"Es gibt nichts Spektakuläres zu erzählen"
Fijáte 317 vom 25. Aug. 2004, Artikel 1, Seite 1
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"Es gibt nichts Spektakuläres zu erzählen"
Seit 1997 bereitet das Centro de Acción Legal en Derechos Humanos (CALDH) in Guatemala gerichtliche Klagen gegen die von Mitgliedern der Regierungen von Romeo Lucas García (1978 1982) und Efraín Ríos Montt (1982 1983) begangenen Kriegsverbrechen vor. An den Klagen beteiligen sich 22 Gemeinden aus vier Departements. Anfang 2000 bat CALDH verschiedene internationale Organisationen, die in Guatemala im Bereich Menschenrechte und Personenbegleitung (Acompañamiento) tätig sind oder waren, um Unterstützung bei der Begleitung der ZeugInnen dieser Klagen. Verschiedene Begleit- und Solidaritätsorganisationen aus Europa und Nordamerika schlossen sich daraufhin in einer Koordination zusammen und schufen somit die organisatorische Grundlage für ACOGUATE, dem internationalen Begleitprojekt, das die Arbeit von CALDH und den an den Klagen beteiligten Gemeinden unterstützt. Von Februar bis Mai war Edi Liechti in einem Einsatz von ACOGUATE und erzählt im folgenden Interview von seinen Eindrücken und der, wie er es immer wieder betonte, "unspektakulären" Arbeit als internationaler Begleiter. Frage: Wie viele Acompañantes (BegleiterInnen) sind für ACOGUATE im Einsatz? Edi Liechti: Während der Ausbildung, die wir vor dem Einsatz in Guatemala erhielten, waren wir zu fünft. Jeden Monat, wenn wir uns alle in der Hauptstadt zur Berichterstattung trafen, kamen 2-3 neue dazu. Insgesamt waren wir während meiner Zeit zwölf Personen, verteilt auf die verschiedenen Gemeinden, die an den Klagen beteiligt sind. Ich selber war in Rabinal, wo im Idealfall jeweils vier BegleiterInnen stationiert sind, die in Zweiergruppen verschiedene Gebiete und Gemeinden abdecken. Während der drei Monate war dies aber nur 14 Tage lang der Fall, nach meinem Weggang war sogar eine Zeit lang eine Person allein, weil es vorübergehend zu wenig Personal gab. ter? Frage: Was war deine Aufgabe als internationaler Begleiauch persönlich begleitet, wenn sie reisen mussten, z.B. um ihre Aussagen zu machen? E.L.: Wenn sie ihre Aussagen machten, wurden sie meist von AnwältInnen von CALDH begleitet. Wir waren bei grösseren Sachen dabei, haben sie zum Beispiel begleitet nach Huehuetenango zur Jahresversammlung aller an den Klagen beteiligten ZeugInnen. Wenn die Leute z.B. in die Hauptstadt fuhren, war es ihnen freigestellt, ob sie sich begleiten lassen wollten oder nicht. Es gab solche, die waren nur in Begleitung unterwegs, andere wollten das nicht, weil sie meinten, noch mehr aufzufallen, wenn sie in Begleitung einer ausländischen Person reisen. Frage: Gab während deines Einsatzes Momente, wo es ohne deine Anwesenheit hätte gefährlich werden können für eineN ZeugIn? E.L.: Nicht in dem Sinne, dass jemand umgebracht worden wäre, ich habe eine ruhige Zeit in Rabinal erlebt. In einem Vorort von Rabinal gab es tatsächlich Drohungen gegen ZeugInnen, was grosse Angst auslöste. Jemand, der in Untersuchungshaft sass, liess durchsickern, dass nach seiner Freilassung ein paar Köpfe rollen würden und es kursierten auch die Namen der Personen, deren Köpfe rollen sollten. Wir gingen diesen Drohungen nach, nahmen ein Protokoll auf, aber es war unmöglich, den Namen der Person herauszufinden, welche die Drohungen aussprach oder die der Leute, die sie verbreiteten. Die viel reellere ,,Gefahr" besteht darin, dass die ZeugInnen abspringen, dass sie müde werden und alles hinschmeissen, wenn keine Internationalen mehr kommen. Frage: Wie war die Zusammenarbeit mit anderen Menschenrechtsorganisationen in Rabinal? E.L.: Wir haben nur mit CALDH zusammengearbeitet. CALDH hat in Rabinal ein Büro, wo wir auch gewohnt E.L.: Meine Aufgabe war es, alle ZeugInnen mindestens einmal in der Woche zu besuchen, ihnen zuzuhören, Informationen auszutauschen und, wäre dies der Fall gewesen, genau zu dokumentieren, wenn sie Drohungen bekommen hätten. