Die Vertreibung der Mayagemeinde von Los Cimientos
Fijáte 267 vom 28. August 2002, Artikel 1, Seite 1
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Die Vertreibung der Mayagemeinde von Los Cimientos
Über die Geschichte und die neuesten Entwicklungen in der Gemeinde Los Cimientos haben wir im ¡Fijáte! regelmässig berichtet. Es ist eine Geschichte, in der die ehemaligen Zivilpatrouillen (PAC) eine bedeutende Rolle spielen. Die Forderung der PAC nach einer finanziellen Entschädigung für ihren "Dienst am Vaterland" lassen in vielen Leuten die Erinnerung daran aufleben, was sie unter dem Militär und den Zivilpatrouillen erlitten haben. Das organisierte Auftreten der Ex-PAC (die einen sprechen von einer Wieder-Organisierung, andere sind davon überzeugt, dass diese Strukturen über all die Jahre hinweg aufrechterhalten blieben und dass es sich bei dem Aufruhr um ein wahltaktisches Manöver der FRG handelt) zeigt, dass die guatemaltekische Gesellschaft auch heute noch bis in den Alltag hinein militarisiert ist. Von der Regierung wird die Entschädigungsforderung der Ex-PAC leider nur auf der finanziellen Ebene diskutiert und nicht dazu genutzt, ein wichtiges Stück Vergangenheitsbewältigung zu leisten. Der folgende Artikel von Andreas Boueke zeigt, dass die Gemeinde Los Cimientos sich mit zwei brisanten politischen Themen konfrontiert sieht: Der Militarisierung und der Landproblematik. Der Weg in den Norden der Provinz Quiché führt über sandige Schlaglochpisten, vorbei an nahezu senkrechten Abhängen. Nur wenige Kilometer entfernt von dem Bergdorf Cotzal endet die letzte Autospur der Gegend am Eingangstor der Finca San Francisco. Auf der Farm scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Grundmauern der niedergebrannten Hacienda geben Zeugnis von den Kämpfen der achtziger Jahre zwischen Guerilla und Armee. Keine fünfhundert Meter entfernt von den Ruinen des Verwaltungsgebäudes stehen Baracken, in denen bis zu achtköpfige Familien auf zehn Quadratmetern nacktem Erdboden wohnen, umgeben von maroden Lehmwänden. Von hier aus geht der steile Anstieg auf einem schmalen Pfad weiter. Der Fussmarsch bis zur Finca Los Cimientos, in dem Municipio Chajul, dauert rund vier Stunden. Zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts hat dort eine Gruppe aus dem Mayavolk der K'iche's gesiedelt. Sie stammten ursprünglich aus dem fünfzig Kilometer entfernten Dorf Chiul. Im Jahr 1901 hatten die Familien im Rahmen eines Landverteilungsprogramms der Regierung legale Landtitel über die bis dahin weitgehend unbewohnte Finca Los Cimientos erhalten. Achtzig Jahre lang lebten die SiedlerInnen und ihre Nachkommen in einer fragilen Nachbarschaft mit den BewohnerInnen der Municipios Chajul und Cotzal, mehrheitlich Angehörige der Ethnie Ixil. Seit den achtziger Jahren sind die Geschehnisse um die Finca Los Cimientos ein Beispiel dafür, zu welch verheerenden Folgen die Politik der guatemaltekischen Militärs geführt hat, im Rahmen ihrer Aufstandsbekämpfung verschiedene Gruppen der Mayabevölkerung gegeneinander auszuspielen. Als die Guerilleros der "Armee der Armen" (EGP) in den siebziger Jahren begannen, die Bevölkerung der Berge für ihren revolutionären Kampf zu mobilisieren, reagierte die Armee mit der Massakrierung der BewohnerInnen von 440 Siedlungen. Über eine Millionen Mayas mussten ihre Heimat verlassen, so auch die K'iche's von Los Cimientos. Einer der damaligen Bewohner erinnert sich: "Ich bin in Los Cimientos aufgewachsen. Als ich ein Kind war, konnten wir ungestört das Land bewirtschaften. Doch dann begannen die Massaker der Armee. Wir mussten fliehen. Ich kann mich noch gut an den 15. Januar 1982 erinnern: Wir waren auf dem Weg zum Friedhof, um ein Kind zu begraben, das an einer Krankheit gestorben war. Plötzlich flogen zwei Kampfflugzeuge über unsere Hütten. Ein Hubschrauber landete auf dem Friedhof. Zwei Männer der Gemeinde sind vorausgegangen, um mit den Autoritäten der Armee zu sprechen. Wenig später hielten uns mehrere Soldaten auf und fragten, wohin wir gehen würden. Wir antworteten: 'Wir gehen zum Friedhof, um dieses Kind zu beerdigen. Wir mussten