"Hoffen wir erst einmal, die Bewilligung für die Exhumierung zu bekommen"
Fijáte 311 vom 2. Juni 2004, Artikel 1, Seite 1
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"Hoffen wir erst einmal, die Bewilligung für die Exhumierung zu bekommen"
Zu den wohl schwierigsten sozialen Konflikten in Guatemala gehören solche, die im Rahmen der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte ausbrechen, z.B. wenn Hinterbliebene von Kriegsopfern Exhumierungen von Massengräbern anstreben. Noch heute leben die sog. Täter oft im selben Ort wie die Opfer bzw. deren Familienangehörigen. In den Jahren seit der schrecklichen Tat wird das Zusammenleben dieser beiden Gruppen geprägt von Repression, (wirtschaftlicher) Abhängigkeit und Angst. Angst auch seitens der Täter, die damit rechnen müssen, dass nach einer erfolgten Exhumierung Klage gegen sie erhoben wird. Entsprechend versuchen sie mit allen Mitteln, eine Exhumierung zu verhindern. In den Gemeinden La Vega und Santa Catarina, im Ixcán, ersuchen 80 Familien die Exhumierung von Massengräbern, die sich auf dem Gelände der Militärzone 22 (Cantabal) befinden. Unterstützt werden sie dabei von der Koordination der nationalen Indígena- und BäuerInnenorganisationen (CONIC) und der Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM). Die Reaktion auf diese Bestrebungen erfolgte prompt: Kurz nachdem im März diesen Jahres VertreterInnen der GAM in die Gemeinden kamen, um den Exhumierungsprozess voranzutreiben, bekamen einzelne RepräsentantInnen der Familienangehörigen Drohungen. In der Folge kam es zu einem Mediationsverfahren, an dem alle direkt beteiligten und an einer Lösung interessierten Parteien teilnehmen. Im Folgenden erzählt Mario Polanco von der GAM von den Möglichkeiten und Schwierigkeiten eines solchen Verfahrens. Die Verhandlungen sind zum Zeitpunkt des Interviews in vollem Gange, definitive Ergebnisse stehen noch aus. Frage: Was ist in den Gemeinden La Vega und Santa Catarina in den 80er Jahren geschehen? Mario Polanco: Als sich der bewaffnete Konflikt verschärfte, wurde der bereits vor den 80er Jahren im Ixcán existierende Militärposten zu einer Militärbasis vergrössert. Da aber das Militär nicht über das notwendige Land verfügte, um die Kaserne zu bauen, wurde dieses einfach einer Gruppe von BäuerInnen enteignet. Man weiss nicht, was mit diesen Familien geschehen ist, ob sie vertrieben oder schlichtweg ermordet wurden. In den Jahren 1982/83 verfügte das Militär über ein Gebiet von 1150 manzanas (ca. 800 ha), und zwar in einem überaus fruchtbaren Gebiet und nahe der Grenze zu Mexiko. Ausserdem in einer Region, in der die Guerilla des EGP (Ejército Guerillero de los Pobres) überaus aktiv war. Während zwei Jahrzehnten operierte die Basis in der Region, besass den einzigen Flughafen weit und breit und kontrollierte so den ganzen Flugverkehr in und durch diesen Landstrich. Etwa 20 Jahre später, 2002, besetzte eine Gruppe von 80 Familien einen Teil des Militärgeländes, der von der Armee nicht mehr genutzt wurde. Die BäuerInnen unternahmen nichts, damit ihnen das Land überschrieben würde, das Militär seinerseits strebte vorerst keinen Prozess und keine Räumung an. Bis vor einem Jahr. Der juristische Prozess wurde jedoch seitens des Militärs nicht sehr intensiv verfolgt und blieb in der Bürokratie der Gerichte hängen. Bei den aktuellen Verhandlungen konnten wir nun erreichen, dass der Prozess nicht weitergeführt und so eine gewaltsame Räumung verhindert wird. Frage: Wie kam die GAM dazu, sich in dieser Angelegenheit zu engagieren? M.P.: Die GAM unterhält seit 1994 Kontakt zur Menschenrechtsvereinigung des Ixcán. Diese Organisation vermutete, dass sich sog. geheime Friedhöfe auf dem Gelände der Militärbasis befinden. Sie informierten die Familien, die das Land besetzt halten und in der CONIC organisiert sind über die Möglichkeit, Unterstützung von der GAM bei den Exhumierungen zu bekommen. Wir hatten im letzten September zum ersten Mal Kontakt mit den Leuten und sobald wir feststellten, dass da tatsächlich Gräber liegen und auch sahen, dass wir finanziell und zeitlich in der Lage