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In Nebaj sind selbst die Toten nicht sicher...

Fijáte 258 vom 24. April 2002, Artikel 1, Seite 1

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In Nebaj sind selbst die Toten nicht sicher...

Die VGKinderNF von Tzotzil sind unterernährt, es gibt weder Gesundheitsposten noch Schule. Alle sind VGAnalphabetInnenNF. "Man will uns dumm halten", sagen unsere Gesprächspartner. Die minimalen Einkommen der Familien stammen ausschliesslich aus den Löhnen der Erntearbeit in den Fincas. Dass diese Löhne kaum zum Überleben reichen, ist seit Jahrzehnten Tatsache und war der Grund für die Organisierung der LandarbeiterInnen im VGCUCNF (Comité de Unidad Campesina), das in den siebziger Jahren grosse Demonstrationen in den Fincas der Südküste organisierte und die Botschaft VGSpaniensNF besetzte - was zum Massaker von 39 Personen durch die Armee führte. Die Mehrheit der CUC-Mitglieder stammte aus den Regionen El Quiché und VGHuehuetenangoNF. Für die Armee war dies die Bestätigung ihrer Beschuldigung, die BewohnerInnen aus diesen Regionen seien subversiv, seien mit der VGGuerillaNF im Bund und müssten deshalb ausgerottet werden. Dies fanden auch die contratistas (Anheurer für die Erntearbeit), als sie die fruchtbaren Böden sahen. Sie verbündeten sich mit den Militärs in seinen Schlächtereien und eigneten sich viele Böden an.

Die Gemeinde hat heute nur noch 350 ha schlechten Boden, während die Finca 6000 ha des fruchtbaren Bodens besitzt. Der grösste Teil des Bodens von Tzotzil, der seit Generationen der Gemeinde gehörte (sie haben 110 Jahre alte Besitzdokumente), wurde vom Besitzer der Finca La Perla annektiert, während sich die Bevölkerung vor der Armee jahrelang in den Bergen versteckt hielt, ein Teil von ihnen in den VGCPRNF (Comunidades de Población en Resistencia). Seit sieben Jahren kämpfen sie mit Hilfe von VGCONICNF (Coordinadora Nacional Indígena Campesina) und der lokalen Organisation Movimiento de Desarraigados de la Región Norte del Quiché um die Rückgabe des Bodens. Elf ergebnislose Verhandlungen mit der Regierung, davon sechs in Präsenz von MINUGUA, haben sie hinter sich.

Eine Tatsache, die irritiert, ist die Kumpanei der mozos colonos (auf der Finca wohnende Landarbeiterfamilien) mit dem Finquero. Sie sind Indígenas, wie die BewohnerInnen von Ilom und den umliegenden Dörfern, haben sich aber ganz auf die Seite des Finquero geschlagen. Sie tragen Waffen und bewachen die Grenzen der Finca. Eine Frau aus Tzotzil, erzählte man uns, hätte vor kurzem etwas Gras unter dem Zaun hindurch geschnitten. Sie sei erwischt, geschlagen und vergewaltigt worden. Auch wenn einer von ihnen einen Baum fälle, der auf Finca-Boden wachse, werde er von den Häschern der Finca verhaftet und ins Gefängnis auf der Finca geworfen.

Der Vertreter der Gemeindebehörde sagt mit grosser Erbitterung und Wut. "Der Frieden ist etwas für die Reichen, für die Armen gibt es keinen Frieden. Wenn sich nicht bald eine Lösung abzeichnet, gibt es wieder Krieg." Womit wieder die alte These der Militärs bestätigt wäre, dass die Menschen in der Ixil-Region Subversive und Gewalttäter sind.

Die aufständischen Ixiles

(zitiert nach "Memoria del Silencio", Bericht der Comisión de Esclarecimiento Histórico")

Die Ixiles (BewohnerInnen des sogenannten Ixil-Dreiecks) gelten schon seit jeher als subversiv, als widerständig. Sie wandten sich schon früh gegen die Autoritäten, gegen die wirtschaftlich Mächtigen und ganz generell gegen die Ladinos (Nachfahren der Spanier). Im Jahr 1924 erhob sich die Bevölkerung von Ilom gegen den Besitzer der Finca La Perla. In den dreissiger Jahren fand in Nebaj ein Aufstand statt gegen die Zwangsarbeit, die der damalige Staatspräsident, General Ubico, verordnet hatte. Es gab Verhaftungen und Massaker. Der Kampf der Landbevölkerung von Ixil für bessere Arbeitsbedingungen gipfelte im Jahr 1980 in Aufständen an der Costa Sur (Gegend der grossen VGKaffeeNF-Fincas). Von da an war es für Ixiles schwierig, überhaupt noch Arbeit zu finden, sie galten nun endgültig als Aufständische. Die Finqueros taten sich zusammen und übergaben der Armee Listen der Anführer.