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist die moralische Unterstützung der Leute. Konnten wir einmal eine Woche nicht vorbeigehen, weil wir z.B. in der Hauptstadt waren, vermissten sie uns, fragten, wo wir gewesen seien und erzählten, dass sie auf uns gewartet hätten. Unsere Besuche sind zu einem festen Bestandteil ihres Lebens geworden und geben ihnen viel Kraft dabei, die ZeugInnenaussagen aufrecht zu erhalten und weiter zu machen. So etwas durchzuziehen kostet ja nicht nur Geld, dieses wird ihnen übrigens ersetzt, sondern es braucht auch sehr viel Zeit, all die Reiserei und die Sitzungen. Unsere Aufgabe ist die Begleitung, die Sicherheit. Alle Leute wissen, dass immer jemand von uns kommt, dass wir über alles sofort informiert werden, was den ZeugInnen angetan würde. Frage: Habt ihr neben den Besuchen zu Hause die Leute haben und mit deren Sekretär wir in engem Kontakt standen. Mit ihm zusammen haben wir die ganze Logistik organisiert, um die rund 200 ZeugInnen aus der Gegend von Rabinal nach Huehuetenango zu der Jahresversammlung zu bringen. Jeweils donnerstags und sonntags hatten wir "Bürodienst". An diesen Tagen ist Markt in Rabinal und die ZeugInnen, die wir während unseres Besuchs in den Dörfern aus irgend einem Grund nicht antrafen, kamen im Büro vorbei, wenn sie nach Rabinal auf den Markt kamen. Manchmal gingen auch wir auf den Markt in der Hoffnung, jemanden anzutreffen, dem oder der wir eine Nachricht übergeben mussten. Frage: Worum ging es bei der Jahresversammlung in Huehuetenango? E.L.: Es war ein Treffen aller ZeugInnen und aller UnterstützerInnen und internationalen Acompañantes. Es wurde informiert über den Stand der Prozesse, über die weiteren Schritte und die längerfristigen Strategien, die CALDH in dieser Sache plant. Dann gab es aber auch einen inhaltlichen Teil. Dieses Jahr ging es um die Identität der Indígenas und das war sehr interessant, denn es kamen bei diesem Treffen Leute zusammen aus dem Quiché, aus Chimaltenango aus Huehue und anderen Regionen, mit ihren verschiedenen Sprachen und Bräuchen. Bei dem Treffen ging es darum, die eigene Maya-Identität zu erkennen, dazu zu stehen und auch stolz darauf sein zu können. Es ging auch darum zu erkennen, dass es notwendig ist, sich als Mayas zu verbünden, z.B. in dieser Klage, wo es ja am Ende darum geht, gegen ein Regierungssystem anzutreten, in dem Straflosigkeit herrscht. Spannend waren vor allem die Gruppenarbeiten, wo die Frauen es waren vor allem Frauen über Fragen diskutierten wie "Was ist einE Maya?". In diesen Gesprächen fand ein gegenseitiges Aufbauen und Empowerment statt. Frage: Wie ist denn nun der aktuelle Stand der Klagen? Wann werden sie eingereicht? E.L.: Im April/ Mai hiess es, dass fast 80% der Anklagen geschrieben seien. Man hoffte, dass bis Ende 2004 aber allerspätestens in der ersten Hälfte 2005 diese Anklagen dem Gericht übergeben werden können. Frage: Was war für dich das Schwierigste an der Arbeit als Acompañante? E.L.: Rein praktische Dinge. Zum Beispiel, sich in diesem weitverzweigten Berggebiet zurecht zu finden, die richtigen Wege und die einzelnen Häuser wieder zu finden und dann erst noch zu wissen, wer in welchem Haus wohnt. Das war im ersten Monat sehr schwierig. Schwierig war auch, unterwegs an anderen Häusern vorbeizukommen, von den Leuten freundlich begrüsst und eingeladen zu werden und nicht zu wissen, wie man sich zu verhalten hat: Einen Moment stehen bleiben und etwas plaudern oder einfach weiter gehen. Unsere Instruktion war, nur mit den ZeugInnen Kontakt zu haben, aber mir war es manchmal unwohl dabei, dass wir