Ríos Montt gerät unter Druck
Fijáte 208 vom 12. April 2000, Artikel 1, Seite 1
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Ríos Montt gerät unter Druck
Mit der Anklage Rigoberta Menchú's beim Obersten Spanischen Gerichtshof und der Klage der Vereinigung von Familienangehörigen Verschwundener (FAMADEGUA) bezüglich des Massakers von Dos Erres vor der guatemaltekischen Justiz scheint es so, als ob General Efraín Ríos Montt - besser spät als nie - zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Es besteht die Hoffnung, nach dem gescheiterten Versuch, General Pinochet vor ein internationales Gericht zu bringen, dies mit Ríos Montt zu schaffen. Auf nationaler Ebene jedoch droht ein Eklat innerhalb der Regierung. Die FactsAm 27. März entschied der spanische Richter Guillermo Ruiz Polanco, dass das spanische Nationalgericht die Kompetenz hat, auf die Anfang Dezember letzten Jahres von der guatemaltekischen Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú eingereichten Klage gegen Ríos Montt einzugehen. Insgesamt werden acht Personen angeklagt: Die Generäle und Expräsidenten Oscar Humberto Mejía Víctores, José Efraín Ríos Montt und Fernando Romero Lucas García, der ehemalige Verteidigungsminister General Angel Aníbal Guevara Rodríguez, der ehemalige Innenminister Donaldo Alvarez Ruiz, der ehemalige Chef des Präsidialen Generalstabs (EMP) Benedicto Lucas García und die ehemaligen Polizeichefs Germán Chupina Barahona und Pedro García Arredondo. Neben der Klage bezüglich des Brandes der spanischen Botschaft in Guatemala, bei dem am 31. Januar 1980 39 Personen, unter ihnen der Vater von Rigoberta Menchú umkamen, präsentierte sie ausserdem Anklage im Falle der Verfolgung und Ermordung eines Teils ihrer Familienangehörigen und vier spanischer Priester. In seinem Bericht erklärte Richter Polanco, es sei noch nicht bewiesen, dass die von Klägerinnenseite eingebrachten Anschuldigungen wirklich stimmten oder nicht. Doch gebe es genug Indizien, um zu beweisen, dass in Guatemala ein systematischer Völkermord gegen die indigene Bevölkerung stattgefunden habe und dies allein sei Grund genug, der Anklage stattzugeben. Polanco meinte auch, dass es eigentlich Sache der guatemaltekischen Justiz sein müsste, der Klage nachzugehen. Da sie dies im konkreten Fall nicht gemacht habe, gebe es keinen Grund, sich über eine 'Fremdeinmischung' in guatemaltekische Staatsangelegenheiten zu beschweren. Ausserdem verteidige er im Falle des Überfalls auf die spanische Botschaft in Guatemala auch spanische Interessen. Einige Tage später reichte die spanische Staatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof einen Rekurs ein und bat, den 'Fall Guatemala' zu den Akten zu legen. Begründet wurde dieser Rekurs einerseits damit, dass Guatemala selber die Bereitschaft gezeigt habe, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ausserdem seien die angeklagten Geschehnisse während des Bürgerkrieges passiert und seien somit dem Kriegsrecht unterstellt. Dies unterscheide den Fall Guatemala von anderen Fällen wie zum Beispiel Chile oder Argentinien. Trotz dieser Einsprache (eine solche hatte die Staatsanwaltschaft übrigens auch im Fall Pinochet gemacht), weist alles darauf hin, dass es zu einer Untersuchung gegen Ríos Montt in Spanien kommen wird. Der 'Kriegsrecht'- Argumentation widersprach der Anwalt der spanischen Gewerkschaftsvereinigung, Antonio García, vehement, indem er meinte, von diesem Standpunkt aus gesehen hätten auch gegen die Nazis nie Prozesse geführt werden können. García findet es haarsträubend, dass das Kriegsrecht herbeigezogen wird um solche Schreckenstaten nicht zu ahnden. Die UnterstützungZum jetzigen Zeitpunkt unterstützen rund fünfzehn guatemaltekische und spanische Menschenrechtsorganisationen, Gruppen und Einzelpersonen die Klage der Nobelpreisträgerin, so z.B. die Gruppe gegenseitiger Unterstützung (GAM), die Nationale Witwenkoordination (CONAVIGUA), die Vereinigung Familienangehöriger von Verschwundenen (FAMDEGUA), der Rat der Mayaorganisationen Tukum Umán, die Spanische Gewerkschaftsvereinigung (CC.OO.) die Vereinigung gegen Folter, die spanischen Solidaritätskomitees mit Guatemala sowie der guatemaltekische