Im Jahr 1980 besetzten Mitglieder des CUC (Comité de Unidad Campesina) die spanische Botschaft in Guatemala-Stadt. Die Armee griff ein und zündete die Botschaft mit den Aufständischen und einigen Botschaftsangestellten an. 39 Menschen verbrannte, darunter der Vater von VGRigoberta MenchúNF.

Die VGCIANF schrieb im Jahr 1982 in einer Empfehlung an die guatemaltekische Armee: "Die gut dokumentierte Überzeugung der (guatemaltekischen) Armee, die Ixiles seien alle auf der Seite des VGEGPNF (Ejército Guatemalteco de los Pobres; Guerillagruppe, die im Norden des Landes aktiv war) hat eine Situation geschaffen, in der gehofft werden kann, dass die Armee keine Überlebenden - weder bewaffnete noch unbewaffnete - übrig lässt."

Die Einschätzung der Armee, dass die Ixil-Bevölkerung die soziale Basis der Guerilla und ihr die Möglichkeit der Rekrutierung immer neuer Guerillakämpfer bot, war ohne Zweifel der entscheidende Faktor der Repression, um so zu erreichen, das der Guerilla der Zutritt zur Bevölkerung verunmöglicht wurde. Die äusseren Zeichen der Ixil-Identität wie Tracht und Sprache wurden oft zum Todesurteil. Viele Ixil-Frauen wurden auf ihrer Reise zur Erntearbeit an der Costa Sur ermordet. In die Hauptstadt geflüchtete Frauen mussten sich zu ihrer Rettung ihre Tracht ausziehen.

Die erfolgreichen Aktionen der Armee führten zur teilweisen Vernichtung der ethnischen Gruppe der Ixiles.

Die Phasen der Vernichtung

Der Bericht der VGWahrheitskommissionNF (Comisión de Esclarecimiento Histórico) "Memoria del Silencio" beschreibt die Phasen des Krieges gegen die Bevölkerung in den späten 70-er und frühen 80-er Jahre folgendermassen:

Phase 1) Selektive Morde auf Grund Schwarzer Listen an Schlüsselpersonen in Gemeinde und Kirche (PromotorInnen, Kathecheten, Priester, Maya-Autoritäten. Die Soldaten gingen mit den Listen jeweils an Sonntagen durch die Märkte und in die Kirchen, wo die Leute versammelt waren und führten die Todeskandidaten ab

Phase 2) Morde durch Hinweise von señaladores (vermummte Denunzianten). Die Bevölkerung wurde auf dem Dorfplatz zusammengetrieben. Männer und Frauen/Kinder wurden getrennt. Die señaladores zeigten mit dem Finger auf wirkliche oder vermeintliche SympathisantInnen der Guerilla, die sofort öffentlich exekutiert wurden. Oft wurde die Beerdigung der Opfer verhindert oder sogar schon Begrabene wieder ausgegraben und den Hunden zum Frass vorgesetzt

Phase 3) Die Exekutionen mit señaladores wurden ersetzt durch Massaker an ganzen Dorfgemeinschaften, inklusive Frauen, Kinder und Alte. Frauen wurden oft vor der Familie oder auf öffentlichen Plätzen mehrfach vergewaltigt, schwangeren Frauen wurde der Bauch aufgeschlitzt und der Fötos herausgeholt, kleine Kinder wurden gegen Bäume oder Steine geschlagen. Mehr als 440 Dörfer, davon 90 in der Region Ixil, wurden total vernichtet (tierra arrasada). In Nebaj waren es 54, in Cotzal 10, in Chajul 26. Die Überlebenden flüchteten in die Berge und Wälder der Region, in die Hauptstadt, an die Südküste, vor allem aber über die Grenze nach VGMexikolNF. Manchmal kamen die Überlebenden zurück und bauten aus den Überresten der alten Häuser neue Provisorien - die sehr oft von der Armee wieder vernichtet wurden. Unzählige starben während der Flucht, viele wurden von der Armee wieder eingefangen und in "Umerziehungslager" und dann in aldéas modelo eingewiesen .Im April 1983 massakrierte die Armee 40 Menschen aus der Nachbarschaft von Tzotzil, die geflüchtet waren.


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