Nicht eine Tote mehr! Kampagne gegen Frauenmorde in Guatemala
Fijáte 316 vom 11. Aug. 2004, Artikel 1, Seite 1
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Nicht eine Tote mehr! Kampagne gegen Frauenmorde in Guatemala
Tagtäglich werden in Guatemala Frauen und Mädchen auf grausame Weise ermordet. Der Femizid (Ermordung von Frauen wegen ihres Frau-Seins) ist eine Form des Terrors, dem Guatemaltekinnen seit 2001 verstärkt ausgesetzt sind. Durch Ciudad Júarez im mexikanischen Norden ist in Europa das systematische Morden von vorwiegend jungen Frauen bekannt geworden. Doch auch die Länder Zentralamerikas sind von dieser Form der Gewalt gegen Frauen betroffen. In Guatemala übersteigen die Zahlen der Frauenmorde inzwischen diejenigen von Mexiko. Die aktuelle mediale Berichterstattung über das Phänomen "Gewalt" ist geprägt von möglichst schauererregenden Bildern, tendenziösen Versuchen, die Ursprünge und Hintergründe des zunehmenden Mordens zu erklären und Anschuldigungen an die Regierung, hauptverantwortlich für das "Übel" zu sein. Spezielles und besonders sensationalistisches Augenmerk wird den mehr und mehr bekannt gewordenen Frauenmorden geschenkt. Diese haben im Vergleich zu den ebenfalls zunehmenden Morden an Männern eine klar sexuelle Konnotation, die meisten der Frauen wurden vor ihrem Tod vergewaltigt und gefoltert, sexistische Ausdrücke wurden ihnen in die Haut geritzt oder auf am Körper der toten Frauen angebrachte Zettel geschrieben. In den vergangenen 24 Monaten wurde durchschnittlich eine Frau pro Tag ermordet, Tendenz steigend. Die meisten dieser Morde geschehen in der Hauptstadt. Wirklich zuverlässige Statistiken gibt es nicht, weder über die Anzahl der Morde noch über ihre Hintergründe. Während die Zahlenaufstellungen von Menschenrechtso der Frauenorganisationen aufgrund unterschiedlicher Quellen variieren, hat Vizepräsident Eduardo Stein eine ganz eigene Art, Statistiken zu fälschen. "Im Vergleich zum letzten Jahr ist die Anzahl der Gewalttaten stabil geblieben. Das einzige Problem sind die Frauenmorde", sagte Stein Ende Juli gegenüber der Tageszeitung SigloXXI. Damit gibt er klar zum Ausdruck, dass es für ihn unterschiedlich wertvolle Leben, bzw. Tode gibt, und Frauenmorde klammert er lieber aus, wenn es um das Erstellen einer Statistik geht. Ernsthafte Untersuchungen seitens der Behörden oder der Polizei gibt es nicht, dafür umso mehr hanebüchene Erklärungsversuche über die Urheberschaft bzw. über die Gründe der Frauenmorde. Abrechnung unter Banden oder systematischer Femizid? Lieblingstäter Nr. 1 sowohl der guatemaltekischen Behörden wie auch der Presse und der Bevölkerung sind die maras, die kriminellen Jugendbanden. Der "Beweis": Ein Teil der ermordeten Frauen trägt Tatoo's, ein Markenzeichen, durch das sich in Guatemala die meisten Mitglieder von Jugendbanden auszeichnen. Bei den Gründen gibt es dann aber bereits Unterschiede: Während die einen von Abrechnungen zwischen verschiedenen maras sprechen, bei denen die Frauen und Freundinnen der Bandenmitglieder die Opfer sind, erklären es andere damit, dass Frauen immer häufiger selbst aktive Mitglieder von maras sind, die sich in die "dunkle Welt" der Drogen und somit in Gefahr begeben. Eine Weiterführung der mara-These ist, dass diese wohl die ausführenden Täter sind, dahinter jedoch das organisierte Verbrechen und die Drogenkartelle stecken. Das Ziel: die Destabilisierung der Regierung, die in den letzten Monaten ein paar spektakuläre Fänge in der Drogen- und Mafiaszene gemacht hat. Die guatemaltekische Kriminalpolizei untermauert diese These mit ihrer Statistik, gemäss der 40% der ermordeten Frauen etwas mit den maras zu tun gehabt hätten, weitere 30% in den Drogenhandel verwickelt, 20% der Morde die Folgen eines Liebesdramas und 10% so genannte Zufälle gewesen seien. Die offiziellen Daten der Polizei sprechen jedoch eine andere Sprache: 15% der ermordeten Frauen seien selber Mitglieder oder Angehörige von Mitgliedern