Zehn Jahre Geschichte: Die MINUGUA geht
Fijáte 323 vom 1. Dez. 2004, Artikel 1, Seite 1
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Zehn Jahre Geschichte: Die MINUGUA geht
Nach zehn Jahren Präsenz in Guatemala hat sich die Mission der Vereinten Nationen zur Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) in der vergangenen Woche nun endgültig aus dem Land zurückgezogen. Um verschiedene Aspekte dieser Dekade und Herausforderungen für die Zeit ,,danach" zu beleuchten, veröffentlichen wir im Folgenden zum einen zwei Leitartikel aus der Tageszeitung Prensa Libre von Haroldo Shetemul und aus Incidencia Democrática von Javier De León sowie die Ansprache des UNO-Generalsekretärs Kofi Annan anlässlich des Abschieds der Mission aus Guatemala. Während das Knattern der Maschinengewehre davon zeugte, dass der bewaffnete Konflikt noch lange nicht vorbei war, kam 1994 eine internationale Gruppe nach Guatemala. Es handelte sich um die UN-Mission zur Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA). Ihre Aufgabe bestand darin zu überwachen, dass die von Regierung und Guerilla unterschriebene Vereinbarung, die Menschenrechte zu respektieren, erfüllt wurde. Aufgrund der historischen Traumatisierung des Landes, in denen Ermordungen, Folterungen und gewaltsames Verschwinden von Personen an der Tagesordnung waren, trauten nur sehr wenige der ausländischen Instanz Glaubwürdigkeit zu. Es fiel schwer sich vorzustellen, dass die so geschändeten Menschenrechte der GuatemaltekInnen in all ihren Ausmassen respektiert werden könnten, angefangen vom Recht auf Leben über die Freie Meinungsäusserung bis hin zu den sozio-ökonomischen Rechten. Die Arbeit war hart, vornehmlich im Innern des Landes, wo die Armee, die militärischen Beauftragten und die Zivilpatrouillen ihr Bollwerk hatten. Auch wenn die Kämpfe weniger geworden waren, bedeutete dies noch lange nicht die Verminderung des Verletzungsgrades der Menschenrechte. Die Gewalt folgte ihrem Rhythmus und die Hauptopfer waren die Indígenas, die weiterhin als BürgerInnen dritten Ranges betrachtet wurden. Dennoch ermöglichte die Tatsache, dass die Mitglieder der MINUGUA AusländerInnen waren, dass sie Untersuchungen durchführen und Berichte über die kritische Situation im Land erstellen konnten. Natürlich erhoben die streng konservativen Sektoren ihre Stimmen und betrachteten die Mission als fremde Einmischung in interne Angelegenheiten des Landes. Zwei Jahre später unterzeichneten die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) und die Regierung unter Álvaro Arzú die letzten Friedensverträge und setzten damit 34 Jahren bewaffneten Konflikts ein Ende. Die firmierten Vereinbarungen erlaubten bis in die Zukunft die Beobachtung eines Landes, dem ein Programm struktureller Veränderungen bevorstand. Die Absicht bestand darin, die Ursachen, die zu der kriegerischen Konfrontation geführt und demokratische Wege zur Politikausübung verschlossen hatten, zu überwinden. Es strömte die ausländische Hilfe und alles schien bereit, dass Guatemala den Ballast zurückliesse, der das Land im Dunkeln und in der Unterentwicklung gehalten hatte. Doch der Traum währte nicht lange und die Realität legte nahe, dass die Vereinbarungen eine Phantasie gewesen waren. Die folgende Regierung von Alfonso Portillo versuchte alles Mögliche, um die Verträge unkenntlich zu machen, ein Tun, das dem Anschein nach die aktuelle Regierung wiederholt. Mit der Unterzeichnung der Verträge widmete sich MINUGUA der Überprüfung der Befriedung des Landes. Seit 1997 begann sie, sich Berichte hinsichtlich der Probleme anzuhören, auf die die Erfüllung der Friedensverpflichtungen stiess. Somit wandelte sich diese Institution in die Stimme, die darauf insistierte, dass die Vereinbarungen in bestimmten Aspekten Fortschritte machten, in anderen trat sie auf der Stelle. Vielleicht war sie in manchen Momenten zu diplomatisch, um die Dinge beim Namen zu nennen, wenn es einer klareren Position bedurft hätte. Und nun ist die Geschichte dieses internationalen Organs, das so eng mit der guatemaltekischen Geschichte der letzten zehn Jahre verbunden ist, vorbei und MINUGUA verlässt das Land. Das Problem besteht weniger darin, dass diese Institution nicht mehr sein wird, denn das wusste man vorher. Der Nachteil ist vielmehr, dass der Kongress die Installation des Menschenrechts-Hochkommissionariats der Vereinten Nationen (ACNUDH) bislang nicht gebilligt hat, das die Arbeit von MINUGUA hätte übernehmen und weiterverfolgen können. Dieser Visionsmangel könnte bedeuten, dass das