Land her!
Fijáte 261 vom 5. Juni 2002, Artikel 1, Seite 1
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Land her!
Die jüngsten Landbesetzungen haben die Konfrontation zwischen BäuerInnen und GrossgrundbesitzerInnen - zwei historisch antagonistische Sektoren - angeheizt. Laut offiziellen Daten haben die Landbesetzungen innerhalb der letzten zwei Jahre zugenommen, bezeichnenderweise vor allem in den wirtschaftlich armen Departements. Der Mangel an politischem Willen und die (vermeintlich) beschränkten finanziellen Mittel der staatlichen Institutionen, die extra zur Lösung dieses Problems geschaffen wurden, lassen nicht auf eine Verbesserung der Situation in absehbarer Zeit hoffen. Dazu kommen seit kurzem die Ermordungen von Mitgliedern von BäuerInnenorganisationen und die Drohungen gegen Kirchenleute, denen von den Finqueros vorgeworfen wird, die AnstifterInnen der Landbesetzungen zu sein. Zunahme von LandbesetzungenLaut Daten der regierungseigenen Instanz für die Bearbeitung von Landkonflikten, CONTIERRA, haben die Landbesetzungen in den letzten zwei Jahren zugenommen. In den Jahren 2000/2001 vermerkte CONTIERRA 857 Landbesetzungen, im Vergleich zu 587 in den Jahren 1997-1999. Von den insgesamt 1444 Besetzungen, die der Institution seit ihrer Gründung bekannt sind, konnten 600 'gelöst' werden, 322 allein während der Regierungszeit von Präsident Portillo. An einer Pressekonferenz Ende April 2002 gab die Nationale Indígena- und BäuerInnenkoordination (CNOC) bekannt, 49 Fincas besetzt zu halten (unterdessen sind es 52). An den Besetzungen seien insgesamt 3745 Familien beteiligt. Im Moment sind Fincas in 18 Gemeinden, verteilt auf acht Departements, besetzt. Die BesetzerInnen werden unterstützt von anderen BäuerInnen und GewerkschafterInnen, die mit Strassenblockaden und Besetzungen der Büros des Landfonds (FONTIERRAS) der Forderung "Das Land denen, die es bearbeiten" Nachdruck verleihen. Die Positionen der beiden Konfliktparteien, landlose BäuerInnen und Landbesitzende, sind heute die selben wie schon immer: Die BäuerInnen bezeichnen die ungerechte Land- und Reichtumsverteilung als Grundproblem und fordern eine umfassende Landreform. Die Landbesitzenden bestreiten, dass es eine Konzentration des Landes im Besitz Weniger gibt, wehren sich gegen eine Landreform und bezeichnen die Landbesetzungen als Verletzung eines verfassungsmässig garantierten Rechts: Des Rechts auf Privatbesitz, das in der ganzen Welt anerkannt ist. Explosive MischungGemäss einer Studie der Koordination der Nichtregierungsorganisationen (CONCOOP) mit dem Namen Vereinfachter Kreditzugang in den ländlichen Gebieten Guatemalasist Guatemala das 'ruralste' Land Lateinamerikas. Der grösste Teil der Bevölkerung lebt auf dem Land, wo auch am meisten Arbeitsplätze vorhanden und die meisten Devisen erwirtschaftet werden. Roberto Castañeda, Präsident der Landwirtschaftskammer bestätigte diese Angaben in einem Radiointerview am 8. April: Rund 68% der Deviseneinnahmen erwirtschaften sich im Landwirtschaftssektor, in dem direkt oder indirekt über drei Millionen Personen (25% der Gesamtbevölkerung Guatemalas) beschäftigt sind. Doch auch er bestritt, dass der Landbesitz sich auf Wenige konzentriert. Dabei gibt es zahlreiche Studien, die das Gegenteil beweisen. Laut dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) hat sich auch im Jahr 2000 der grösste Teil des kultivierbaren Landes im Besitz weniger GrossgrundbesitzerInnen befunden, speziell auch das Land, auf dem exportierbare Produkte (Kaffee, Banane, Zucker) angebaut werden können. Ausserdem hat sich die Anzahl der Personen erhöht, die als Saisonangestellte im Landwirtschaftssektor