den Sarg öffnen und den Soldaten den Leichnam zeigen. Sie ließen uns erst gehen, nachdem sie das Gesicht der armen Kreatur angefasst hatten. Als wir zum Friedhof kamen, lagen dort die toten Körper der beiden Männer, die die Soldaten begrüssen wollten - gefoltert und ermordet. Wir waren sehr erschrocken. Anstatt nur das Kind zu beerdigen, mussten wir jetzt drei Tote begraben. Wir konnten nicht einmal eine Totenwache für die Männer halten." Der Friedhof der Gemeinde wurde zu einem Hubschrauberlandeplatz umfunktioniert, um den herum eine Militärbasis entstand. Die BewohnerInnen von Los Cimientos mussten fliehen. Einige schlossen sich den Widerstandsgemeinden (CPR) an, andere zogen mit ihren Familien als Tagelöhner auf die Zuckerrohrplantagen der Küste oder als Handlanger in die Hauptstadt. Manche konnten bei Verwandten in Chiul unterkommen. Das nun brachliegende Land in der Umgebung des Militärstützpunkts "verschenkte" die Armee an arme Bauern und ihre Familien aus Chajul. Dabei wurden die rechtmässigen Besitzansprüche der K'iche's völlig ignoriert. Die Männer der neuangesiedelten Familien wurden von den Militärs als Zivilpatrouillen (PAC) organisiert. So diente das geraubte Land den Soldaten als zivile Pufferzone in einer Region, in der die Guerilla grosse Gebiete unter ihre Kontrolle gebracht hatte. 1986 übergab das Militär die formale Macht im Land an eine Zivilregierung. Wenig später wurde der Militärstützpunkt von Los Cimientos aufgelöst. Die zivilen BesetzerInnen des Landes jedoch blieben. Zu dieser Zeit begannen sich die aus Los Cimientos vertriebenen Familien erneut zu organisieren. Doch mit ihren Petitionen trafen sie auf einen Staatsapparat, der die Position der vom Militär unterstützten illegalen BesetzerInnen stärkte. Trotzdem entschlossen sie sich, auf ihr Land zurückzukehren. In diesem Vorhaben wurden sie unterstützt von zahlreichen internationalen BegleiterInnen, verschiedenen nationalen Menschenrechtsorganisationen und insbesondere vom Rat der ethnischen Gemeinden Runujel Juman ("Wir sind alle gleich"), CERJ. Nach oben |
Im August 1994 war es soweit: Die erste Gruppe der Vertriebenen kehrte zurück. Rund fünfzig Familien schafften es, gewaltfrei einen kleinen Teil ihrer Finca Los Cimientos zu besetzen. Ein Erfolg, der ihre Hoffnung stärkte, eines Tages den gesamten Landbesitz zurückzubekommen. Die BesetzerInnen jedoch weigerten sich, abzuziehen. Einer von ihnen erklärt, auch sie seien arme, landlose Bauern. "Die Armee hat uns gesagt, das Land gehöre uns. Es stimmt, dass die Leute, die jetzt zurückgekommen sind, früher ihren Friedhof hier hatten. Aber sie sind geflohen. Wir haben Landtitel bekommen und wollen hier in Frieden leben. Wo sollen wir denn sonst hin? Wir können nicht einfach in die Dörfer gehen, um zu leben. Wir haben kein Geld, um uns dort Land zu kaufen." Es begann ein Verhandlungsprozess auf höchster Ebene, zeitweise koordiniert vom katholischen Bischof des Quiché. Beteiligt waren Angehörige der streitenden Parteien, der Armee und hohe Regierungsfunktionäre. In mehreren juristischen Studien wurde ein ums andere Mal die Rechtmässigkeit des Besitzanspruchs der RückkehrerInnen belegt. Schliesslich erkannten selbst die BesetzerInnen an, dass ihre Landnahme illegal war. Trotzdem vergingen sieben Jahre, während der sich die RückkehrerInnen in zahllosen Sitzungen um die Durchsetzung ihres Rechts bemühten. Vor dem Interamerikanischen Gerichtshof willigte die guatemaltekische Regierung ein, anderes Land zur Verfügung zu stellen, um den Konflikt zu lösen. Doch zu einem ernstzunehmenden Angebot kam es nie. Mit der Zeit verlor der Verhandlungsprozess an Dynamik, bis zum 25. Juni 2001. An diesem Tag erlebten die RückkehrerInnen erneut eine gewaltsame Vertreibung. Eine bewaffnete Gruppe von Besetzern drang in die kleine Siedlung der RückkehrerInnen ein, zerstörte ihre Hütten, stahl ihr armseliges Hab und Gut, vergewaltigte zwei Frauen und vertrieb die Familien erneut. Auf diese Ereignisse in Los Cimientos reagierte erstmals auch die nationale Presse. Auf den Titelseiten fast aller Tageszeitungen wurde die Gewalt der ehemaligen