"Es ist nicht einfach, sich ihren Angeboten zu entziehen"
Fijáte 249 vom 28. Nov. 2001, Artikel 1, Seite 1
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"Es ist nicht einfach, sich ihren Angeboten zu entziehen"
In den 60er Jahren war der Ixcán eine fast unbewohnte Gegend. Viele BäuerInnen aus andern Landesteilen siedelten sich dort an, weil sie in ihren Heimatgemeinden kein Land hatten. Heute ist das Leben im Ixcán kompliziert, nicht nur wegen der Armut, sondern auch, weil dort Menschen unterschiedlicher Herkunft und Ideologie zusammenleben: Soldaten, Paramilitärs, ehemalige GuerillakämpferInnen, zurückgekehrte Flüchtlinge, intern Vertriebene, BewohnerInnen der Modelldörfer. Der Ixcán ist die Hoffnung für viele landlose Indígenas. Doch befinden sich grosse Teile des Gebiets in den Händen ehemaliger Militärs. Von vielen werden die unterschiedlichen Entwicklungspläne der katholischen Kirche, des Militärs und der nordamerikanischen Entwicklungsagentur AID als neue Form der Kolonisierung empfunden. Noch heute wird das Leben im Ixcán von unterschiedlichen Interessen bestimmt. Die Folge davon ist Angst, sich bekämpfende Gruppierungen, Hunger und viel Arbeit, die auf allen Ebenen zu tun ist. Anfang November weilten der Menschenrechtsaktivist Anselmo Roldan Aguilar und die Frauenrechtsaktivistin Teresa de Jesus Rafael Cardona auf Einladung von HEKS in der Schweiz. Beide stammen aus dem Dorf Cuarto Pueblo, Ixcán, das am 14. März 1982 Schauplatz eines schrecklichen Massakers war. Beide sind Ende 1982, bzw. Anfang 1983 zuerst in die Berge, dann nach Mexiko geflüchtet und nahmen 1993 an der ersten kollektiven Rückkehr nach Guatemala teil. Martina Greiter vom Guatemala-Netz Bern, von dem die beiden während ihres Aufenthaltes betreut wurden, sprach mit ihnen über ihre heutige Arbeit und über ihre Strategien, mit denen sie für Gerechtigkeit und/bzw. Gleichberechtigung kämpfen. Anselmo Roldan Aguilar, in welcher Organisation sind Sie tätig? Ich bin Präsident der Menschenrechtsvereinigung der Region Ixcán (ADHAI). Sie wurde 1997 gegründet und arbeitet in den fünf Kooperativen Los Angeles, Pueblo Nuevo, Xalbal, Cuarto Pueblo und Mayalan. Ausserdem bin ich Präsident der Asociación Justicia y Reconciliacion (AJR), der Vereinigung "Gerechtigkeit und Versöhnung", welche in Zusammenarbeit mit der guatemaltekischen Menschenrechtsorganisation CALDH vor zuständigen nationalen Gerichten Anklage gegen die Verantwortlichen für die Massaker im Jahr 1982 erhebt. Was tut die Menschenrechtsvereinigung ADHAI? Eine der wichtigsten Tätigkeiten war die Förderung von Exhumierungen. Diese Arbeit konnte praktisch abgeschlossen werden. Heute bestehen unsere Aktivitäten in der Region Ixcán vor allem darin, Menschenrechtsverletzungen anzuzeigen, die Umsetzung der Friedensverträge zu überwachen und Leute zu begleiten, die bei uns um rechtlichen Beistand bitten. Im weiteren haben wir zum Ziel, unsere Arbeit mit anderen Sektoren der Gemeinde zu koordinieren, unter anderem mit den LehrerInnen und der Leitung der Kooperative. Wir kümmern uns aber auch um Dienstleistungen für die Gemeinde, wie die Trinkwasserversorgung. Ab 1999 gründeten wir zusammen mit mehreren Gemeinden die AJR, um auch auf nationaler Ebene für Gerechtigkeit und Versöhnung und gegen die Straflosigkeit zu kämpfen. Zuerst (3. Mai 2000) wurde General Lucas Garcia und dessen oberste Befehlshaber von 9 Gemeinden und dann (6. Juni 2001)Ex-General Rios Montt, derzeitiger Präsident des Kongresses, von 11 Gemeinden des Völkermordes angeklagt. Wie reagieren Kreise um Rios Montt auf diese Klage? Der Versuch von Rios Montt und nahestehenden Militärs, die Staatsanwaltschaft wieder vermehrt unter ihre Kontrolle zu bringen, dürfte eine Strategie sein, sich vor diesen Anklagen zu schützen (siehe ¡Fijáte 247). Welche Art von Menschenrechtsverletzungen geschehen zur Zeit in der Region Ixcán? Die grössten Probleme im Bereich Menschenrechte sind wie zu Zeiten vor den Friedensverträgen die Verletzungen der Rechte der Zivilgesellschaft auf freie politische Partizipation und die Meinungsfreiheit, wie sie in der Verfassung gewährleistet wären. Diesbezüglich hat sich hier fast nichts verändert. Die ehemaligen Zivilpatroullien (PAC), die heute in der Region Ixcán unter verschiedenen neuen Bezeichnungen auftreten, so im Fall Cuarto Pueblo als 'Freundschaftskomitees' (Comites de Amistad), stören und verhindern die Ausübung dieser Rechte. Nach oben |
