Durchgangsstation Kokain - Von grossen und kleinen Fischen des Drogenhandels in Guatemala
Fijáte 260 vom 22. Mai 2002, Artikel 1, Seite 1
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Durchgangsstation Kokain - Von grossen und kleinen Fischen des Drogenhandels in Guatemala
Der Drogenhandel ist neben dem Waffenhandel eines der dreckigsten Geschäfte, die weltweit getätigt werden. In Guatemala, das an der Drogen-Handelsstecke vom Süden in den Norden liegt, und wo selbst höchste Regierungsbeamte in Korruptionsgeschichten verwickelt sind, ist es unmöglich, dieses Phänomen in den Griff zu bekommen. Und wie in fast allen lateinamerikanischen Ländern beteiligen sich auch in Guatemala die Vereinigten Staaten an der 'Bekämpfung' des Drogenhandels. Der folgende Text ist eine gekürzte Fassung einer Reportage, die uns der Journalist Andreas Bouecke freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Die BehördenIn Guatemala-Stadt werden jeden Freitagmorgen Drogen verbrannt. Auf dem weitläufigen Gelände der Polizei im Norden der guatemaltekischen Hauptstadt werden die Beweisstücke verschiedener Drogenfälle mit Benzin übergossen und angezündet. Wenige Meter von der Feuerstelle entfernt steht ein Fuhrpark konfiszierter Lastwagen, in deren Containern Drogen gefunden wurden. Einige der Fahrzeuge sind zu Lagerräumen umfunktioniert worden. Der Lagerwart öffnet die sechs Schlösser an der Tür eines der rostigen Containers. Der Blick wird frei auf ein Chaos aus getrockneten Marihuanablättern, Mohnblumen und zahlreichen Kokainpaketen. Es riecht wie in einer alten Scheune. Auf den Strassen der USA oder Europas wäre die Fracht des maroden Containers soviel wert wie ein modernes Hochhaus. Heute sollen fünf Fälle behandelt werden. Der Richter, zwei Staatsanwälte und mehrere Strafverteidiger beobachten, wie der Lagerwart die jeweiligen Beweisstücke hervorkramt: eine Plastiktüte mit etwa 50 Gramm Crack, zwei Büschel Marihuanablätter, mehrere Mohnpflanzen und ein weisses Paket, das angeblich Kokain enthält. Eine Biochemikerin untersucht, um welche Substanzen es sich bei den Beweisstücken handelt. Als erstes nimmt sie die kleinen Klümpchen aus der Plastiktüte. Sie stellt fest, dass es sich wirklich um die auf Kokain basierende Droge Crack handelt. Der zuständige Strafverteidiger wird bei der Gerichtsverhandlung auf Drogenbesitz und Konsum plädieren, in der Hoffnung, dass seiner Klientin eine Strafe für Drogenhandel erspart bleibt. Das Strafmass für Drogenbesitz liegt in Guatemala bei vier Monaten bis zwei Jahren Gefängnis. Für die beiden Männer, in deren Auto das Paket mit dem weissen Pulver gefunden wurde, steht mehr auf dem Spiel. Bei einer solchen Menge geht der Staatsanwalt davon aus, dass es sich um Drogen für den Verkauf handelt. Das kann den Angeklagten zwölf bis zwanzig Jahre Gefängnis einbringen. Die VerteidigerVerteidigern von Drogenhändlern wird nachgesagt, ihnen sei jedes Mittel recht, um ihre Klienten freizubekommen. Der Anwalt Jaime Hernández war ein solcher Verteidiger. Doch seit er vor drei Jahren zahlreiche Morddrohungen erhalten hat, übernimmt er keine Drogenfälle mehr: "Das ist ein gewalttätiges Milieu. Ein solcher Fall kann dir nächtelang den Schlaf rauben. Vor allem dann, wenn es sich bei den Angeklagten um grosse Fische handelt. Das sind meist arrogante, anspruchsvolle Typen. Auf der einen Seite machen sie dir grosszügige Geschenke, damit du dich ausschliesslich um ihren Fall kümmerst. Aber wenn du ihnen schlechte Nachrichten mitteilen musst, werden sie wütend. Sie wollen raus, egal was es kostet." Die