PAC-Mitglieder beschrieben, so auch in einem Artikel der Zeitung Al Dia vom 2. Juli 2001: Am Montag, den 25. Juni bereiteten sich die Kinder der Schule von Los Cimientos für die Feier des Tags des Lehrers vor. "Es war wohl so um die 9:15 Uhr, als Mateo Hernández Sánches und die Hilfsbürgermeister kamen und mich baten, einen Moment lang mit ihnen zu sprechen", berichtet Francisco Oxlaj Pastor, Mitglied des Bildungskomitees der Gemeinde. "Als ich sie in den Schulraum begleitete, sagten die Ex-Patrouilleros zu mir: Ihr habt zwei Stunden, um zu verschwinden. Ich versuchte, eine Erklärung zu bekommen, aber in diesem Moment kamen mehrere Männer herein, die mit Stöcken, Macheten und Gewehren bewaffnet waren. Sie begannen, die Schule zu zerstören. Die Möbel und alles was sie fanden. Das führte zu einer Panik unter den Kindern, die gerade ankamen. Danach gingen die Männer ins Dorf und begannen mit einer generellen Zerstörung. Mehrere Hütten wurden angezündet. Man konnte die Schreie der Frauen und Kinder hören, die flohen. Die Ex-Patrouilleros hatten Spass an der Zerstörung. Angel Gómez Cruz sagt, die Patrouilleros hätten die Kleidung der Kinder, deren Essen, die Bücher, den Schulplan, die didaktischen Materialien und die Schreibtische zerstört oder gestohlen. Sie hinterließen nichts als Schutt. In den folgenden sechs Monaten fanden die meisten der Flüchtlinge Unterschlupf in dem kleinen Dorf Xeputúl, etwa zwei Stunden Fussmarsch von Los Cimientos entfernt. Dessen BewohnerInnen zeigten eine ausserordentliche Solidarität, obwohl ihre VertreterInnen und die Vertriebenen weiterhin Drohungen von den BesetzerInnen erhielten. Einmal mehr begann ein Verhandlungsprozess, der bis heute zu keinen greifbaren Ergebnissen für die Vertriebenen geführt hat. Anfangs bemühte sich die katholische Kirche mit Bischof Julio Cabrera als Vermittler halbherzig um einen Dialog. Die Gewalttaten der BesetzerInnen wurden verurteilt. Internationale Hilfsorganisationen leisteten humanitäre Hilfe in Xeputúl. Mit finanzieller Unterstützung aus der Schweiz begann das Komitee COPRODESQUI, den Unterricht für die Grundschulkinder zu fördern. Aber in Bezug auf den grundlegenden Landkonflikt blieb alles beim Alten. Die erneut Vertriebenen boten sogar an, das Land unter sich und den Aggressoren aufzuteilen. Doch die BesetzerInnen akzeptierten auch dieses Angebot nicht. Ihre Haltung wurde von der Regierung geduldet. So blieb den Flüchtlingsfamilien nichts anderes übrig, als sich auf ein Angebot der Regierung einzulassen, an anderer Stelle eine Finca als Ersatz zu kaufen. Am 29. Dezember 2001 verliessen die Flüchtlinge Xeputúl, anfangs mit der Hoffnung, bald auf diese neue Finca ziehen zu können. Doch seitdem ist wenig passiert. Die Regierung hat kein Geld für einen solchen Landkauf und bemüht sich auch nicht ernsthaft, ihr Versprechen einzulösen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Fall hat sich verflüchtigt. Bischof Julio Cabrera ist nach Zacapa versetzt worden, ohne einen Nachfolger für sein Vermittleramt zu ernennen. Die internationalen Organisationen verlagern ihr Engagement auf andere, erfolgsversprechendere Fälle. Der Zusammenhalt der Flüchtlingsfamilien geht zunehmend verloren. Viele sind wieder über das ganze Land verteilt, um einzeln zu versuchen, ihr Überleben zu sichern. Im traditionellen Verständnis der Mayas gibt es keine Landtitel, keinen privaten Landbesitz. Der Erdboden gehört der Gemeinschaft und ist Teil der Natur, die um Erlaubnis gebeten werden muss, bevor die Äcker gepflügt und die Früchte geerntet werden können. Doch die Kolonisierung Amerikas hat das Ende der Ära des gemeinschaftlichen Landbesitzes eingeläutet. Heute schützt die guatemaltekische Verfassung den privaten Landbesitz. Wenn zum Beispiel eine Finca eines Grossgrundbesitzer von armen Bauern besetzt wird, dauert es oft nicht lange, bevor grosse Polizeitrupps diese Landnahme beenden. Wenn jedoch eine Mayagemeinde ihr Recht auf privaten Grundbesitz einfordert, zeigt sich, dass für sie die verfassungsmässigen Rechte nicht in gleichem Masse gelten. |
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