Land die internationale Unterstützung verliert, die keinen Cent kostet und mithelfen könnte bei einem verstärkten Respekt der Menschenrechte. (Prensa Libre, Haroldo Shetemul) Diese Woche verabschiedete sich auf offiziellem Wege und in einem protokollarischen Akt im Nationalen Kulturpalast die MINUGUA, die während zehn Jahren den Friedensprozess in Guatemala begleitet hat. Der Veranstaltung wohnte Kieran Prendergast, stellvertretender Sekretär in politischen Angelegenheiten der UNO, bei. Mehr als eine Begleitung, fungierte die Mission innerhalb ihres Mandats als Vermittlerin in verschiedensten Situationen, so beispielsweise in Lösungsprozessen von Konflikten und Lynchjustizfällen oder bei der Schaffung der Nationalen Zivilpolizei (PNC), in Angelegenheiten von Besitz und Besetzung von Ländereien, aber in erster Linie in Sachen Menschenrechte und der Verifizierung der Erfüllung der Friedensverträge. Just zeitgleich mit dem Abschied von MINUGUA verkündete Vizepräsident Eduardo Stein die Aussendung der Vorschläge für die Billigung der Untersuchungskommission von Illegalen Körperschaften und klandestinen Apparaten (CICIACS) und den Antrag für die Einrichtung des Menschenrechts-Hochkommissionariats der Vereinten Natio- nen (ACNUDH). In beiden Fällen rankt sich die nationale Polemik um die Vor- und Nachteile, dass sich internationale Instanzen im Land installieren und dort als Beobachtende bleiben, vor allem, was die Themen angeht, die konservative Kreise für ausschliesslich nationale Interessen betreffend bewerten, wie beispielsweise die Menschenrechte. Dieser Gegenstand verbleibt mit dem Abgang der MINUGUA in einer Position grosser Verletzbarkeit angesichts des Fehlens internationaler Überprüfung und der institutionellen Schwäche des nationalen Menschenrechtsprokurats (PDH), das diese Aufgabe eigentlich zum Grossteil übernehmen soll. In diesem Sinne besteht Hoffnung in Bezug auf Steins Ankündigung des ACNUDH. Selbst Prendergast bewertete die Billigung als recht wahrscheinlich. Dieser Optimismus konterkariert die Überempfindlichkeit der Abgeordneten der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) hinsichtlich dieser Angelegenheit, die äusserst ängstlich scheinen ob der Überwachung und Berichterstattung über die Verletzungen der Menschenrechte. Nach oben |
Einen noch schwierigeren oder komplexeren Weg bescheinigt man der Billigung der CICIACS. Die Hindernisse, die diese Kommission bisher überwinden musste, lassen ahnen, dass ihre Installation nicht sehr bald passieren wird. An diesem Punkt wird die Situation noch brisanter, denn über die Überwachung oder Analyse der Menschenrechtsverletzungen hinaus, in der Mitglieder des Staates teilnehmen könnten, hätte die CICIACS vor allem die Aufgabe, Ermittlungen von klandestinen Gruppen zu führen, die im Staat selbst verkrustet sind und von dort aus dem Untergrund heraus operieren. Diese klandestinen Gruppen sind bereits bei diversen Gelegenheiten identifiziert worden als Verantwortliche eines unheilvollen Räderwerks, das die Justiz behindert, die Straflosigkeit erleichtert und ausserdem dem Fortschritte eines Rechtsstaates und der Entwicklung der Demokratie im Wege steht. Diese Gründe sind überzeugend genug für die Notwendigkeit der CICIACS, die ob ihrer Merkmale und Aufgaben das Aktionsfeld übernehmen soll, das MINUGUA sicherlich ausfüllen wollte, was deren Mandat jedoch nicht zuliess. (I.DEM, Javier De León) Die Vereinten Nationen Der Generalsekretär Ich bedaure es sehr, nicht selbst in diesem historischen Moment für Guatemala anwesend sein zu können, doch in Gedanken bin ich bei Ihnen. Die Vereinten Nationen sind stolz auf ihre Arbeit zu Gunsten des Friedens in Zentralamerika, der seinen Anfang in der altehrwürdigen Stadt Esquipulas, Guatemala, nahm, wo die Führenden der Region die Entscheidung trafen, die grundlegenden Differenzen beizulegen und gemeinsam den Frieden auf dem Isthmus zu suchen. Die Vereinten Nationen haben beispiellos viele Erfolge in der Region erreicht: In den vielfältigen Aktivitäten zur Erhaltung des Friedens, im Schutz der Menschenrechte und in der innovativen Arbeit, die von den Wahrheitskommissionen realisiert wurde. Hier in Guatemala ist die MINUGUA ein gutes Erfolgsbeispiel für die Aktivitäten der UN in der Konsolidierung, das sehr nützlich sein wird für Vorhaben in anderen Teilen der Welt. Vor allem sind es die GuatemaltekInnen, die sich stolz fühlen sollten auf das, was sie in den letzten Jahren erreicht haben. Der Weg des Friedens ist kein Werk einer Regierung gewesen, einer