DrogenmafiaGuatemala gilt als Durchgangsstation für Kokain aus Kolumbien, das nach Nordamerika und Europa transportiert wird. Dafür bietet die Geografie des mittelamerikanischen Landes günstige Möglichkeiten. In dem grossen Urwaldgebiet im Norden existieren zahlreiche Landepisten, die von Kleinflugzeugen aus Kolumbien erreicht werden können. Von dort aus kann das Kokain im Norden über die Grenze zu Mexiko oder im Westen und Osten über die Pazifik- und Atlantikküste aus dem Land gebracht werden. Während der vergangenen fünf Jahre hat die guatemaltekische Drogenpolizei jeweils vier bis zwölf Tonnen Drogen sichergestellt. Die US-Botschaft schätzt jedoch, dass jährlich über zweihundert Tonnen unbemerkt durch das Land geschleust werden. Die Bekämpfung des internationalen Drogenhandels ist für die Aussenpolitik der USA schon seit langem eine Priorität. Seit dem 11. September aber hat ihre Bedeutung noch zugenommen. Drogen gelten als wichtige Finanzierungsmittel von Terrororganisationen. Der Preis für ein Kilo Kokain liegt in Guatemala bei etwa 6000 US-Dollar. In den USA würde dasselbe Kilo rund 20.000 Dollar kosten, in Europa etwa 30.000 Dollar. Die USADie US-Botschaft in Guatemala-Stadt breitet sich über einen ganze Stras-senblock aus. Ihre Eingänge sind gesichert wie eine Festung. Auf dem Bürgersteig vor dem Hauptgebäude bildet sich jeden Morgen eine Warteschlange von GuatemaltekInnen, die auf ein Einreisevisum in die USA hoffen. In einem anderen Gebäude ist die Antidrogenabteilung DEA untergebracht. Deren Chef, Perry Holloway, arbeitet seit zehn Jahren in Lateinamerika: "Die Korruption ist unbeschreiblich. In einem armen Land wie Guatemala ist es nicht schwierig, Leute zu kaufen, besonders dann nicht, wenn du viel Geld hast. Und Drogenhändler haben sehr viel Geld. Eines der grössten Probleme im Kampf gegen die Drogenmafia ist, dass sie mehr Geld hat als die Polizei, mehr Leute und eine bessere Ausrüstung." Die KorruptionWenn in Guatemala ein Polizeifunktionär wegen Korruptionsvorwürfen entlassen wird, nehmen die Verbindungsleute der kolumbianischen Kartelle schnell Kontakt zu seinem Nachfolger auf. Innerhalb der vergangenen zwei Jahre standen fünf verschiedene Kommissare an der Spitze der Drogenpolizei. Alle Vorgänger des gegenwärtigen Chefs wurden wegen Korruptionsvorwürfen entlassen. Auch er gibt sich keine grosse Mühe, zumindest den Eindruck der Unbestechlichkeit zu erwecken: "Ich hoffe, es wird nie zu einer solchen Situation kommen. Aber ich werde auch nicht behaupten, dass ich gegenüber einem attraktiven Angebot unverwundbar wäre." Auch innerhalb der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft gilt der für Drogendelikte zuständige Bereich als der korrupteste. Ein ehemaliger Staatsanwalt hat auf Grund dieser Umstände gekündigt. Er wollte so nicht weiterarbeiten: "Sie bieten dir nicht einfach eine bestimmte Summe an, sondern dir wird mitgeteilt, was du zu tun oder zu lassen hast, und dann wirst Du gefragt, wieviel Geld du dafür haben willst. Ich kenne zahlreiche Staatsanwälte, die auf diese Weise reich geworden sind." Die Regierung erwartet, dass die Staatsanwaltschaft Statistiken mit vielen Verurteilungen liefert. Weil es jedoch bei den grossen Fällen oft nicht einmal zu einer Anklage kommt, werden die kleinen Dealer besonders hart bestraft. Der ehemalige Staatsanwalt meint: "In dem derzeitigen System ist es weniger gefährlich, sich auf die Korruption einzulassen, als seine Arbeit ordentlich zu machen. Wenn du nicht mitmachst, erhältst du ständig Drohungen." Die grossen FischeDie Drogenmafia in Guatemala