arbeiten, d.h., kein eigenes Land besitzen. Die Studie Das Drama der Armut in Guatemala, herausgegeben vom präsidialen Sekretariat für Planung (SEGEPLAN), zeigt auf, dass rund die Hälfte der 12 Millionen GuatemaltekInnen in Armut lebt, d.h. mit weniger als zwei US$ pro Tag über die Runden kommen muss. Ein Drittel der Bevölkerung lebt in extremer Armut, d.h. mit weniger als einem US$ pro Tag. Interessant dabei ist, dass von den als 'arm' geltenden Personen 75% auf dem Land leben, von den als 'extrem arm' bezeichneten jedoch nur 30%. Von der indigenen Bevölkerung gelten 75% als 'arm', im Vergleich zu 40% der Ladinos. SEGEPLAN kommt zum Schluss, dass Guatemala nach Brasilien und Südafrika das Land mit der grössten sozialen Ungerechtigkeit ist. Problem ohne LösungDie Zunahme von Landbesetzungen findet in einem Kontext zunehmender Arbeitslosigkeit statt: Tausende von LandarbeiterInnen haben durch den Anstieg des Preises von Kaffee und anderen wichtigen Produkten auf dem Weltmarkt ihre Existenzgrundlage verloren. Dazu kommen die Dürren, die im letzten Jahr in der Region geherrscht haben und in Guatemala einen Ernteverlust von 19,2 Mio. US-$ zur Folge hatten. Auch hat sich das im 19. Jahrhundert entwickelte landwirtschaftliche Exportwirtschaftsmodell langsam erschöpft. Die Kaffeekrise (allein im bisherigen Verlauf des Jahres 2002 sollen rund 163.000 ArbeiterInnen des Kaffeesektors ihren Job verloren haben) ist nur die Spitze des Eisbergs; zuvor haben bereits die Baumwolle, die Banane und seit kurzem auch das Zuckerrohr aufgehört, Hauptquellen für Deviseneinnahmen zu sein. Nach der diesjährigen Zuckerrohrernte, die in wenigen Wochen zu Ende geht, rechnet man mit weiteren 250.000 arbeitslosen BäuerInnen. Auf der anderen Seite wurden die BäuerInnenorganisationen, die für eine Verbesserung ihrer Situation kämpfen und bereits der Repression während des Krieges standgehalten hatten, durch das Friedensabkommen über sozioökonomische Aspekte und Agrarfragen in ihren Forderungen bestärkt. Die durch die Friedensabkommen ins Leben gerufenen Institutionen wie der Landfonds (FONTIERRAS) und CONTIERRA sind nicht in der Lage, die ihnen zugeschriebenen Aufgaben zu bewältigen. Von den 70 Mio. Quetzales, die FONTIERRA ursprünglich zugeteilt wurden, hat die Regierung nur 15 Mio. ausbezahlt. Dies mag mit ein Grund sein, aber sicher nicht der einzige, weshalb der Kauf und die Überschreibung von Land so langsam vorangeht. Jorge Mario Flores, Koordinator von CONTIERRA, beklagt sich über den Mangel an Personal in seiner Institution. Dies und das Fehlen eines Katasters verkompliziere die Arbeit unheimlich. "Es ist sehr viel Information verloren gegangen über die Vermessungen und Besitzverhältnisse der Ländereien, und wir müssen oft auf das Archivo Centroamericano zurückgreifen, um an Daten zu gelangen und daraus eine Art 'Katasterpuzzle' zusammensetzen", erklärte Flores. Während die BäuerInnenorganisationen den mangelnden politischen Willen der Regierung beklagen, sich um eine integrale Lösung des Problems zu bemühen bzw. alle bisherigen 'Massnahmen' im Sand verlaufen sind, und damit ihre Landbesetzungen legitimieren, sieht die Landwirtschaftskammer zwei mögliche Szenarien: Entweder die InvestorInnen geben dem Druck nach und ziehen sich aus Guatemala zurück, was ihrer Meinung nach eine wirtschaftliche Katastrophe nach sich ziehen würde, oder sie verteidigen ihren Besitz mit allen Mitteln, was zu einer Konfrontation mit den BesetzerInnen führen würde. (Ausführliche Beschreibung der jeweiligen Positionen und Lösungsvorschläge der BäuerInnenorganisationen und der Landwirtschaftskammer siehe ¡Fijáte! 257) Nach oben |