politischen Partei oder einer sozialen Gruppe. Zahlreiche Amtsführungen haben ihren Beitrag dazu geleistet, genauso wie ein weiter Fächer von Gruppen der Zivilgesellschaft und der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas. Ihre Bemühungen haben Jahre angehalten und haben stets eine grossartige Entschlossenheit gezeigt. In Folge dessen hat das Volk Guatemalas einer Ära von schrecklicher Gewalt ein Ende gesetzt und führt unterdessen ein wahrlich nationales Programm zu Ende, das in den Friedensverträgen vor acht Jahren festgelegt wurde. Die GuatemaltekInnen haben enorme Fortschritte in Bezug auf die Probleme des Landes mittels des Dialogs und der Institutionen erreicht und haben eng mit der internationalen Gemeinschaft zusammengearbeitet, womit sie ihr Land zu einem beispiellosen Grad der Prüfung der nationalen Angelegenheiten und der Teilnahme an diesen geöffnet haben. Auf diese Weise ist der Friedensprozess soweit gereift, dass der Moment gekommen ist, in dem die MINUGUA geht. Das soll nicht heissen, dass die guatemaltekische Gesellschaft nicht immer noch gravierende Probleme hat. Es gibt viele Menschen, die um ihre Sicherheit fürchten. Es gibt grosse soziale Ungleichheiten. Bedauerlicherweise besteht die Diskriminierung aus ethnischen, kulturellen und linguistischen Motiven fort. Und Guatemala ist seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, die Opfer des Krieges zu entschädigen und die Steuereinnahmen wesentlich zu erhöhen, um einige sehr notwendige soziale Investitionen finanzieren zu können. Nichtsdestotrotz, diese Probleme können im friedlichen Rahmen der Demokratie angegangen werden. Das Ende der MINUGUA sollte nicht für das Ende des Friedensprozesses gehalten werden, sondern für den Beginn einer neuen und notwendigen Phase, in der nationale AgentInnen in Zukunft die volle Verantwortung für die Überwachung und die Förderung der Ziele der Friedensverträge übernehmen. Die Organisationen der Vereinten Nationen werden auch an dieser neuen Phase teilnehmen, indem sie ihre Anstrengungen in die Probleme und definierten Ziele der Verträge konzentrieren. Neben der Arbeit, die das Entwicklungsprogramm und die anderen Fonds und Programme der Vereinten Nationen durchführen, haben die UN ihre Bereitschaft erklärt, Guatemala zur Seite zu stehen, um den Rechtsstaat zu stärken und verlässliche Institutionen einzurichten, die fähig sind, die Menschenrechte aller BürgerInnen zu schützen. Die UN und Guatemala haben Vereinbarungen unterzeichnet für die Öffnung eines Büros des Hochkommissionariats für Menschenrechte und die Schaffung eines Spezialorgans für die Untersuchung klandestiner Gruppen, was die Entschlossenheit des Landes beweist, diesen Problemen die Stirn zu bieten. Von jetzt an werden die ProtagonistInnen der Geschichte die GuatemaltekInnen selbst sein, so wie es sein soll. Die Regierung und andere staatlichen Kräfte, die politischen Parteien, die Gruppen der Zivilgesellschaft und die Kommunikationsmedien werden ihre jeweiligen Funktionen übernehmen müssen. Besonders die Organisationen der Zivilgesellschaft spielen eine immer positivere Rolle bei der Überwachung, indem sie Druck auf den Staat ausüben, damit dieser seine Verpflichtungen erfüllt. Die MINUGUA hätte Guatemala nicht helfen können, diesen Punkt zu erreichen ohne die Unterstützung und die positive Aufnahme von Seiten der gesamten Bevölkerung. Die Institutionen des Staates, die Gemeinschaft der MenschenrechtsaktivistInnen, die Organisationen der Opfer, der JournalistInnen und die Gruppen der Indígenas und der Frauen im ganzen Land haben mitgearbeitet und wirklich spüren können, Teil dieser gemeinsamen Mission zu sein. Die internationale Gemeinschaft, im Besonderen die sechs ,,Freunde von Guatemala" Kolumbien, Spanien, die Vereinigten Staaten, Mexiko, Norwegen und Venezuela -, haben ebenfalls eine unschätzbare Unterstützung geleistet. Und natürlich die vielen MitarbeiterInnen der MINUGUA, internationale und guatemaltekische, die ohne Einschränkung ihr Können und Engagement mit eingebracht haben. Wir wollen an die sechs MitarbeiterInnen der UN und den Piloten erinnern, die im Jahre 1988 bei einem Hubschrauberunglück starben und ihre Leben für den Frieden opferten. Die MINUGUA verlässt Guatemala, aber die Vereinten Nationen sind weiterhin fest entschlossen, den Frieden und die Entwicklung in Guatemala und in der ganzen Region zu erreichen. Ich hoffe mit Begeisterung auf die Fortsetzung dieser engen und dynamischen Kooperation. |
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