Gerüchte über ein Amnestiegesetz kursieren
Fijáte 213 vom 5. Juli 2000, Artikel 4, Seite 4
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Gerüchte über ein Amnestiegesetz kursieren
Guatemala, 23. Juni. Ausgerechnet am Tag der Eröffnung eines von der Lateinamerikanischen Fakultät für Sozialwissenschaften (FLACSO) organisierten Seminars über die 'Funktion und demokratische Kontrolle des Militärs' gaben Menschenrechtsgruppen die Existenz eines Gesetzesentwurfs über ein Amnestiegesetz bekannt. Dieses Gesetz soll das 1996 verabschiedete Gesetz über die nationale Wiederversöhnung ersetzen. Der Gesetzesentwurf soll die Amnestie sämtlicher politischer und gewöhnlicher Verbrechen vorsehen, die im Verlauf des 36 Jahre dauernden Krieges begangen wurden. Weiter soll es im dritten Artikel des Entwurfs heissen: "Es sollen alle an aufständischen oder aufstandsbekämpfenden Aktionen beteiligten Personen amnestiert werden, egal welcher Art ihre Beteiligung war." Auch soll die Staatsanwaltschaft dazu angehalten werden, keine juristischen Verfolgungen obengenannter Delikte anzustreben. Im Kongress scheint niemand etwas über die Existenz eines solchen Gesetzesentwurfs wissen: Der Presse gegenüber erklärte Kongresspräsident Ríos Montt, dass es keinen solchen Gesetzesentwurf gibt, seine Tocher wiederum gab zu, dass das Thema innerhalb ihrer Partei, der FRG, zwar diskutiert worden sei, jedoch noch kein Entwurf vorläge. Der FRG-Abgeordnete Byron Barrientos meinte, ein solcher Gesetzesvorschlag entbehre jeglicher Logik. Es sei absolut unangebracht, über Amnestie zu sprechen, wenn ein Krieg beendet sei. Offenbar gebe es aber immer noch Leute, die im Kriegszustand leben und diese würden solche Gerüchte in Umlauf bringen. Arabella de León von der PAN-Abspaltung Unionistas erklärte, nichts von einem entsprechenden Gesetzesentwurf zu wissen, sie könne sich aber durchaus vorstellen, dass ein solcher eingereicht wurde. Unabhängig davon, was an dem Gerücht wahr ist, haben die Menschenrechtsgruppierungen reagiert. Von ihnen wird grundsätzlich die Schaffung eines solchen Gesetzes kritisiert, jedoch auch, dass ohne jemals eine mögliche Verfassungswidrigkeit des Wiederversöhnungsgesetzes diskutiert zu haben, gleich ein neuer Gesetzesvorschlag eingereicht wird. Das Gesetz über die nationale Wiederversöhnung, das Teil der Friedensabkommen ist, definiert klar, welche Kriegsverbrechen verfolgt werden und welche nicht. Darin werden "Autoren und Komplizen von Delikten gegen die Staatssicherheit, gegen die öffentliche Ordnung und gegen die öffentliche Verwaltung" ihrer Verantwortung entbunden. Ebenso Staatspersonal, welches "die Verfolgung obengenannter Delikte unterlassen" hat. Dafür heisst es in Artikel 8 des Gesetzes über die nationale Wiederversöhnung, dass "Völkermord, Folter und gewalttätiges Verschwindenlassen verfolgt, gerichtet und bestraft" werden muss. Ein Amnestiegesetz würde in erster Linie das für die Greueltaten des Krieges verantwortliche Militär begünstigen. Nach oben |
Dies ist eine mögliche Erklärung dafür, dass ein solcher Gesetzesentwurf zum jetzigen Zeitpunkt präsentiert wird. Aus nationalen wie internationalen Menschenrechtskreisen werden vermehrt die Aufklärung der Massaker und Kriegsverbrechen gefordert, in einigen Fällen, z.B. dem Massaker von Dos Erres, laufen bereits Prozesse. Auch Ríos Montt käme ein Amnestiegesetz gelegen, wurden doch nebst der Klage Rigoberta Menchús vor dem Spanischen Gerichtshof auch innerhalb Guatemalas Klagen gegen ihn eingereicht. Dreissig guatemaltekische Menschenrechtsorganisationen veröffentlichten eine Presseerklärung, in der sie sich gegen ein Amnestiegesetz aussprachen. Sie fordern den Kongress und die Justiz dazu auf, sich auf die Konsolidierung des Rechtsstaats zu konzentrieren, insbesondere auf die Einhaltung der Empfehlungen Nr. 47 und 48 des Berichts Memoria del Silencio (Erinnerung des Schweigens) der Wahrheitskommission, in denen die Wichtigkeit der Anwendung des Gesetzes über die nationale Versöhnung betont wird. Die Menschenrechtsorganisationen fordern Präsident Portillo auf, seine Versprechen wahrzumachen, die Friedensabkommen gesetzlich zu verankern. Jeder Schritt in eine entgegengesetzte Richtung bedeute eine Verspottung der guatemaltekischen Bevölkerung, insbesondere der Würde der Opfer. |
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