von Jugendbanden, 4% seien in den Drogenhandel involviert, während 44% der Morde auf innerfamiliäre Gewalt zurückzuführen seien. Die restlichen 37% vermag die Polizei nicht eindeutig zu klassifizieren. Diese Zahlen bestärken das Argument der Frauenorganisationen, dass es sich bei den Frauenmorden um ein geschlechtspezifisches Phänomen, also um Femizid, handelt. Auch Giovanna Lemus vom Netzwerk gegen Gewalt gegen Frauen teilt diese Ansicht. Häusliche Gewalt habe es schon immer gegeben, neu sei, dass die Behörden endlich eine Statistik darüber führten, gleichzeitig aber zu verhindern versuchten, dass diese öffentlich werde. Weiter kritisiert Lemus die Medien und die Kirche wegen ihrer Doppelmoral, mit der Frauen, die sich für ihre Rechte einsetzen, als verrückte Feministinnen, Huren oder Abtreiberinnen abgestempelt würden. Laura Asturias, Herausgeberin der feministischen Internetzeitung Tertulia (www.latertulia.net) beschuldigt die Regierung, durch eine fehlende Sicherheitspolitik und durch falsche Prioritätensetzung mitschuldig an den Frauenmorden zu sein. Die maras seien nicht das einzige Problem, viel wichtiger sei es, häusliche Gewalt als ein die ganze Gesellschaft betreffendes Übel anzuerkennen. Die Regierung müsse endlich ihre Verantwortung wahrnehmen und aufhören, die Schuld den Frauen zuzuschieben, ihrer Art, sich zu kleiden oder ihrem Wunsch, ausser Haus zu arbeiten. Und gemäss Ileana Alamilla, Direktorin der Nachrichtenagentur CERIGUA, welche seit Jahren das Thema Gender und Medienberichterstattung verfolgt, seien die heutigen Gewaltexzesse eine Spätfolge des bewaffneten Konflikts. Umso dramatischer sei es, wenn "die Behörden heute solche Barbarei mit dem Vorwurf rechtfertigen, die Frauen oder Jugendlichen seien Mitglieder von Banden, illegalen Gruppen oder gingen der Prostitution nach", so die engagierte Journalistin in einem internationalen Aufruf. Konjunkturelles oder strukturelles Phänomen? Der Vorwurf von Alamilla zielt in die Richtung, die auch Marina de Villagrán, Sozialpsychologin und Spezialistin für politische Gewalt an der Universität San Carlos vertritt: Es fehle eine tiefergehenden Analyse über die Gründe der Gewalt. Gemäss de Villagrán könnten die Ursachen in drei Kategorien aufgeteilt werden: strukturell, personal und kulturell. Die gängigen Erklärungsmuster würden sich vorwiegend auf die personale Gewalt stützen, also auf Beziehungsprobleme, Liebesdramen, persönliche, zwischenmenschlichen Abrechnungen, wohingegen die strukturellen Ursachen von Gewalt nie zur Diskussion gestellt würden. Als strukturelle Ursachen für Gewalt sieht sie z.B. den politischen Machtkampf, die Globalisierung, die Glorifizierung von Gewalt in der Unterhaltungsindustrie, die sozialen Geschlechterkonstruktionen sowie die Intoleranz gegenüber anderen Lebensformen. Zwar sei z.B. Armut als Ursache von Gewalt ein Thema, das jedoch sehr oberflächlich behandelt würde, wobei die Ursachen der Armut nicht hinterfragt würden. Nach oben |
Die Reaktion der Regierung Die bisherige Reaktion der Regierung war eher zögerlich und hilflos. Der (unterdessen Ex-) Innenminister Arturo Soto erklärte am 1. März, er wolle die Unterstützung der mexikanischen Regierung einholen und auf deren Erfahrungen in Ciudad Júarez zurückgreifen, da er Ähnlichkeiten in der Vorgehensweise der Täter sehe. Diese Idee wurde von Laura Asturias stark kritisiert: "Hilfe bei der mexikanischen Regierung zu beantragen ist das Dümmste, das sie machen können und ein enormer Zeitverlust. Die mexikanischen Behörden sind von Amnesty International und der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) als inaktiv und ineffizient bezeichnet worden. Die Lösung des Problems von Guatemala liegt nicht in Ciudad Júarez, sondern bei den guatemaltekischen Behörden." Unterdessen wurden weitere oberflächliche Massnahmen beschlossen, um der Gewalt zu begegnen. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, auffällige Personen in ihren Wohnvierteln anzuzeigen, eine Entwaffnungskampagne wurde zwar eingeleitet, stösst aber auf keine grosse Begeisterung in der Bevölkerung, da sich diese lieber "selber schützt, wenn es die Polizei schon nicht tut" und seit Juli patrouillieren in den als "Roten Zonen" deklarierten, besonders gefährlichen Gebieten der Hauptstadt kombinierte Militär-/Polizeitruppen, ein von der guatemaltekischen Gesellschaft aus historischen Gründen nicht als vertrauenswürdig eingestuftes Duo. Internationaler und nationaler Protest Das guatemaltekische Drama der Frauenmorde hat dazu geführt, dass im Februar dieses Jahres die UNO-Sonderbeauftragte für das Thema Gewalt gegen Frauen, Yakin Ertürk, das Land besuchte und in ihrem Bericht ebenfalls auf die geschlechtspezifische Dimension des Phänomens verwies. Damit stützt sie eine Kampagne des Netzwerks gegen Gewalt gegen Frauen, welche seit November 2003 läuft. "Für das Leben der Frauen nicht eine Tote mehr" ist der Slogan dieser Kampagne, in deren Verlauf die guatemaltekische Regierung vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission verklagt wurde und Protestaktionen vor dem Innenministerium und der Staatsanwaltschaft durchgeführt wurden. Der Frauenkommission des guatemaltekischen Kongresses wurde ein Forderungskatalog überreicht, in dem u.a. die sofortige Verabschiedung und Umsetzung einer bereits im März 2002 von der Frauenbewegung eingebrachten Revision des Strafgesetzes bezüglich häuslicher Gewalt gefordert wird. Die Kampagne des Netzwerks gegen Gewalt gegen Frauen wird nun auch mit einer Unterschriftenaktion in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützt. Zusammen mit den Unterschriften soll der guatemalteki- schen Regierung ein Schreiben überreicht werden, aus dem wir im Folgenden zitieren: "Verschiedene Organisationen und Frauengruppen der Solidarität mit Guatemala unterstützen die Forderungen des Frauennetzwerkes gegen Gewalt Red de la No Violencia contra la Mujer. In Solidarität mit der guatemaltekischen Zivilgesellschaft, den Frauen und den Familienangehörigen der Opfer fordern wir, die Gewalt umgehend zu stoppen und die Tötungsdelikte aufzuklären. Wir unterstützen die Forderungen der Red de la No Violencia contra la Mujer und fordern, dass 1. das Innenministerium eine Kampagne zur Sensibilisierung gegenüber und Vermeidung der Gewalt gegen Frauen durchführt; 2. eine geographische Übersicht über die für Frauen gefährlichsten Zonen Guatemalas darstellt und dort eine konstante und effektive Polizeipräsenz garantiert ist; 3. eine intensive Untersuchung gestartet wird, die die Verantwortlichen der Mordtaten genau bestimmt; 4. die Untersuchungen der einzelnen Fälle in Koordination zwischen der Nationalen Zivilpolizei und dem Innenministerium stattfinden; 5. das Innenministerium die Nachforschungen und Untersuchungen fortsetzt, die Verantwortlichen verfolgt und eine rechtmässige Strafe erlässt. Mit den Strukturen des Terrors, der Männerdominanz, der Repression und der steten Unsicherheit, die im Land herrschen, muss sofort Schluss gemacht werden. Guatemala hat u.a. die Konvention gegen jegliche Form der Gewalt gegen Frauen unterzeichnet. Im Sinne der internationalen Menschenrechtskonvention fordern wir den guatemaltekischen Staat auf, das Leben und die Menschenrechte aller Frauen zu schützen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, Ethnie, politischen Überzeugung oder sexuellen Orientierung. Ausserdem fordern wir, dass die klandestinen Strukturen umgehend aufgelöst und die patriarchalen Strukturen transformiert werden. Wir fordern ein würdevolles Leben für alle GuatemaltekInnen, und dass endlich nach vielen Kriegsjahren eine demokratische Gesellschaft aufgebaut wird und die Wurzeln der Straflosigkeit bekämpft werden." Kampagnenmaterial wie Unterschriftbogen, Musterbrief und weiterführende Texte (auf Spanisch) zum Thema können bestellt werden bei: ines_rummel@yahoo.com.mx |
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