FONTIERRAS - ein AuslaufmodellDiese jüngste Diskussion um die Landproblematik und FONTIERRAS hat einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob diese als Resultat der Friedensabkommen geschaffene Institution dem Problem überhaupt gerecht werden kann. Schon bevor FONTIERRAS per Regierungsdekret 24-99 geschaffen wurde, gab es Stimmen, die sagten, dass diese Institution an mangelnden finanziellen Ressourcen scheitern werde in einem Land wie Guatemala, das eine unzureichende Steuerpolitik betreibt. Ausserdem wurde darauf hingewiesen, dass das von der Weltbank geförderte und als 'neue, vom Markt gesteuerte Agrarreform' angepriesene Modell bereits in anderen lateinamerikanischen Ländern versagt hatte: Das Modell Kauf und Verkauf von Land, mit dem Staat als Zwischenhändler und Kreditgeber. Ausserdem wusste man auch, dass die internationale Gemeinschaft nicht bereit sein würde, Geld in Form von Spenden für den Kauf von Land zu geben, sondern nur in Form von Darlehen, was unweigerlich zu einer Verschuldung Guatemalas führen würde. FONTIERRAS (und andere ähnlich problematische Institutionen) wurde trotzdem gegründet. Angesichts der aktuellen Krise liess nun die staatliche US-amerikanische Entwicklungsbehörde AID vom Boston Institute for Developing Economies eine Analyse über die Situation von FONTIERRAS machen, die im grossen und ganzen zu den selben Schlüssen kam, auf die SpezialistInnen der Landfrage schon früher hingewiesen haben: Das heute angewendete System von Kauf von Land durch den Staat, das mit Abzahlungsverträgen und staatlichen Krediten an BäuerInnen weiterverkauft wird, ist für den Staat ein Verlustgeschäft, das durch keine andersweitigen Einnahmen ausgeglichen wird. Ein grosses Problem besteht auch darin, dass die Preise von Agrarland in Folge der Kaffeekrise eigentlich sinken, der Staat aber die Fincas meist zu überrissenen Preisen kauft, nicht selten von Militärs und Grossgrundbesitzern, die dieses Land während des Krieges durch Enteignung der indigenen Bevölkerung in Besitz genommen haben. Weiter werfen die AutorInnen der Studie FONTIERRAS vor, zu grosszügig gegenüber ihren SchuldnerInnen zu sein. All dies führe logischerweise dazu, dass die BäuerInnen Fincas besetzten und Stra-ssensperren errichteten, kommt die Studie zum Schluss. Die von der Studie abgegebenen Empfehlungen lassen erahnen, in welche Richtung eine von den internationalen Finanzinstitutionen unterstützte 'Lösung' des guatemaltekischen Landproblems in Zukunft gehen kann : - Die vier Jahre Fristerstreckung (im Moment müssen die KreditnehmerInnen erst nach vier Jahren mit der Rückzahlung des Kredits beginnen) soll reduziert werden. KreditnehmerInnen, die bereit sind, die Fristerstreckung zu verkürzen, sollen bevorzugt behandelt werden. Wer ganz darauf verzichtet, bekommt den Kredit zu besseren Konditionen. - Es sollen nicht mehr wie bisher nur an Gruppen Kredite vergeben werden, sondern auch an Einzelpersonen. Weiter sollen diejenigen bevorzugt werden, die um kleine Kredite nachsuchen, damit das Geld weiter reicht. - SchuldnerInnen, die ihre Zinsen oder Rückzahlungen nicht fristgemäss bezahlen, sollen Verzugszinsen verrechnet werden. - Gruppierungen, die Fincas besetzten oder mit anderen Aktionen Druck auf FONTIERRAS ausüben, sollen von sämtlichen Unterstützungsleistungen ausgeschlossen werden. Diese Empfehlungen fehlt jeglicher Bezug zur Realität, in der die guatemaltekischen BäuerInnen leben und sind ein Beweis dafür, dass es sich hier um eine weitere Schreibtischstudie handelt, deren Umsetzung die Verzweiflung und Wut der Campesin@s noch weiter steigern würde. Wie weiter?In einem Radiointerview erklärte Präsident Portillo kürzlich, er