sind, diesen Prozess zu begleiten, unternahmen wir im Januar 2004 die ersten Schritte, um die Exhumierungen einzuleiten. Frage: Weiss man denn, wer die Personen sind, die in diesen geheimen Gräbern liegen? M.P.: Wir wissen nicht mit Gewissheit, um wessen Überreste es sich handelt, möglicherweise um Angehörige der Leute, die die Exhumierung fordern, aber im schlimmsten Fall finden wir bei den Ausgrabungen gar nichts. Ich möchte deshalb den Mund nicht zu voll nehmen, hoffen wir erst einmal, die Bewilligung für die Exhumierung zu bekommen! Frage: Ist vorgesehen, nach den erfolgten Exhumierungen Prozesse gegen die Täter anzustreben? M.P.: Diese Entscheidung müssen die Hinterbliebenen treffen, dazu wollen wir sie als GAM nicht drängen. Ausserdem liegen noch sehr wenig Beweise über die Identität der Verantwortlichen vor, da wir zu wenig über die Befehlshierarchie in dieser Militärbasis wissen. Nicht dass ich nicht wollte, dass die Militärs verurteilt würden. Aber wir müssen einfach sehr vorsichtig an die Sache herangehen und können ohne Erlaubnis der Hinterbliebenen gar nichts machen. In einem Prozess gegen das Militär besteht leider die sehr reelle Gefahr, ihn zu verlieren und das wiederum wäre sehr frustrierend für die Familienangehörigen. Frage: Was war der Auslöser für die jüngsten Drohungen? M.P.: Nachdem wir zum ersten Mal in den Gemeinden waren, begannen die Drohungen gegenüber den besetzenden BäuerInnen. Doch es gibt eine ganze Reihe andere Faktoren, die mit einberechnet werden müssen: Es handelt sich beim Ixcán um eine hoch militarisierte Zone, in der RichterInnen, AnwältInnen, die Polizei und andere Institutionen von der Armee abhängig sind. Abgesehen davon, dass es eine militarisierte Zone ist, war auch der Einfluss der Linken immer sehr gross. In diesem Gebiet entstand 1971das EGP, hier wurde der Grossgrundbesitzer José Luis Arenas, der ,,Tigre del Ixcán" ermordet, was der Guerilla grossen Aufschwung gab. Ein Aufschwung, der offenbar anhält, denn die URNG gewann bei den vergangenen Wahlgängen mit Marcos Ramírez zweimal das Bürgermeisteramt. Nach oben |
Die Besetzung eines Teils der Militärbasis und das Bekanntwerden der Existenz von Massengräbern hatte zur Folge, dass weitere Organisationen aufs Parkett traten: Die CONIC, um die BäuerInnen bei der Landbesetzung zu begleiten und die GAM, um den Exhumierungsprozess zu unterstützen. Diese Situation hat bei den Militärs und ihrer Gefolgschaft höchste Alarmstufe ausgelöst. Die Folge davon waren die Drohungen gegen die BäuerInnen. Diese Drohungen sehen folgendermassen aus: - Den Leuten wird gesagt, dass der Prozess bezüglich der Landräumung jederzeit vorangetrieben werden könne. - Ihre Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt, indem der Weg, der direkt zu ihren Häusern führt, geschlossen wurde; jetzt müssen sie durch die Militärzone gehen, um nach Hause zu kommen. - In unmittelbarer Nähe ihrer Siedlungen wurde ein Schiessplatz angelegt. - Die Richter haben ihnen angedroht, dass, ,,wenn sie die Toten aus den Gräbern holen, sie die nächsten Toten sein werden". Frage: Wer hatte die Initiative ergriffen, damit ein Mediationsverfahren zustande kam? M.P.: Nach den Räumungsdrohungen haben sowohl CONIC wie die GAM entschieden, Hilfe bei CONTIERRA anzufordern. CONTIERRA ist eine staatliche Institution, welche die Kompetenz hat, MinisterInnen und Staatsekretäre zusammen zu rufen, um bestimmte Themen zu verhandeln. Die Verantwortliche von CONTIERRA lädt zu den Treffen ein und moderiert sie auch. Am ersten Treffen einigte man sich darauf, weitere Akteure wie OCRET (Kontrollstelle für territoriales Staatseigentum, wie z.B. Flussund Meeresufer, die in Guatemala per Verfassung staatliches Eigentum sind), FONTIERRA und Bienes del Estado (zuständig für übriges staatliches Eigentum, wie z.B. die Militärkasernen). Die ersten beiden Treffen verliefen sehr gut. Wir erzielten echte Erfolge, doch beim dritten Treffen schien es, dass sich die VertreterInnen der staatlichen Institutionen im Vorfeld mit den Militärs abgesprochen hatten und wir mussten ein paar Rückschläge einstecken. Frage: Worüber wird verhandelt? M.P.: Die Themen sind: - Bewegungsfreiheit - keine Räumung des besetzten Landes - dass das Land überschrieben wird vom Militär an Bienes del Estado und dass in diesem Dokument festgehalten wird, dass das Land von 80 Familien besetzt wird. - Stopp der Drohungen im Zusammenhang mit den geplanten Exhumierungen und Nicht-Behinderung dieses Prozesses. Interessanterweise läuft es mit dem Militär recht gut, schwieriger sind die Verhandlungen mit den anderen Institutionen. Frage: Weshalb wird nicht gefordert, dass das Land direkt an die besetzenden BäuerInnen überschrieben wird? M.P.: Gemäss Verfassung darf das Militär Land weder verschenken noch verkaufen, noch jemandem überlassen, sondern muss es an den Staat zurückgeben, entweder an FONTIERRAS oder an Bienes del Estado. Ist dies einmal geschehen, müssen wir mit einer dieser Institutionen über die Überschreibung des Landes an die BäuerInnen weiter verhandeln. Frage: Welche Strategie verfolgt die GAM in diesem Mediationsprozess? M.P.: Wir sind in erster Linie um das Wohl der BäuerInnen besorgt und darum, dass sie von den StaatsvertreterInnen und vor allem vom Militär nicht übers Ohr gehauen werden. Frage: Wie ist die Stimmung während des Mediationsverfahrens? M.P.: Die BäuerInnen fühlen sich sicher, denn in Wirklichkeit sind sie es, die am längeren Hebel sitzen, da sie das Land besetzen und das Militär verhindern will, dass es auf seinem Gebiet zu einer Landräumung kommt. Vor allem nicht, wenn gleichzeitig die Formalitäten für eine Exhumierung laufen. Der Vertreter des Militärs ist einer der Moderateren innerhalb seiner Institution und zeigte sich anfänglich offen und flexibel. Beim dritten Treffen jedoch änderte sich seine Haltung. Er bekam wohl entsprechende Befehle von oben oder die intolerante Art der anderen Funktionäre hat ihn ,,angesteckt". Frage: Was ist das Schwierigste für dich bei diesen Verhandlungen? M.P.: Die Angst, dass in den Gemeinden etwas passieren könnte aufgrund der Bestrebungen, die die GAM unternimmt. Das hätte auch für unsere Organisation schlimme Konsequenzen, denn es würde andere Gemeinden, in denen es auch geheime Friedhöfe gibt, davon abhalten, Exhumierungen anzustreben, weil die Leute fürchten, ihnen könnte das gleiche geschehen. Frage: Glaubst du, dass Mediation eine erfolgreiche Methode ist, um einen solchen Konflikt zu lösen? M.P.: Es ist das erste Mal überhaupt, dass auch das Militär an einer solchen Konfliktbearbeitung teilnimmt. Und es ist das erste Mal, dass ein geheimer Friedhof auf einer Militärbase exhumiert werden soll. Ich traue mich deshalb noch nicht, irgendwelche Prognosen über den Ausgang der Mediation vorwegzunehmen. Frage: Wie schätzt du den Willen der beteiligten Parteien ein, wirklich zu einer Lösung des Konflikts zu kommen? M.P.: Ihr Wille ich weiss nicht. Auf alle Fälle ist es politisch gesehen von grossem Vorteil für uns, dass der Fall national und international bekannt ist und dass es unterstützende Eilaktionen aus dem Ausland gibt, die fordern, dass man das Recht der besetzenden Familien respektiert und die Exhumierungen zulässt. Frage: Was passiert, wenn es nicht zu einer Einigung kommt? Besteht die Gefahr, dass dann eine Gewaltspirale losdreht, die noch schwieriger zu stoppen ist? M.P.: Es KOMMT zu einer Einigung. Die Familien sind nun mal auf diesem Land und dem Militär kommt es nicht gelegen bzw. sie wollen nicht, dass es zu einer Räumung kommt. Die nationalen und internationalen Kosten wären zu hoch für sie und ausserdem stehen sie kurz vor dem Abzug aus der Gegend. Eine Möglichkeit wäre, dass das Militär das Land an FONTIERRAS abgibt, und diese einen Räumungsbefehl ausstellt, was ich jedoch nicht glaube. Eine andere Möglichkeit ist, dass, wenn das Militär erst einmal abgezogen ist, noch mehr Familien das ehemalige Militärgelände besetzen. Und da besteht die grosse Gefahr, dass Sympathisanten des Militärs, die nach wie vor bewaffnet sind, mit sozialen Säuberungen beginnen, womit die Gewaltspirale losgetreten wird. Herzlichen Dank für das Interview! |
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