Versuch und Irrtum Merkmale der Sicherheitspolitik
Fijáte 326 vom 19. Jan. 2005, Artikel 1, Seite 1
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Versuch und Irrtum Merkmale der Sicherheitspolitik
Bei der Präsentation des Rechenschaftsberichts über sein erstes Regierungsjahr, sagte Präsident Oscar Berger gegenüber der Presse: "Ich gebe zu, wir haben Fehler gemacht (...), aber wir haben unser Bestes getan." In Bezug auf die Sicherheitsfrage, welche die letzten 12 Monaten geprägt hat, gestand er, dass sie die Hauptschwäche seiner Administration ist, zeigte sich aber optimistisch, sei doch die Anzahl der Anzeigen im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Ob das an der Verbesserung des Sicherheitsapparates liegt oder ob die im Verlauf des letzten Jahres oftmals willkürlich erschienenen Massnahmen dazu führten, dass die Bevölkerung kein Vertrauen mehr in diesen hat und sich gar nicht erst die Mühe macht, ein Verbrechen anzuzeigen, darüber kann man streiten. Das folgende Editorial aus der Tageszeitung Siglo XXI vom 30. Dezember 2004, sowie die ergänzenden Kurzmeldungen zum Thema Sicherheit bestärken eher die zweite Position. Monatlich wurden im vergangenen Jahr im Durchschnitt 366 Personen ermordet. Als ob jemand in einem Labor Versuchsanordnungen für chemische Reaktionen aufbaut, setzten die Verantwortlichen des Innenministeriums verschiedene Massnahmen in Gang, um die bereits bekannten Indizien der Kriminalität und Delinquenz zu bremsen, die sich als Hauptmakel des ersten Regierungsjahres von Präsident Óscar Berger herausgestellt haben. Ein Teil der Experimente fusst auf die unfruchtbaren Ernennungen von Verantwortlichen für das Thema Sicherheit. Die erste fand mit der Designierung des Anwalts Arturo Soto als Innenminister statt. Sein fachlicher und politischer Werdegang reichten nicht aus, die Verbrechenswelle anzuhalten, die sich in den folgenden sechs Monaten entfesselte. Die Krise erreichte Anfang Juli ihren Höhepunkt, als 28 Morde innerhalb von 48 Stunden gemeldet wurden. Mitte desselben Monats wurde die Ermordung von Jaime Cáceres Knox bekannt, dem Vorstandspräsidenten des Nationalen Elektrizitätsinstituts (INDE). Anscheinend tauchte keinE VerantwortlicheR des Innenministeriums am Ort des Geschehens auf. Aus Anstand oder persönlichen Gründen trat Soto drei Tage nach dem Verbrechen an Cáceres Knox zurück und wurde dadurch zum zweiten Funktionär hohen Ranges, der dem Sicherheitsressort den Rücken kehrte. Monate vorher hatte dies Otto Pérez Molina, General a.D., getan, der zum Präsidialen Kommissar für Sicherheit und Verteidigung ernannt worden war. Statt die zu erwartenden Früchte zu tragen, hinterliess die Arbeit des Militärs einen schlechten Geschmack im Gaumen des Präsidenten, liess er doch halberledigte Aufgaben liegen und zog sich zurück, als er hörte, dass der Mandatsträger eine Annäherung zum Führer der Republikanischen Front Guatemalas (FRG), Efraín Ríos Montt, gesucht hatte. Die folgende Phase des Experiments schloss mit einer "Komplettchirurgie" des Innenministeriums, die Carlos Vielmann, Ex-Kommissar für Transparenz, als neuen Minister und Erwin Sperisen als Direktor der Nationalen Zivilpolizei (PNC) hervorbrachte. Die Taktik, Aktionsmassnahmen gegen die Gewalt anzukündigen, ist nicht Exklusivpraxis der Administration Bergers. Nichtsdestotrotz, womit diese Regierung prahlen kann, ist das Geschick, diese Art von Übungen in Sachen Sicherheit tatsächlich einzuführen. Auch wenn manche Namen erfindungsreich klingen, schwächen die Ergebnisse die Hoffnungen von fast 12 Mio. GuatemaltekInnen auf ein Klima von Sicherheit. In weniger als einem Jahr wurde Folgendes in die Wege geleitet: Militärgeheimdienst. Angesichts der eindeutigen Unfähigkeit der zivilen Kräfte, das organisierte Verbrechen zu bekämpfen, kündigt Regierungschef Berger während des Graduationsaktes von 448 AgentInnen der