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Durchgangsstation Kokain - Von grossen und kleinen Fischen des Drogenhandels in Guatemala

Fijáte 260 vom 22. Mai 2002, Artikel 1, Seite 1

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Durchgangsstation Kokain - Von grossen und kleinen Fischen des Drogenhandels in Guatemala

Diesen Vorwurf hört man in Guatemala oft. Auch die Drogensheriffs aus dem Norden gelten als korrupt.

Der Oberst lebt zwar hinter Gefängnismauern, über seine Haftbedingungen aber kann er sich nicht beklagen. Er wohnt in einem Häuschen mit TV-Kabelanschluss, einem Koch, Computer und ständigem Kontakt zu Freunden. Er empfängt häufig Besuch. Der Innenminister war auch schon da. Während der sonnengebräunte Militär über das Drogengeschäft erzählt, löffelt er genüsslich ein Erdbeereis und bietet seinen Gästen importierten Whiskey an. "In den meisten Fällen brauchen die Drogenhändler keinen grossen Druck auszuüben. Viele Richter und Staatsanwälte sehen ihre Zukunft darin, einmal einen Drogenfall zu behandeln und dabei ein paar hunderttausend Dollar gesteckt zu bekommen."

Die kleinen Fische

Ganz andere Erfahrungen machen die kleinen Dienstboten des internationalen Drogengeschäfts, diejenigen Personen, die für ein paar tausend Dollar ihr Leben riskieren, indem sie z.B. Kondome voller Heroin schlucken. Der Kolumbianer Andrés war einer dieser sogenannten mulas, Maultiere. "Mein Leben in Kolumbien war schlecht. Wir sind arm. Als mir jemand eine Reise in die USA angeboten hat, habe ich hundert Beutel geschluckt und bin in ein Flugzeug gestiegen. Hier in Guatemala brauchte ich eigentlich nur umzusteigen, aber ich wurde auf dem Flughafen abgefangen und in ein Krankenhaus gebracht. Auf dem Röntgenbild waren die Beutel deutlich zu erkennen. Seitdem bin ich im Gefängnis."

Es kommt häufig vor, dass die Hintermänner in Kolumbien einzelne ihrer eigenen Drogenkuriere verraten. So ist die Polizei in Guatemala mit einer Festnahme beschäftigt, während andere Kuriere unbehelligt umsteigen können. Für das lebensgefährliche Transportieren von einem Kilo Heroin in seinem Magen bekam der fünfundzwanzigjährige Andrés dieselbe Höchststrafe von zwanzig Jahren, die auch ein überführter Drogenboss bekommen würde, der den Transport von mehreren Tonnen Kokain kontrolliert. In der Realität aber werden diese Bosse so gut wie nie verhaftet.

Eine Richterin, die regelmässig über Drogendelikte zu urteilen hat, kann das bestätigen: "In Guatemala ist noch keiner der wirklich einflußreichen Drogenhändler gefallen. Die Polizei weiß oft genau, wer diese Leute sind. Aber sie werden nicht gestört." Wer sich hingegen aus Not und VGArmutNF auf den Schmuggel von relativ kleinen Mengen Drogen einlässt und dabei geschnappt wird, der lernt die scheusslichste Seite des guatemaltekischen Justizsystems kennen. Besonders berüchtigt ist das Gefängnis in der Zone 18 der Hauptstadt. "Hier werden wir wie Tiere behandelt," meint der guatemaltekische Häftling Edgar Estrada. "Die Leute in dem Hochsicherheitssektor 11 können sich untereinander nicht sehen. Sie können nur durch Wände hindurch kommunizieren. Sie werden verrückt gemacht."