pflegt seit Jahren gute Kontakte zu den höchsten Ebenen der Regierung und der Armee. Das kann Oberst Carlos Ochoa bestätigen. Er ist der ranghöchste Militär, der je wegen Drogenhandels verurteilt wurde: "Regierungsfunktionäre, die zum Beispiel für Transport oder Grenzschutz zuständig sind, werden über kurz oder lang von Drogenhändlern angesprochen. Sie bieten Bestechungsgelder an und wenn das nicht klappt, drohen sie mit Gewalt." Hätte die Botschaft der USA nicht starken, politischen Druck ausgeübt, wäre es wohl nie zu der Festnahme von Oberst Carlos Ochoa gekommen. Auf die Mitarbeiter der US-Antidrogeneinheit DEA ist er nicht besonders gut zu sprechen: "Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass die schlimmsten Drogenhändler in Guatemala die Agenten der DEA selbst sind." Nach oben |
Diesen Vorwurf hört man in Guatemala oft. Auch die Drogensheriffs aus dem Norden gelten als korrupt. Der Oberst lebt zwar hinter Gefängnismauern, über seine Haftbedingungen aber kann er sich nicht beklagen. Er wohnt in einem Häuschen mit TV-Kabelanschluss, einem Koch, Computer und ständigem Kontakt zu Freunden. Er empfängt häufig Besuch. Der Innenminister war auch schon da. Während der sonnengebräunte Militär über das Drogengeschäft erzählt, löffelt er genüsslich ein Erdbeereis und bietet seinen Gästen importierten Whiskey an. "In den meisten Fällen brauchen die Drogenhändler keinen grossen Druck auszuüben. Viele Richter und Staatsanwälte sehen ihre Zukunft darin, einmal einen Drogenfall zu behandeln und dabei ein paar hunderttausend Dollar gesteckt zu bekommen." Die kleinen FischeGanz andere Erfahrungen machen die kleinen Dienstboten des internationalen Drogengeschäfts, diejenigen Personen, die für ein paar tausend Dollar ihr Leben riskieren, indem sie z.B. Kondome voller Heroin schlucken. Der Kolumbianer Andrés war einer dieser sogenannten mulas, Maultiere. "Mein Leben in Kolumbien war schlecht. Wir sind arm. Als mir jemand eine Reise in die USA angeboten hat, habe ich hundert Beutel geschluckt und bin in ein Flugzeug gestiegen. Hier in Guatemala brauchte ich eigentlich nur umzusteigen, aber ich wurde auf dem Flughafen abgefangen und in ein Krankenhaus gebracht. Auf dem Röntgenbild waren die Beutel deutlich zu erkennen. Seitdem bin ich im Gefängnis." Es kommt häufig vor, dass die Hintermänner in Kolumbien einzelne ihrer eigenen Drogenkuriere verraten. So ist die Polizei in Guatemala mit einer Festnahme beschäftigt, während andere Kuriere unbehelligt umsteigen können. Für das lebensgefährliche Transportieren von einem Kilo Heroin in seinem Magen bekam der fünfundzwanzigjährige Andrés dieselbe Höchststrafe von zwanzig Jahren, die auch ein überführter Drogenboss bekommen würde, der den Transport von mehreren Tonnen Kokain kontrolliert. In der Realität aber werden diese Bosse so gut wie nie verhaftet. Eine Richterin, die regelmässig über Drogendelikte zu urteilen hat, kann das bestätigen: "In Guatemala ist noch keiner der wirklich einflußreichen Drogenhändler gefallen. Die Polizei weiß oft genau, wer diese Leute sind. Aber sie werden nicht gestört." Wer sich hingegen aus Not und Armut auf den Schmuggel von relativ kleinen Mengen Drogen einlässt und dabei geschnappt wird, der lernt die scheusslichste Seite des guatemaltekischen Justizsystems kennen. Besonders berüchtigt ist das Gefängnis in der Zone 18 der Hauptstadt. "Hier werden wir wie Tiere behandelt," meint der guatemaltekische Häftling Edgar Estrada. "Die Leute in dem Hochsicherheitssektor 11 können sich untereinander nicht sehen. Sie können nur durch Wände hindurch