Zivilpolizei (PNC) an, dass man auf den Militärgeheimdienst (bekannt als ,,G-2") für die Untersuchung der organisierten Banden zurückgegriffen habe. "Wir haben niemanden sonst, der die Arbeit eines Geheimdienstes gegen diese Kreise übernimmt; das Militär wird sich dem annehmen", versicherte Berger. Kreuzzug gegen die Gewalt. Dies ist der erste operative Plan des Innenministers Carlos Vielmann, präsentiert just vier Tage nach Amtsübernahme, als Palliativmassnahme gegen die Welle der Gewalt. Doch der Index der Verbrechensrate, über die Siglo XXI täglich berichtet, macht einmal mehr deutlich, dass auch diese chemische Versuchsformel nicht zur gewünschten Reaktion führt. Ein Bericht, der die Leichen im Leichenschauhaus des Gerichts der Hauptstadt und aus der Stadt Amatitlán berücksichtigt, deckt auf, dass die gewalttätigen Tode im Departement Guatemala in beschleunigter Weise zugenommen haben. In den letzten drei Juliwochen wurden 84 Tote gemeldet, im August waren es 153. Die Morde stiegen im September auf 155, im Oktober auf 179 während im November schliesslich 191 registriert wurden. Wie viele gewalttätige Verbrechen Ende Dezember im Departement Guatemala berichtet werden, steht zum Zeitpunkt noch nicht fest. Die offiziellen Zahlen bestätigen, dass die Morde die Liste der Verbrechen anführen. Während des Jahres 2003 wurden vom Ministerium 3´842 Fälle verlautbart. Noch vor Ende 2004 war diese Zahl längst überholt, allein bis November wurden 4´025 gezählt, das macht durchschnittlich 366 ermordete Personen pro Monat. Plan Sichere Reise. Wie nie zuvor, verwandelten sich die Überfälle auf innerstädtische wie Überlandbusse Nach oben |
in blutige Anschläge. Auch wenn 2003 von 153 Gewalttaten berichtet wurde, registrierten die offiziellen Angaben bis November 2004 bereits 149, wobei die Angriffe das Leben von mindestens einem Dutzend Personen forderten. Gemeinsame Patrouillen. Als Massnahme zur Eindämmung der Gewalt, die gegen den Tourismus-Sektor entbrannt ist, setzte das Innenministerium eine verbesserte Formel der kombinierten Kräfte an. Die Übergriffe auf AusländerInnen und TouristInnen hatten zur Folge, dass die USA, Holland, England und Österreich ihre BürgerInnen vor einer Reise nach Guatemala warnten. Auch El Salvador und Honduras schlossen sich den europäischen Ländern an und erhoben Anklage, dass ihre EinwohnerInnen auf den Strassen gen Guatemala ständig attackiert würden. Eine weitere Palliativmassnahme war die Schaffung einer Kommission auf hoher Ebene, die sich persönlich dafür einsetzte, die Wogen zu den Nachbarländern zu glätten. Ferngläser und Patrouillen zu Pferd. Das jüngste Experiment zur Bekämpfung der Delinquenz wurde vor wenigen Sonntagen während der Übergabe neuer Fahrzeuge an die Zivilpolizei angekündigt. Diesmal wies der Polizeidirektor darauf hin, dass als Teil des Weihnachtssicherheitsplans der neue Ansatz zum Aufhalten der Überfallwelle die Platzierung von PolizistInnen an strategischen Punkten wie Gebäuden beinhalte, von wo aus mit Ferngläser Ballungsplätze überwacht werden sollen. Zusätzlich zu den 65 Streifenwagen und 1´490 Motorrädern soll eine be- stimmte Anzahl berittener Polizei hinzugefügt werden, die ebenfalls für den Kampf gegen das Verbrechen vorgesehen sind. Die Millionenfrage liegt nahe: Wie viele Pläne sind noch nötig, um die Experiment-Reihe nach dem Motto Try and Error zu beenden und endlich die Formel zu finden, der Unsicherheit in diesem Land ein Ende zu setzen? Elf Monate nach Amtsantritt gab Vizepräsident Eduardo Stein offiziell während eines Mittagessens mit RedakteurInnen von Siglo XXI zu, was der Öffentlichkeit längst bekannt ist: die Erfolge der aktuellen Regierung in Sachen Sicherheit sind schwach. Damit scheint offensichtlich, dass die 366 monatlich ermordeten GuatemaltekInnen der Versuch des Irrtums waren. |
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