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"Es gibt nichts Spektakuläres zu erzählen"

Fijáte 317 vom 25. Aug. 2004, Artikel 1, Seite 1

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"Es gibt nichts Spektakuläres zu erzählen"

dass sie Solidarität zu spüren bekommen aus Europa, aus den VGUSANF, aus VGKanadaNF, internationale Solidarität und Unterstützung für das, was sie machen. Und das gibt ihnen die Gewissheit, dass sie das Richtige tun. Ich glaube, ohne unsere Unterstützung könnte der Prozess niemals stattfinden, weil der Aufwand zu gross ist und es doch immer wieder Schwierigkeiten in der Nachbarschaft gibt. Frage: Haben die ZeugInnen Hoffnung, dass ihnen irgendwann Gerechtigkeit widerfährt? Oder was ist die Motivation der Leute, bei diesem Prozess mitzumachen? E.L.: Zuoberst steht die Tatsache, dass grosses Unrecht geschehen ist, und dass dies als solches festgehalten werden, entschuldigt und bestraft werden muss. Darum geht es in erster Linie. Dazu kommt sicher auch die Hoffnung, dass sie für ihren materiellen Schaden eine Wiedergutmachung bekommen, für die niedergebrannten Häuser, für die gestohlenen Kühe, und schliesslich für die Arbeitskräfte, die sie verloren haben, denn sie haben ihre Söhne und Männer verloren. Frage: Als du dort warst, wurde der Fall des Massakers im Ort VGPlan de SánchezNF vor dem VGInteramerikanischen MenschenrechtsgerichtNF (CIDH) präsentiert. Wie wurde das von den ZeugInnen miterlebt? E.L.: In Plan de Sánchez gibt es ein paar sehr engagierte Leute. Deshalb wurde dieser Fall als Präzedenzfall ausgewählt, um aufzuzeigen, wie eine Anklage aufgenommen und ein Prozess geführt werden könnte. Es wurden drei Personen aus den ZeugInnen ausgewählt, die intensiv vorbereitet wurden und die dann nach VGCosta RicaNF fuhren, wo sie vor dem CIDH ihre Aussagen machten. (Zu Plan de Sánchez siehe nächster Artikel, die Red.) Frage: Das Ziel ist ja, dass solche Prozesse auch in Guatemala geführt werden können. Falls es jemals soweit kommt, besteht ja immer noch die Möglichkeit, dass jemand wie Ríos Montt freigesprochen würde. Was würde ein solcher Freispruch für die ZeugInnen bedeuten? E.L.: Vielleicht würde er besser sterben, bevor es zu einem Prozess kommt, denn ein Freispruch wäre eine VGKatastropheNF. Würde er freigesprochen, ginge die ganze Hoffnung auf Veränderung, die zu Beginn der VGRegierung BergerNF aufgekeimt ist, wieder verloren. Wird Ríos Montt

eines Tages verurteilt, wird diese Hoffnung noch viel grösser und wächst zur Gewissheit heran, dass sich auch in Guatemala etwas ändern kann. Ein Freispruch dagegen wäre die schlimmste der drei Varianten. Er gäbe auch den Gegenkräften neuen Aufwind um Schaden anzurichten, zuzuschlagen, die Mayas zu unterdrücken und das alte System wieder herbeizuschaffen. Ein Freispruch wäre ganz, ganz schlimm. Frage: Es besteht ja nicht nur die "Gefahr", dass Ríos Montt stirbt, auch die ZeugInnen werden immer älter und auch von dieser Seite ist man einem gewissen Zeitdruck ausgesetzt, den Prozess voranzutreiben. E.L.: Bei den älteren Leuten besteht tatsächlich diese Gefahr, einige von ihnen sind krank und können oder wollen nicht mehr mitmachen, andere sterben. Dann gibt es die Generation, die damals gerade volljährig wurde und die heute etwa vierzig ist. Für sie ist es ein grosser Aufwand, dranzubleiben und weiterzumachen. Das Problem bei ihnen ist, dass oftmals ihre VGKinderNF nichts von der Vergangenheit wissen wollen. Diese Kinder, heute im Alter von ihren Eltern damals, sind vielleicht in einer evangelischen Sekte oder in sonst einer Organisation, die strikt dagegen sind, dass ZeugInnenaussagen gemacht werden, dass die Vergangenheit angetastet, ausgegraben wird. Diese Kinder setzen ihre Eltern unter Druck und verbieten ihnen, als ZeugInnen aufzutreten. Frage: Was macht CALDH, um zu verhindern, dass immer mehr Leute abspringen? E.L.: Sie versuchen, die ZeugInnen möglichst auf dem Laufenden über den Prozess zu halten, sie zu informieren, sie aber auch zu organisieren und zu mobilisieren. Sie versuchen einfach, die Leute nicht auf sich selber gestellt zu lassen. Deshalb auch wir Acompañantes. Frage: Was müsste in Guatemala in Sachen Menschenrechte geschehen? E.L.: Als erstes müssen die Schuldigen der violencia verurteilt werden. Damit würde auch das Vertrauen in den Rechtsstaat wachsen. Die Leute wüssten, dass etwas unternommen wird. Im Moment ist ja das Problem, dass oftmals gar keine Untersuchungen eingeleitet werden, wenn jemand eine Anzeige macht. Wie zum Beispiel bei den Frauenmorden. Es wird nichts gemacht und so kann doch niemand Vertrauen in einen Staat haben. Es muss zu Verurteilungen kommen, so wie zum Beispiel in VGNicaraguaNF, wo Alemán eingeknastet wurde. So etwas hätte in Guatemala eine unheimliche Wirkung, eine Sog- aber auch eine Pushwirkung. Die Leute könnten stolz auf ihr Land sein und auf einen Rechtsapparat, der funktioniert. Frage: Was war dein schönstes Erlebnis als Acompañante?

E.L.: Es gab viele schöne Erlebnisse! Einmal haben wir eine Gitarre mitgebracht und einer der Zeugen, der früher Lehrer war und selber vor zwanzig Jahren Gitarre spielte, hat versucht, sein Liederrepertoire auszugraben und uns diese beizubringen. Das war wunderschön. Und einmal, als wir einen Zeugen besuchten, haben wir nur die Kinder im Haus getroffen, die uns sagten, der Vater sei auf der Milpa. Als wir ihn das nächste Mal wieder nicht antrafen, sind wir losgezogen auf die Milpa oder in die Kaffeepflanzungen und als wir die Leute fanden, haben wir uns mit ihnen zusammen auf die Erde gesetzt und miteinander geplaudert. Sie haben uns mit grosser Inbrunst erzählt, was damals war, woran sie glauben, und dass sie doch eigentlich am schönsten Ort der Welt lebten und nicht verstehen könnten, dass alles so krumm lief. Solche Erzählungen zu hören, waren gewaltige Momente für mich. Herzlichen Dank fürs Gespräch! Kontaktadressen für Personen, die an Menschenrechtsbegleitung im Rahmen von ACOGUATE interessiert sind: VGDeutschlandNF: carea@gmx.net VGÖsterreichNF: guatemala@pcnet.at VGSchweizNF: corsam@peacewatch.ch


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