Mit welchen Strategien tun sie das? Ich spreche jetzt für Cuarto Pueblo. Hier geschah das schlimmste Massaker der Region, und hier ist die Situation auch heute noch am schlimmsten. Mitglieder der Freundschaftskomitees schüchtern die Menschen ein und drohen sie umzubringen, falls sie an Versammlungen teilnehmen. Sie fragen, warum die Leute in diesen Organisationen teilnehmen. Das seien doch Organisationen der Guerilla. Auch gewisse politische Parteien wie die ANN seien doch von der Guerilla. Sie wollen nicht, dass sich die Menschen organisieren. Ausserdem versprechen sie Infrastrukturprojekte für ganze Gruppen oder konkrete Zahlungen an einzelne Personen. So kamen sie vor etwa drei Jahren auch bei mir ins Haus, boten mir Geld an und versprachen, mich in Ruhe zu lassen, wenn ich meine Aktivitäten bleiben lasse und mich auf ihre Seite stelle. Sie und die Leute wüssten, was früher passiert sei, das müsse man ihnen nicht noch sagen. Es ist nicht einfach, sich diesen Angeboten zu entziehen. Häufig wird aber auch ganz einfach versprochen und dann nicht eingehalten. Vor etwa 2 Monaten kamen auch Mitglieder der Armee in Cuarto Pueblo vorbei. Sie machten Umfragen bei den Leuten. Sie organisierten zivile Aktivitäten. Sie zeigten Propaganda-Filme, um die Aufmerksamkeit der Leute zu erlangen. Sie befragten auch die LehrerInnen, wie sie und was sie unterrichten. Sie befragten die LadenbesitzerInnen, wie es mit der ökonomischen Situation aussehe. Auch beim Menschenrechtsverein von Cuarto Pueblo kamen sie vorbei. Für uns ist das nicht seltsam. Sie machen das, um auf lokaler Ebene Informationen zu erhalten und um die Leute zu kontrollieren. Was kann Ihre Vereinigung dagegen unternehmen? Was wir tun können ist, die Aktivitäten der Ex-PAC und jene der Armee anzuzeigen und zu verlangen, das die Armee die Rolle spielt, die ihr auf nationaler Ebene zugedacht ist. Auch bei Landkonflikten, wo Ex-PAC involviert sind, erstatten wir Anzeige. So beispielsweise beim Fall Los Cimientos. Diese Anzeigen gehen an den Friedensrichter in Playa Grande. Nur bei wichtigen Fällen gelangen wir an das Gericht in Cobán oder sogar an Gerichte der nationalen oder, in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, sogar auf internationaler Ebene. Wir informieren auch MINUGUA, die staatliche Ombudsstelle für Menschenrechte und die Sozialdiözese der katholischen Kirche, mit welcher die Zusammenarbeit sehr gut ist. Wenn es nötig ist veranstalten wir mit all diesen Institutionen gemeinsame Sitzungen, um das weitere Vorgehen zu diskutieren. Wenn notwendig, halten wir auch Versammlungen zusammen mit Militärangehörgigen ab. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit besteht also darin, die sehr geschwächte und durch die Aktivitäten der Ex-PAC auseinander dividierte zivile Gesellschaft zu stärken und die Kooperation zu fördern. Es bestehen, mitunter wegen der Aktivitäten der Ex-PAC, sehr viele Konflikte zwischen Gruppen aber auch innerhalb der Familien und der Nachbarschaft, was meiner Meinung nach das grösste Problem im Ixcán darstellt. Wir orientieren die Leute u.a. auch in Workshops über ihre Rechte und dass es ihnen freisteht, ob und in welcher politischen Organisation sie sich engagieren möchten. Gibt es konkrete Verbindungen zwischen den Freundschafts- Komitees und der Armee? Ganz offensichtlich. Mitglieder der Komitees nehmen beispielsweise an Versammlungen in der Militärkaserne teil. Die Ex-PAC erhalten dort Anweisungen, wie sie vorgehen sollen. Viele von ihnen handeln nicht gemäss ihrer eigenen Initiative, sondern werden von der Armee dazu angestiftet. Häufig treten Soldaten und Ex-PAC bei ihren Aktivitäten gemeinsam auf. Die konkreten Bedrohungen und Einschüchterungen stammen aber meistens von den Freundschaftskomitees, so auch bei uns in der Menschenrechtsvereinigung. Ich selber wurde dieses Jahr Opfer eines versuchten Attentates. Zuerst wurden Morddrohungen ausgestossen, dann geschah die Schändung des historische Denkmals zur Erinnerung der Opfer der Massaker und zuletzt wurde ich an Leib und Leben attackiert. Dies alles geschah in einer sehr logischen Reihenfolge. Die Person, die mich angriff, kenne ich gut. Sie war früher selber Mitglied des Menschenrechtsvereins und ist möglicherweise durch Zahlungen oder sonst wie auf die andere Seite gezogen worden. Übrigens, nach dem Attentat bekam ich nur kurze Zeit Schutz von MINUGUA und war danach wieder fast auf mich allein gestellt. Es sind aber internationale FriedensbeobachterInnen bei uns, die für unsere Arbeit sehr wichtig sind. Was sind weitere wichtige Aktivitäten Ihrer Vereinigung? Wir kämpfen seit längerem für die Einrichtung eines Bezirksgerichtes der ersten Instanz für die Region Ixcán. Bis heute fehlt uns ein solches Gericht. Der Richter, der in der Bezirksbehörde für den Bezirk Ixcán arbeitet, ist völlig überlastet. Bis heute gibt es keine Gerechtigkeit im Ixcán. Für diese Gerechtigkeit kämpfen wir. Es kam zwar zu kleinen Verbesserungen seit Abschluss der Friedensverträge, aber die Situation ist immer noch praktisch dieselbe wie zu Zeiten des internen Konfliktes. |
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