Berger und die Gewalt
Fijáte 314 vom 14. Juli 2004, Artikel 3, Seite 4
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Berger und die Gewalt
Guatemala, 6. Juli. Oscar Berger kann auf sein erstes halbes Jahr als Präsident von Guatemala zurückschauen. Ein bewegtes halbes Jahr, denken wir an die aufgedeckten Korruptionsfälle, die Haftbefehle und ausgeführten Verhaftungen im Falle korrupter ehemaliger Regierungsmitglieder, die Spaltung der Regierungsallianz GANA, die Reduktion der Armee. Denken wir aber auch an die Massendemonstrationen der sozialen Bewegungen im Zusammenhang mit der Landproblematik und der Steuerpolitik, die Entschädigungsforderungen der ehemaligen Zivilpatrouillen auf der einen sowie der Opfer des Krieges bzw. ihrer Angehörigen auf der anderen Seite. Das grösste Problem, mit dem die Regierung jedoch konfrontiert ist und das sie überhaupt nicht in den Griff zu bekommen scheint, ist die Gewalt. Momentan sind die Editoriale und LeserInnenbriefseiten aller Zeitungen voll mit Kritik und Kommentaren zur Unfähigkeit der Regierung, greifende Massnahmen zu implementieren. Auch Briefe von Freundinnen, Freunden und Bekannten aus Guatemala drücken eine allgemeine oder sehr konkrete Besorgnis über die zunehmende Gewalt aus. Bereits wird das vor allem in der Hauptstadt verbreitete Klima der Gewalt mit der gezielten Repression seitens der Regierung während des bewaffneten Konflikts verglichen. ,,Es ist wie damals: Wenn du am Morgen das Haus verlässt, verabschiedest du dich von deiner Familie, als wäre es das letzte Mal, niemand weiss, ob du am Abend wieder nach Hause kommst", war in einem Leserbrief zu lesen. Gemäss der Menschenrechtsorganisation Gruppe gegenseitiger Hilfe GAM haben die Morde nicht nur in ihrer Anzahl zugenommen, sondern auch in ihrer Brutalität; viele Opfer werden vor ihrer Ermordung gefoltert oder vergewaltigt. In ihrer Statistik über die ersten sechs Monate dieses Jahres zählt die GAM 956 gewaltsame Morde. Dies ist zahlenmässig und im Vergleich zu den letzten Jahren sicher eine Zunahme. Treffen kann es offensichtlich jeden und jede, sei es als Benutzerin des öffentlichen Verkehrs, als Fahrzeuglenker an einer roten Ampel oder bei der Einfahrt in einen Parkplatz, sei es als Handybenutzerin oder als Benutzer eines Bankautomaten. Die Regierung hat es bisher nicht geschafft, erfolgreiche Massnahmen zu ergreifen, die Polizei scheint der Sache nicht gewachsen zu sein bzw. sind deren Angehörige oft selber in die Verbrechen involviert und auch die kombinierten Patrouillen von Militär und Polizei können die Gewalt nicht eindämmen. Gleichzeitig verfolgt die Presse mit einem offensichtlichen Voyeurismus diese ,,Unglücksfälle und Verbrechen" und schlägt sie auf ihren Titelseiten breit. All dies lässt die Frage aufkommen, wer denn ein Interesse an diesen Gewalttaten und dem dadurch verbreiteten Klima der Angst und Verunsicherung hat. Viele Leute sind sich unterdessen einig, dass die Sache System hat und von gewissen ,,dunklen" oder ,,parallelen" Kräften wenn nicht bewusst gesteuert, so doch befürwortet und gefördert wird. Der Menschenrechtsaktivist Miguel Angel Albizures von der Allianz gegen Straflosigkeit (ACI) spricht gar von einer gezielten sozialen Säuberung. Nach oben |
Hinweise dafür sieht Albizures in den oft ähnlichen Verletzungen und Folterspuren, die an den Opfern auszumachen sind und die klar auf eine geplante Aktion schliessen lassen. Angesichts dieser Situation ist das Interview mit der Tageszeitung Prensa Libre, in dem Präsident Oscar Berger sein erstes halbes Jahr als Staatsoberhaupt resümiert, der reine Hohn. Wir zitieren es im Folgenden Ausschnittweise. Frage: Wie haben Sie das Land vorgefunden? Oscar Berger: Ich dachte, die Angelegenheit wäre weniger kompliziert. Wir mussten die Institutionen reorganisieren, die Korruption verfolgen, die Steuerreform vorantreiben und die Polizei ,,säubern". Wir hatten viel damit zu tun, überhaupt die Probleme und Schwierigkeiten zu identifizieren. Frage: Was ist denn das grösste Problem? O.B.: Wir sind natürlich besorgt über die Gewalt. Wir konnten 250'000 mareros (Angehörige von Jugendbanden) registrieren. Ehrlich gesagt war ich mehr Feuerwehrmann als Präsident. Wir haben überall ,,Feuer" löschen und verhindern müssen, dass sich das ,,Böse" im Land nicht ausbreitet. Wir waren vorwiegend damit beschäftigt, alte Wunden zu heilen. Frage: Werden Sie die Massnahmen noch verschärfen? O.B.: Wir sind fast permanent im Gespräch mit dem Sicherheitskabinett. Wir sind in den verschiedenen, als risikoreich identifizierten Stadtteilen präsent und durchsuchen gezielt Wohnungen. Doch es scheint, dass es nicht genügt. Mit Präsenz allein kann die Gewalt nicht verhindert werden. Ein unsicheres Land ist auch nicht attraktiv für ausländische InvestorInnen. All das führt in einen Teufelskreis und zu Konsequenzen, die für die Bevölkerung von Nachteil sind. Frage: Könnte man sagen, dass ihre Regierung keine klare Strategie in Sachen Gewaltbekämpfung hat? O.B.: Es ist schwierig zu sagen, ob wir eine klare Richtung verfolgen oder nicht. Wir bemühen uns aber sehr, die Sicherheitskräfte zu stärken und die Bevölkerung im Kampf gegen die Gewalt zu organisieren. Es ist schwierig zu sagen, ob die kombinierten Patrouillen erfolgreich sind oder nicht. Gewalt ist ein Problem, das man nicht von heute auf morgen lösen kann und ich habe nie behauptet, dass es nach sechs Monaten keine Delinquenz in Guatemala mehr geben werde. Frage: Eigentlich wäre es aber bereits während Ihrer Wahlkampagne ein absehbares Problem gewesen. OB: Ich habe nie gedacht, dass es so schlimm ist. Ich habe mir gesagt: Wir übernehmen die Regierung und ich ernenne SpezialistInnen für jedes Thema. Doch einmal an der Macht, haben wir gemerkt, dass gar kein Geld vorhanden ist, um irgendetwas zu machen. Unterdessen sieht das anders aus und ich hoffe, wir können in einem halben Jahr eine Bilanz darüber ziehen, ob wir erfolgreich sind oder nicht. |
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