kommunizieren. Sie werden verrückt gemacht." Die Conexión AlemanaWährend der vergangenen Jahre hat in Guatemala kein anderer Drogenfall so viel Aufmerksamkeit bekommen wie die sogenannte conexión alemana, die deutsche Verbindung. Zwar war die in einem Schiffscontainer der Schweizer Firma Nestlé sichergestellte Menge von 13 Kilo Kokain vergleichsweise gering, doch die Festnahme des damaligen Nestlé-Direktors in Guatemala, Andreas Hänggi, hat den Fall zu einem Medienereignis gemacht. Dessen Sohn, Nicolas Hänggi, ist bis heute einer der bekanntesten Häftlinge in Guatemala. Der Hauptverantwortliche der conexión alemana, der Deutsche Hartmut Zersch, wurde in Hamburg festgenommen. Er konnte seine dreieinhalb Jahre Haft in Deutschland absitzen, während Nicolas noch immer auf einer Betonplatte im Sektor 1 schlafen muß. "Dein grösster Feind ist die Depression," meint Nicolas. "Manchmal bekommst du Angst, dass du hier sterben wirst, nie rauskommst, nie wieder Bäume, Vögel oder den Himmel siehst." Auch Silvio Giovanoli, der zweite Schweizer, der noch immer wegen Beteiligung an der conexión alemana einsitzt, hat mehr Angst vor Depressionen als vor seinen Mithäftlingen: "Du lebst mit allen zusammen, auch mit Massenmördern. Der eine putzt für dich, der andere kocht, wieder einer gibt dir 'ne Zeitung. Das ist ganz normal." Giovanoli betreibt in seinem Trakt einen kleinen Getränkehandel. Während des Interviews lädt er den dabeistehenden Wärter zu einer kalten Cola ein. "So kann man viel erreichen. Um ab und zu aus dem Sektor rauskommen zu können, musst du die Wärter auf deiner Seite haben. Wenn du sie ein paar mal einlädst, sind sie sehr hilfsbereit." KastenDas Departement für Anti-Drogen-Operationen (DOAN), eine Spezialeinheit der Zivilen Nationalpolizei (PNC), hat die Aufgabe, die Narco-Aktivitäten (Plantagen, Produktion, Handel, Verkauf und Konsum von Drogen) sowie alle damit verbundenen Delikte umfassend zu bekämpfen. Im Vergleich zu anderen Abteilungen der PNC ist die DOAN relativ gut bestückt und seine 400 Angestellten sind besser entlöhnt als andere PolizistInnen. Dies verdankt man der finanziellen, logistischen und ausbildungstechnischen Unterstützung der USA, die Guatemala als ein wichtiges Durchgangsland für Drogen erkannt haben. Die MitarbeiterInnen der DOAN sind PolizistInnen, die nach einem dreimonatigen Umschulungskurs und einer 9-tägigen praktischen Einführung in ihre neue Aufgabe, zu 'SpezialistInnen' erklärt werden. Diese Spezialausbildung wird allgemein als zu oberflächlich und nicht dem neuen Leitbild der PNC entsprechend eingestuft: Unkenntnis der Menschenrechte und Korruptionsanfälligkeit der BeamtInnen ist ein weit verbreitetes Übel innerhalb der DOAN und eines der grössten Hindernisse im Kampf gegen den Drogenhandel. Im Rahmen des 1998 angelaufenen Plan Maya Jaguar wurden insgesamt sieben Anti-Drogen-Operationen durchgeführt, die letzte im Juli 2001. Diese Operationen wurden unter vollständiger Leitung des US-amerikanischen Militärs durchgeführt, das auch seine Helikopter und Meeresflotte zur Verfügung stellte. Seit bald einem Jahr hat die US-amerikanische Botschaft in Guatemala sämtliche Unterstützung an die DOAN eingestellt. Gründe: Verwicklung der Anti-Drogen-SpezialistInnen in Drogengeschäfte und Korruption. Die Helikopter wurden abgezogen und eine Fahrzeugflotte, die im Januar hätte überreicht werden sollen, wurde nach El Salvador weitergeleitet. Dort richten die USA ein neues Operationszentrum ein, um den Drogenhandel Richtung Norden einzudämmen. |
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