Schriftsteller und Autor des Buches 'Masacre en la Selva', Ricardo Falla. Einige von ihnen reichten ihre eigenen Klagen ein, bei denen es um andere, zusätzlich zu behandelnde Fälle geht. Als PrivatklägerInnen kommen Familienangehörige der Schriftstellerin und Journalistin Adaíde Foppa und der beiden spanischen Priester Faustino Villanueva und José María Gran Cirera dazu. Die Anwältin Isabel Calvo Villora, Vertreterin verschiedener nationaler und internationaler Gruppen, die alle die GAM unterstützen, reichte Anklage gegen acht weitere aktuelle und ehemalige guatemaltekische Funktionäre ein. Die Klage beruht auf der Verhaftung und Folterung von zehn StudentInnen durch die guatemaltekischen Sicherheitskräfte im August 1989. Fünf davon wurden ermordet aufgefunden, die anderen fünf sind seither verschwunden. Die zusätzliche Anklage richtet sich gegen den ehemaligen Präsidenten und heutigen Kongressabgeordneten Vinicio Cerezo Arévalo, dessen damaliger Vizepräsident Roberto Carpio Nicolle sowie den damaligen Verteidigungsminister Hector Alejandro Gramajo. Weiter betrifft sie Carlos Morales Villatoro (Ex-Innenminister), General Manuel Antonio Callejas y Callejas (Ex-Generalstab Verteidigung), Oberst Roberto Matta Gálvez (Ex-Generalstab des Präsidialamtes), Oberst Julio Enrique Caballeros Seigné (Ex-Polizeidirektor), und General Guillermo Echeverría Vielman (Ex-Direktor der Finanzpolizei). Die Reaktion der BetroffenenRigoberta Menchú zeigte sich glücklich über die Entscheidung von Richter Ruiz Polanco und hoffnungsvoll, dass den Opfern des Genozids doch noch Gerechtigkeit widerfahren wird. Innerhalb der nächsten Tage will sie die nötigen Beweisdokumente und die Namen der ZeugInnen einreichen. Falls sich die Angeklagten nicht zu Aussagen bereit erklären, will sie veranlassen, dass das spanische Gericht Haftbefehle gegen sie ausstellt. Ríos Montt selber gab zum Thema eine Pressekonferenz, wo er selbstsicher und sehr sarkastisch auftrat. U.a. erklärte er, dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun habe, er fürchte nur Gott und sonst niemanden. Einmal mehr leugnete er, dass es Massaker, wie sie unter anderem im Bericht der Wahrheitskommission beschrieben sind, überhaupt gegeben hat. Wären ihm zu seiner Regierungszeit solche Sachen zu Ohren gekommen, hätte er die Verantwortlichen bestraft. Er lasse sich auch nicht von seinen vorgesehenen Auslandsreisen in die USA und nach Frankreich abhalten, meinte er. Nach oben |
Der frühere spanische Botschafter in Guatemala, Máximo Cajal y Lopez versicherte, er freue sich darauf, zu den Geschehnissen während des Brandes der spanischen Botschaft 1980 vor Gericht aussagen zu dürfen. Er sagte, unabhänig davon, wer die Botschaft angezündet habe, stehe fest, dass die Polizei den Befehl hatte, niemanden, auch ihn nicht, lebend herauszulassen. Zwischenstaatliche Beziehungen gestört?So wie die Klage Menchú's schon im Dezember eine grosse Polemik, Angriffe und gegenseitige Anschuldigungen im In- und Ausland ausgelöst hatte, geht es jetzt auch weiter: An einem Tag stand in einigen Zeitungen, die guatemaltekische Regierung breche die Zusammenarbeit mit Spanien zur Verbesserung der zivilen Nationalpolizei ab, anderntags hiess es, die guatemaltekisch-spanische Beziehung sei völlig normal. Der spanische Aussenminister dementierte denn auch die Gerüchte, laut denen die Polizeihilfe Spaniens an Guatemala durch die Klage Rigoberta Menchú's gestoppt werde. Auch die Wahrscheinlichkeit einer Verhaftung Ríos Montt's in den USA oder in Frankreich ist relativ gering: In den USA haben auch andere guatemaltekische Menschenrechtsverletzer, wie z.B. der ebenfalls angeklagte, ehemalige Innenminister Donaldo Alvarez Ruíz, Unterschlupf gefunden. Und auch wenn Jaques Chirac ein persönlicher Freund Rigobertas ist, wird Frankreich kaum die Rolle übernehmen wollen, die England im Fall Pinochets gespielt hat. Innerstaatliche Beziehungen gestört!Die ersten Reaktionen auf den Entscheid des Obersten Spanischen Gerichts deuten in Richtung Polarisierung: Die Anschuldigungen gegen Rigoberta Menchú seitens eines nordamerikanischen Anthropologen, der behauptet, sie habe ihre Lebensgeschichte, durch die sie den