so etwas wie eine Zweiklassengesellschaft in diesen Dörfern schufen: Zu den einen gehen die AusländerInnen, zu den anderen gehen sie nicht. Wir haben es dann einfach so gelöst, dass wir immer sehr nett gegrüsst haben und schliesslich hatten wir auch zu wenig Zeit, um sie auch noch zu besuchen. Frage: Wie ist in diesen comunidades das Zusammenleben von "Opfer" und "Täter"? E.L.: Die leben wie eh und je auf Vernunftbasis miteinander. Aber man weiss natürlich, wer sich was zu Schulden hat kommen lassen. Ich habe sehr Intimes von den Leuten erfahren, aber ich habe nie jemanden sagen hören, der und der kommt dann auch dran, wenn wir den Prozess gewinnen. Ich hatte überhaupt nicht den Eindruck, dass es darum geht, mit einzelnen Leuten aus der Gemeinde abzurechnen. Es geht darum, mit einem System abzurechnen, mit einem Staat, mit einer Militärorganisation und mit einer Regierung für grässliche Massaker, die veranstaltet wurden. Dass es menschlich ist, dass man auf irgend eine Art mitmachen musste, dass man so oder so mitmacht, das ist in diesen Gemeinden allen klar. Frage: Wie schätzt du die Wirkung deiner Arbeit ein? Wem bringt diese Arbeit etwas? E.L.: Ich glaube, allen die so etwas machen, bringt es wahnsinnig viel! Für mich war es einmal mehr eine Lebensschulung (Edi ist 65!, die Red.). Nach dem ersten Monat war ich mir nicht sicher, ob ich nicht besser aufgeben sollte, habe mich dann aber fürs Weitermachen entschieden. Danach wurde ich nur noch belohnt: Plötzlich kannte ich die Leute, plötzlich kannte ich die Wege und plötzlich merkte ich, wie die Leute meine Arbeit schätzen. Mit der Zeit wurde man sich sehr vertraut und schon bald wieder musste man an den Abschied denken... Wertvoll für die ZeugInnen ist, Nach oben |
dass sie Solidarität zu spüren bekommen aus Europa, aus den USA, aus Kanada, internationale Solidarität und Unterstützung für das, was sie machen. Und das gibt ihnen die Gewissheit, dass sie das Richtige tun. Ich glaube, ohne unsere Unterstützung könnte der Prozess niemals stattfinden, weil der Aufwand zu gross ist und es doch immer wieder Schwierigkeiten in der Nachbarschaft gibt. Frage: Haben die ZeugInnen Hoffnung, dass ihnen irgendwann Gerechtigkeit widerfährt? Oder was ist die Motivation der Leute, bei diesem Prozess mitzumachen? E.L.: Zuoberst steht die Tatsache, dass grosses Unrecht geschehen ist, und dass dies als solches festgehalten werden, entschuldigt und bestraft werden muss. Darum geht es in erster Linie. Dazu kommt sicher auch die Hoffnung, dass sie für ihren materiellen Schaden eine Wiedergutmachung bekommen, für die niedergebrannten Häuser, für die gestohlenen Kühe, und schliesslich für die Arbeitskräfte, die sie verloren haben, denn sie haben ihre Söhne und Männer verloren. Frage: Als du dort warst, wurde der Fall des Massakers im Ort Plan de Sánchez vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgericht (CIDH) präsentiert. Wie wurde das von den ZeugInnen miterlebt? E.L.: In Plan de Sánchez gibt es ein paar sehr engagierte Leute. Deshalb wurde dieser Fall als Präzedenzfall ausgewählt, um aufzuzeigen, wie eine Anklage aufgenommen und ein Prozess geführt werden könnte. Es wurden drei Personen aus den ZeugInnen ausgewählt, die intensiv vorbereitet wurden und die dann nach Costa Rica fuhren, wo sie vor dem CIDH ihre Aussagen machten. (Zu Plan de Sánchez siehe nächster Artikel, die Red.) Frage: Das Ziel ist ja, dass solche Prozesse auch in Guatemala geführt werden können. Falls es jemals soweit kommt, besteht ja immer noch die Möglichkeit, dass jemand wie Ríos Montt freigesprochen würde. Was würde ein solcher Freispruch für die ZeugInnen bedeuten? E.L.: Vielleicht würde er besser sterben, bevor es zu einem Prozess kommt, denn ein Freispruch wäre eine Katastrophe. Würde er freigesprochen, ginge die