Alternative Medien in Guatemala
Fijáte 209 vom 26. April 2000, Artikel 1, Seite 1
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Alternative Medien in Guatemala
Während der Semana Santa, der Osterwoche, erscheinen in Guatemala keine Zeitungen und die Nachrichtenagenturen verschicken keine Informationen. Wir möchten dies zum Anlass nehmen, um den ¡fijáte!-LeserInnen einen Einblick in die alternative Medienlandschaft Guatemalas zu geben. Unsere Auswahl ist sicher unvollständig, wir beschränken uns darauf, einige der Projekte vorzustellen, mit denen die ¡fijáte!-Redaktion zusammenarbeitet und einen engeren Kontakt pflegt. In den letzten dreissig Jahren hat die Welt mehr Informationen produziert als in den 5000 Jahren zuvor... Ein einziges Exemplar der Sonntagsausgabe der New York Times enthält mehr Informationen, als ein gebildeter Mensch des 18. Jahrhunderts während seines ganzen Lebens erwerben konnte. Zudem werden täglich rund zwanzig Millionen Wörter (...) auf verschiedene Informationsträger gedruckt (Zeitschriften, Bücher, Berichte, Disketten, CD-Rom). Selbst jemand, der acht Stunden pro Tag tausend Wörter pro Minute lesen könnte, bräuchte eineinhalb Monate, um die Informationen zu lesen, die an einem einzigen Tag erscheinen; und er hätte danach einen Leserückstand von fünfeinhalb Jahren akkumuliert... Der humanistische Anspruch, alles lesen, alles wissen zu wollten, ist längst illusorisch geworden und hat seinen Sinn verloren. (Ignacio Ramonet, Die Kommunikationsfalle, 1999, S. 167) Noch vor einigen Jahren war es sehr schwierig, Informationen aus Guatemala zu erhalten, die über die offizielle Berichterstattung hinausgingen. Während dem Krieg wurden die Medien zensiert bzw. verbreiteten antikommunistische Hetze, um ihre Aufstandsbekämpfungspolitik zu rechtfertigen. Kritische JournalistInnen wurden umgebracht oder mussten ins Exil flüchten. Einzige 'alternative' Infomationsquelle im Land selber war zu dieser Zeit der guerillaeigene Radiosender Voz popular. Über die Landesgrenzen hinaus informierte die im nicaraguensischen und später im mexikanischen Exil arbeitende Nachrichtenagentur Cerigua. Die zuverlässigsten Informationsquellen in diesen Jahren waren jeweils Besuche von Compas hier in Europa, die aus erster Hand über die Politik der Regierung und die Kämpfe der Volksbewegung berichteten. Seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen, aber auch durch das Aufkommen der elektronischen Medien, ist es heute einfacher, Informationen aus und über Guatemala zu bekommen. Mindestens eine Tageszeitung ist auf Internet abrufbar, verschiedene Nachrichtenagenturen verbreiten per E-mail täglich die neusten Informationen und Analysen. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verbreitung von Informationen in Guatemala selber nach wie vor sehr schlecht funktioniert. Die Leute auf dem Land, selbst wenn sie lesen könnten, haben nur selten Zugang zu einer Zeitung. Radio und Fernsehen beschränken ihren Informations- und Nachrichtenanteil auf ein Minimum, trotzdem sind sie für viele Menschen die einzige Möglichkeit, um etwas 'von der grossen Welt' zu erfahren, die in der für sie oft unereichbaren nächsten Provinzhauptstadt beginnt. Auch in Guatemala haben es einige wenige geschafft, die Vorteile des Informationsmarktes zu nutzen, während die grosse Mehrheit aus finanziellen und geographischen Gründen von jeglicher Kommunikation abgeschnitten ist. Dagegen hilft weder Globalisierung noch ein dichteres Mobilfunknetz! Nach oben |
Im Land selber verfügt die Opposition nach wie vor über kein eigenes Sprachrohr. Kurz vor und einige Monate nach der Friedensunterzeichnung veröffentlichte das Zentrum für Information, Studien und Grundlagen für eine soziale Aktion (CEIBAS) die Zeitung la Trenza. Diese vierzehntäglich erscheinende Zeitung berichtete in einer verständlichen Sprache über die Inhalte der verschiedenen Abkommen und über aktuelle politische Themen. Dieses Projekt scheiterte leider mangels finanzieller Mitteln. Die politischen Veränderungen der letzten Jahre öffnen Räume für eine Diskussion über freie Meinungsäusserung und Pressefreiheit. Eine öffentliche Debatte über das Medienmonopol, wie sie momentan in Guatemala stattfindet, die vehemente Kritik an der durch die Regierung angeordnete Schliessung des Nachrichtenmagazins T-mas de Noche (siehe ¡fijáte 205!), wäre noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Die Forderungen nichtkommerzieller Radiostationen nach einer Modifizierung des Gesetzes über die Vergabe von Radio-und Fernsehfrequenzen stützen sich auf die Friedensabkommen. Der zur Zeit stattfindende Besuch des Sonderbeauftragten für Pressefreiheit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Guatemala, kann als ein Zeichen in Richtung einer Demokratisierung des Wortes und der Medien gedeutet werden. Die Demokratisierung des Wortes und der Medien ist ein wichtiger Schritt im Prozess der Wiederversöhnung eines Landes. Die Suche nach eigenen Ausdrucksformen, nach eigenen Worten in der eigenen Sprache ist ein Schritt auf dem Weg zur kulturellen Identifikation. Es ist es auch die Aufgabe 'alternativer', partizipativer Medien denjenigen Bevölkerungsschichten eine Stimme zu verleihen, die sonst nicht zu Wort kommen. |
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