Friedensnobelpreis gewonnen hat, erfunden, wurden sofort wieder aufgenommen. Auch sind Anschuldigungen gegen die URNG bezüglich eigener Menschenrechtsverletzungen plötzlich wieder ein Thema. Die aktuelle Situation wird zweifellos zu Meinungsverschiedenheiten und Schlammschlachten innerhalb der guatemaltekischen Gesellschaft führen, speziell zwischen den VerteidigerInnen der Angeschuldigten und den BefürworterInnen der Anklage. Dies wird unweigerlich auch zu Auseinandersetzungen innerhalb der Regierung führen. Die Pressesprecherin der Regierung, Fernanda Castejón, gab bekannt, dass sich die Regierung nicht in die Angelegenheit einmischen werde. Die Position der Regierung sei es schon immer gewesen, die drei Staatsgewalten (Exekutive, Legislative und Judikative) unabhängig voneinander arbeiten zu lassen, was sie auch in diesem Fall zu tun gedenke. Der Entscheid des spanischen Gerichts ist ein harter Schlag für die Republikanische Front Guatemalas (FRG) und bringt die Regierungspartei in eine schwierige Lage. Einerseits versprach Portillo bei der Amtsübernahme, den Empfehlungen der Wahrheitskommission (CEH) nachzukommen und der Straffreiheit ein Ende zu setzen, andererseits schliesst sich der Kreis um seinen eigenen Parteigänger und Kongresspräsidenten Ríos Montt immer enger. Dessen bisherige AnhängerInnen - unter ihnen der Vizepräsident Francisco Reyes und der Aussenminister Gabriel Orellana - werden ihn wohl weiterhin durch dick und dünn verteidigen, wie sie das seit den achtziger Jahren gemacht haben. Der General kann auch auf die Unterstützung des militärischen Flügels der FRG zählen sowie auf die Kader des Geheimdienstes, der sog. Cofradía. Die Partei des Nationalen Fortschritts (PAN) forderte die Bildung einer Kommission innerhalb des Kongresses, die abklären soll, ob es Möglichkeiten gibt, Ríos Montt vorübergehend von seinem Amt zu suspendieren. Der Abgeordnete der Allianz Neue Nation (ANN), Alfonso Bauer Paiz, würde zwar eine solche Massnahme begrüssen, glaubt jedoch nicht daran, dass eine solche Kommission überhaupt gebildet werden kann, solange Ríos Montt Kongresspräsident ist. Wie sich Präsident Portillo selber zur Klage gegen seinen Kollegen stellt, darüber gibt es bisher nur Spekulationen. Es wird jedoch eher daran gezweifelt, dass er sich gegen Ríos Montt stellen wird und deshalb die Polarisierung einmal mehr nach dem klassischen Muster ablaufen wird: Der Staat wird die Angeklagten in Schutz nehmen und von seinen Angestellten Loyalität verlangen. Für lokale PolitikerInnen wird es einfacher sein, die Position "kein Kommentar" einzunehmen. Schwieriger wird es für Leute in diplomatischen Positionen sein, von denen erwartet wird, die Politik der Regierung nach Aussen zu vertreten. Die LinkeAuch die Linke innerhalb der Regierung ist herausgefordert. Eigentlich mussten sie ja bereits mit einer Anklage Ríos Montt's rechnen, als sie das Angebot Portillos annahmen, in seiner Regierung mitzumachen. Diejenigen, die aus der Menschenrechtsbewegung kommen und die Militärregimes immer schon kritisiert haben (z.B. Edgar Gutiérrez, ehemals Mitarbeiter des Erzbischöflichen Menschenrechtsbüros (ODHA) und heutiger Sekretär für Spezielle Angelegenheiten, oder Otilia Lux de Cotí, ehemaliges Mitglied der Wahrheitskommission und heutige Kulturministerin) werden in einer schwierigen Situation stecken, wenn es zu einer Anklage Ríos Montt's in Spanien kommt. Es wird die Feuerprobe sein, um herauszufinden, was die linken AnhängerInnen Portillos innerhalb der Regierung erreichen können. Werden sie sich öffentlich für eine Verurteilung des Generals aussprechen, werden sie einen noch schwierigeren Stand innerhalb der Regierung haben. Werden sie sich mit Kommentaren zum Thema zurückhalten, sind die Verrats-Vorwürfe ihrer ehemaligen GenossInnen berechtigt. Ihr einziger bisheriger Kommentar war, dass die internationale Konjunktur die Stellung Ríos Montt's schwäche und den 'Portillisten' Aufwind gebe. FazitRíos Montt: "Die Diskussion um die Klage Rigobertas gegen mich, wird die guatemaltekische Gesellschaft spalten". Rigoberta Menchú: "Die guatemaltekische Bevölkerung ist bereits gespalten". |
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