habe mit der Annahme der neuen Finanzgesetze sein Regierungsziel erreicht. Die Lösung der weiteren Probleme nationalen Ausmasses, speziell die Landfrage, überlasse er seinem Nachfolger. So erstaunt es auch nicht, dass seine einzige Idee, dem sich zuspitzenden Konflikt zu begegnen, die Schaffung einer weiteren Regierungsinstanz ist: Das Sekretariat für Agrarfragen. Dessen Aufgabe ist die "Ermöglichung eines juristischen und institutionellen Rahmens für die Entwicklung und Stärkung des Landbesitzes". Dazu gehört u.a. die Einberufung eines Dialogs mit den involvierten Sektoren, um "gemeinsam an der Lösung der Landproblematik zu arbeiten". Als Leiter des Sekretariats für Agrarfragen wurde Pedro Palma Lau ernannt, was Öl ins Feuer sowohl der BäuerInnenorganisationen als auch der Landwirtschaftskammer giesst. Die CNOC argumentiert, dass Palma Lau in seiner bisherigen Funktion als Chef von CONTIERRA bewiesen habe, dass er inkompetent sei und nichts zur Lösung der Landfrage habe beitragen können. Die Landwirtschaftskammer hingegen kritisiert die Ernennung von Palma Lau (Ex-Comandante Pancho), zum Leiter dieses Sekretariats und beschuldigt ihn, mit seiner Guerilla-Vergangenheit den Forderungen der BäuerInnen nahe zu stehen und gar die Fincabesetzungen zu begünstigen. Nicht nur die Wahl des Leiters des Sekretariats, sondern auch die Tatsache, dass es sich sowohl CONTIERRA mitsamt seinem Budget sowie die technisch-juristische Abteilung der Katastereinheit einverleibt, stärken die Befürchtungen, dass es sich nicht wirklich um etwas 'Neues' handelt, das auch neue Impulse in die verfahrene Diskussion einbringen könnte. Nach einer über vierstündigen Sitzung mit der neuen Instanz zogen sich die VertreterInnen der BäuerInnenorganisationen denn auch prompt zurück und stellten der Regierung ein neues Ultimatum von 75 Tagen, das am 24. Juli abläuft, um die leeren Versprechungen beiseite zu lassen und die Landkrise zu lösen. Liegen bis dann keine gangbaren Lösungen vor, drohen die BäuerInnen mit konkreten Massnahmen wie z.B. einer grossen Demonstration aus den einzelnen Landesteilen in die Hauptstadt. Auch Kongresspräsident Ríos Montt liess seine Phantasie walten bei der Erarbeitung eines Vorschlags, wie der Landkrise zu begegnen sei: Sämtliche Ministerien und Sekretariate sollen eine Auflistung derjenigen Gelder machen, die sie voraussichtlich dieses Jahr nicht einsetzen würden. Mit diesem 'überschüssigen' Geld soll der Fonds von FONTIERRAS geöffnet und Fincas für die landlosen BäuerInnen gekauft werden. Der Unionista-Abgeordnete im Kongress, Mariano Rayo, wurde noch konkreter: Er schlug vor, kurzerhand die Budgets des Präsidenten, der Armee und des Ministerium für Kommunikation u.a. zu kürzen und dafür dasjenige von FONTIERRAS um 500 Mio. Quetzales (rund 62 Mio. US$) zu erhöhen. Die FRG weigerte sich schlichtweg, diesen Vorschlag im Kongress zu diskutieren. Dafür wurde eine Kommission ernannt, die nach Washington zum Sitz der Weltbank reisen und dort um einen Kredit in dieser Höhe nachsuchen soll, der in den Landfonds einfliessen soll. Eine einfache Lösung, mit der die 1,2 Milliarden Quetzales für den Kauf von genügend Land für die landlosen Campesin@s aufgebracht werden können, schlägt Rafael Gonzáles von der BäuerInnenorganisation vor: Keine weiteren Budgeterhöhungen für das Militär, keine Rundflüge im Präsidentenjet für Millionäre wie den Designer Oscar de la Renta oder den Sänger Julio Iglesias, keine zinsfreien Bankkonten für Ministerien und sonstige staatliche Instanzen und auch keine Ausreden mehr, es stünden keine finanziellen Mittel zur Verfügung! |
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