ganze Hoffnung auf Veränderung, die zu Beginn der Regierung Berger aufgekeimt ist, wieder verloren. Wird Ríos Montt eines Tages verurteilt, wird diese Hoffnung noch viel grösser und wächst zur Gewissheit heran, dass sich auch in Guatemala etwas ändern kann. Ein Freispruch dagegen wäre die schlimmste der drei Varianten. Er gäbe auch den Gegenkräften neuen Aufwind um Schaden anzurichten, zuzuschlagen, die Mayas zu unterdrücken und das alte System wieder herbeizuschaffen. Ein Freispruch wäre ganz, ganz schlimm. Frage: Es besteht ja nicht nur die "Gefahr", dass Ríos Montt stirbt, auch die ZeugInnen werden immer älter und auch von dieser Seite ist man einem gewissen Zeitdruck ausgesetzt, den Prozess voranzutreiben. E.L.: Bei den älteren Leuten besteht tatsächlich diese Gefahr, einige von ihnen sind krank und können oder wollen nicht mehr mitmachen, andere sterben. Dann gibt es die Generation, die damals gerade volljährig wurde und die heute etwa vierzig ist. Für sie ist es ein grosser Aufwand, dranzubleiben und weiterzumachen. Das Problem bei ihnen ist, dass oftmals ihre Kinder nichts von der Vergangenheit wissen wollen. Diese Kinder, heute im Alter von ihren Eltern damals, sind vielleicht in einer evangelischen Sekte oder in sonst einer Organisation, die strikt dagegen sind, dass ZeugInnenaussagen gemacht werden, dass die Vergangenheit angetastet, ausgegraben wird. Diese Kinder setzen ihre Eltern unter Druck und verbieten ihnen, als ZeugInnen aufzutreten. Frage: Was macht CALDH, um zu verhindern, dass immer mehr Leute abspringen? E.L.: Sie versuchen, die ZeugInnen möglichst auf dem Laufenden über den Prozess zu halten, sie zu informieren, sie aber auch zu organisieren und zu mobilisieren. Sie versuchen einfach, die Leute nicht auf sich selber gestellt zu lassen. Deshalb auch wir Acompañantes. Frage: Was müsste in Guatemala in Sachen Menschenrechte geschehen? E.L.: Als erstes müssen die Schuldigen der violencia verurteilt werden. Damit würde auch das Vertrauen in den Rechtsstaat wachsen. Die Leute wüssten, dass etwas unternommen wird. Im Moment ist ja das Problem, dass oftmals gar keine Untersuchungen eingeleitet werden, wenn jemand eine Anzeige macht. Wie zum Beispiel bei den Frauenmorden. Es wird nichts gemacht und so kann doch niemand Vertrauen in einen Staat haben. Es muss zu Verurteilungen kommen, so wie zum Beispiel in Nicaragua, wo Alemán eingeknastet wurde. So etwas hätte in Guatemala eine unheimliche Wirkung, eine Sog- aber auch eine Pushwirkung. Die Leute könnten stolz auf ihr Land sein und auf einen Rechtsapparat, der funktioniert. Frage: Was war dein schönstes Erlebnis als Acompañante? E.L.: Es gab viele schöne Erlebnisse! Einmal haben wir eine Gitarre mitgebracht und einer der Zeugen, der früher Lehrer war und selber vor zwanzig Jahren Gitarre spielte, hat versucht, sein Liederrepertoire auszugraben und uns diese beizubringen. Das war wunderschön. Und einmal, als wir einen Zeugen besuchten, haben wir nur die Kinder im Haus getroffen, die uns sagten, der Vater sei auf der Milpa. Als wir ihn das nächste Mal wieder nicht antrafen, sind wir losgezogen auf die Milpa oder in die Kaffeepflanzungen und als wir die Leute fanden, haben wir uns mit ihnen zusammen auf die Erde gesetzt und miteinander geplaudert. Sie haben uns mit grosser Inbrunst erzählt, was damals war, woran sie glauben, und dass sie doch eigentlich am schönsten Ort der Welt lebten und nicht verstehen könnten, dass alles so krumm lief. Solche Erzählungen zu hören, waren gewaltige Momente für mich. Herzlichen Dank fürs Gespräch! Kontaktadressen für Personen, die an Menschenrechtsbegleitung im Rahmen von ACOGUATE interessiert sind: Deutschland: carea@gmx.net Österreich: guatemala@pcnet.at Schweiz: corsam@peacewatch.ch |
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