeln würden, unter. Just auf jenem Foto in der Zeitung waren drei Männer abgelichtet, von denen einer diverser Attentate und -zig Morde angeklagt ist, ein anderer der Entführung und der dritte ebenfalls des Mordes beschuldigt wird. Wenige Tage später folgte ein Pressebild aus einer Haftanstalt in Escuintla, in der vornehmlich Mitglieder von Jugendbanden untergebracht sind. Diesmal stellte ein aufblasbares Schwimmbecken den Dorn im Auge dar, das jedoch laut de Chea aufgrund des Wassermangels in der Region den Inhaftierten neben dem möglichen ,,Plantschen" zudem zur Körperreinigung und zum Wäschewaschen diene. De Chea hatte in Kooperation mit nationalen Bildungsinstitutionen verschiedene Weiterbildungsmassnahmen eingeführt: Die Inhaftierten können z.B. während ihrer Haft ihren Schulabschluss machen und sogar eine berufliche Ausbildung absolvieren. Mittels diverser handwerklicher Projekte wurde nicht nur manches der insgesamt 17 zum Grossteil maroden Gefängnisse im Land neu bzw. grundlegend ausgerüstet, sondern de Chea strebte zudem die Vermarktung von im Gefängnis hergestellten Produkten ausserhalb der Mauern an. Ausserdem laufen bereits Pilotprojekte zur Installation eines speziellen Systems, das die Einführung von illegalen Gegenständen wie Waffen, Drogen und eben tragbaren Telefonen strikter verhindern soll. Ein Projekt, die Errichtung einer Antenne, die das lokale Empfangsnetz für Handys unterbinden soll, muss derzeit technisch überholt werden, um effizienter zu funktionieren. Mit Hilfe von Mobiltelefonen werden bewiesenermassen aus den guatemaltekischen Gefängnissen heraus teilweise bis zu 40 Erpressungen täglich durchgeführt. Die Gefangenen besorgen sich ein solches Telefon, kaufen einzelne Seiten aus dem Telefonbuch und fordern von den von ihnen Angerufenen unter Bedrohung der Unversehrtheit der Person und ihrer Familie nicht selten den Kauf von Telefonkarten für Handys in Höhe eines bestimmten Wertes. Nach oben |
Beim nächsten Anruf müssen die Bedrohten die PIN-Codes der Karten durchgeben, womit die Erpresser nicht nur innerhalb des Gefängnisses ihr Telefon an andere Mithäftlinge vermieten können, sondern ihr Anrufguthaben automatisch vergrössern und erfolgreiche Geschäfte machen können. Innerhalb von zwei Wochen entschloss sich de Chea schliesslich, ihren Posten aufzugeben. An der medialen Diskussion, in der unter anderem darüber gestritten wurde, ob die mutige Frau einem Lynchmord ausgesetzt sei oder doch eher Selbstmord begehe, beteiligte sich auch der Militär Byron Miguel Lima Oliva, zur 20jährigen Haftstrafe wegen Komplizenschaft im Mord an Bischof Gerardi verurteilt. Er bezeichnet die Direktorin als erste Person, die sich tatsächlich für die Häftlinge interessiere und, anders als im Land verbreitet, das Gefängnis nicht als Bestrafungsinstitution sondern vornehmlich als einen Ort der sozialen Rehabilitation und Sicherstellung ansieht und tatsächlich eine Umstrukturierung zur Ausmerzung der dominierenden Korruption in den Vollzugsanstalten anstrebte. Hugo Arce, Kolumnist der Tageszeitung La Hora, bezeichnet die Entwicklung der Geschehnisse denn auch als Komplott derjenigen, die bislang mit dem bestehenden Gefängnissystem ihre Geschäfte machen und sich von den durch de Chea drohenden Reformen in diesen eingeschränkt sehen. Immer wieder wurden in den Kommentaren die Familienverhältnisse von Patricia de Chea unterstrichen, die Ehefrau des amtierenden guatemaltekischen Botschafts in Costa Rica ist und offenbar in der Gunst des Präsidenten Bergers steht. Schliesslich jedoch war der politische Druck offensichtlich so gross, dass sie sich geschlagen geben musste, ihren Alkoholreformvorschlag als unüberlegte Dummheit selbst abwertete und letztendlich ihr Amt niederlegte. Als Gründe nannte sie drei: Zum einen wollte sie das Bild der Regierung und des Präsidenten Bergers nicht weiter schädigen, auf institutioneller Ebene sehe sie sich mit ihrer Ansicht der Rehabilitation der Gefangenen vor unüberwindbaren Hindernissen und schliesslich bewogen ,,persönliche Gründe" sie dazu, sich zurückzuziehen. Zum Abschied übergaben ihr die Häftlinge in Escuintla das Plantschbekken, das sie sich von der Direktorin persönlich aufgrund guter Führung verdient hatten. Nach intensiver und erfolgloser Suche nach einer Person, die den Posten von de Chea nun übernehmen wollte, wurde schliesslich Francisco de la Peña, stellvertretender Direktor der Migrationsbehörde als ihr Nachfolger ernannt. Die erste Nachricht vom Präsidenten selbst zum Thema Vollzugssystem war die Ankündigung des Baus von mindestens drei neuen Gefängnissen, zwei Hochsicherheitsgefängnisse und eines für Beschuldigte leichterer Vergehen. |
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