Die Conexión Alemana

Während der vergangenen Jahre hat in Guatemala kein anderer Drogenfall so viel Aufmerksamkeit bekommen wie die sogenannte conexión alemana, die VGdeutscheNF Verbindung. Zwar war die in einem Schiffscontainer der VGSchweizerNF Firma Nestlé sichergestellte Menge von 13 Kilo Kokain vergleichsweise gering, doch die Festnahme des damaligen Nestlé-Direktors in Guatemala, Andreas Hänggi, hat den Fall zu einem Medienereignis gemacht. Dessen Sohn, Nicolas Hänggi, ist bis heute einer der bekanntesten Häftlinge in Guatemala.

Der Hauptverantwortliche der conexión alemana, der Deutsche Hartmut Zersch, wurde in Hamburg festgenommen. Er konnte seine dreieinhalb Jahre Haft in Deutschland absitzen, während Nicolas noch immer auf einer Betonplatte im Sektor 1 schlafen muß. "Dein grösster Feind ist die Depression," meint Nicolas. "Manchmal bekommst du Angst, dass du hier sterben wirst, nie rauskommst, nie wieder Bäume, Vögel oder den Himmel siehst."

Auch Silvio Giovanoli, der zweite Schweizer, der noch immer wegen Beteiligung an der conexión alemana einsitzt, hat mehr Angst vor Depressionen als vor seinen Mithäftlingen: "Du lebst mit allen zusammen, auch mit Massenmördern. Der eine putzt für dich, der andere kocht, wieder einer gibt dir 'ne Zeitung. Das ist ganz normal."

Giovanoli betreibt in seinem Trakt einen kleinen Getränkehandel. Während des Interviews lädt er den dabeistehenden Wärter zu einer kalten Cola ein. "So kann man viel erreichen. Um ab und zu aus dem Sektor rauskommen zu können, musst du die Wärter auf deiner Seite haben. Wenn du sie ein paar mal einlädst, sind sie sehr hilfsbereit."

Kasten

Das Departement für Anti-Drogen-Operationen (DOAN), eine Spezialeinheit der VGZivilen NationalpolizeiNF (PNC), hat die Aufgabe, die Narco-Aktivitäten (Plantagen, Produktion, Handel, Verkauf und Konsum von Drogen) sowie alle damit verbundenen Delikte umfassend zu bekämpfen. Im Vergleich zu anderen Abteilungen der PNC ist die DOAN relativ gut bestückt und seine 400 Angestellten sind besser entlöhnt als andere PolizistInnen. Dies verdankt man der finanziellen, logistischen und ausbildungstechnischen Unterstützung der USA, die Guatemala als ein wichtiges Durchgangsland für Drogen erkannt haben. Die MitarbeiterInnen der DOAN sind PolizistInnen, die nach einem dreimonatigen Umschulungskurs und einer 9-tägigen praktischen Einführung in ihre neue Aufgabe, zu 'SpezialistInnen' erklärt werden. Diese Spezialausbildung wird allgemein als zu oberflächlich und nicht dem neuen Leitbild der PNC entsprechend eingestuft: Unkenntnis der VGMenschenrechteNF und Korruptionsanfälligkeit der BeamtInnen ist ein weit verbreitetes Übel innerhalb der DOAN und eines der grössten Hindernisse im Kampf gegen den Drogenhandel.

Im Rahmen des 1998 angelaufenen Plan Maya JaguarNF wurden insgesamt sieben Anti-Drogen-Operationen durchgeführt, die letzte im Juli 2001. Diese Operationen wurden unter vollständiger Leitung des US-amerikanischen Militärs durchgeführt, das auch seine Helikopter und Meeresflotte zur Verfügung stellte.

Seit bald einem Jahr hat die US-amerikanische Botschaft in Guatemala sämtliche Unterstützung an die DOAN eingestellt. Gründe: Verwicklung der Anti-Drogen-SpezialistInnen in Drogengeschäfte und Korruption. Die Helikopter wurden abgezogen und eine Fahrzeugflotte, die im Januar hätte überreicht werden sollen, wurde nach VGEl SalvadorNF weitergeleitet. Dort richten die USA ein neues Operationszentrum ein, um den Drogenhandel Richtung Norden einzudämmen.


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