Besitzen, nicht begünstigt sein!
Fijáte 253 vom 13. Feb. 2002, Artikel 1, Seite 1
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Besitzen, nicht begünstigt sein!Guatemaltekische RückkehrerInnen kämpfen um ihr Land
Die guatemaltekischen Flüchtlingsfrauen hatten im mexikanischen Exil die Einschreibung der Frauen als Gesellschafterinnen in die nach der Rückkehr geplanten Kooperativen erfolgreich vorangetrieben. Dennoch sind zur Zeit die meisten Frauen in den Rückkehrgemeinden nicht direkt an den Kooperativen beteiligt. Doch das Thema ist nicht vom Tisch: im letzten Jahr haben sich die drei gegründeten Frauenorganisationen der Rückkehrbewegung Mamá Maquín, Madre Tierra und Ixmucané zur "Verhandlungskommission für den Mitbesitz von Land und gleichberechtigte Mitbestimmung von Frauen" zusammengeschlossen. Im Interview mit Ana Maria Rodríguez und Maria Guadalupe García von Mama Maquín, beide Vorsitzende der Kommission, werden Entstehung, Strategien und Ziele des Projektes aufgezeigt. Das Interview führte Heike Burba, es ist in der Nr. 78 (4/01) der Zeitschrift Frauensolidarität erschienen. Wieso nennt sich die Kommission "Verhandlungskommission" und warum wurde sie gegründet? ANA MARIA RODRÍGUEZ : Wir meinen, eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Umsetzung der Friedensabkommen in Guatemala ist, verhandeln zu lernen. Der von uns angestrebte Prozess - für den Mitbesitz einzutreten und die Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen - setzt die große Fähigkeit verhandeln zu können voraus: Zwischen den Paaren, auf Gemeindeebene, auf Regierungsebene. Wir glauben an den Dialog in den Verhandlungen, was nicht heißt, dass wir nicht kämpfen. Aber unsere Waffe ist der Dialog. MARIA GUADALUPE GARCÍA : Viele Menschen mussten während des bewaffneten Konflikts fliehen. In den Flüchtlingslagern in Mexiko lernten wir Frauen uns zu organisieren und unser Recht auf eine selbstbestimmte Rückkehr einzufordern. Wir haben uns fortgebildet, alphabetisiert und uns aktiv bei den Vorbereitungen zur Rückkehr nach Guatemala eingebracht. Es wurde unter uns Flüchtlingen vereinbart, bei der Rückkehr Kooperativen zu gründen, über die der Landbesitz und die Kreditrückzahlung geregelt werden sollte. Wir Frauen haben damals darauf bestanden, dass auch wir als Mitglieder eingeschrieben werden und unterzeichneten auch das Rechtsmandat, das uns den Zugriff auf Kredite zum Erwerb Land von ermöglichte. Damit wollten wir zum einen eine Rechtssicherheit auf Land erreichen, andererseits Mitbestimmung über die Geschicke der Kooperative. Als wir nach Guatemala zurückkamen, war plötzlich alles hinfällig: wir haben diese Forderung nicht umsetzen können. Wir wurden in den meisten Fällen keine Teilhaberinnen, wir hatten keinen Platz in der Kooperativenleitung. Wie konnte es dazu kommen? MARIA GUADALUPE GARCÍA : Die Kooperativen hatten in der Rückkehrphase eine unglaubliche Macht. Ihre Leitung entschied sogar über die Ernennung der Dorfbürgermeister. In dieser Zeit haben wir die Dörfer nicht wie Gemeinwesen aufgebaut, sondern wie ein Unternehmen. Die Frauen waren bei der Ankunft damit beschäftigt, sich um die Kinder zu kümmern, das Essen zuzubereiten, das Wasser von entlegenen Stellen zu holen etc. Es gab unzählige Aufgaben zu verrichten, die unsere Zeit komplett in Anspruch nahm. Die Männer sagten uns: "Wenn ihr Gesellschafterinnen in der Kooperative sein wollt, dann müsst ihr auch alle Pflichten erfüllen. Ihr müsst monatliche Beiträge zahlen, ihr müsst Arbeitsstunden ableisten, ihr müsst am Aufbau der Infrastruktur mitarbeiten". Dabei wurde ignoriert, dass wir z.B. für jede Vollversammlung das Essen zubereiteten. Das wird uns nicht als Arbeitsleistung angerechnet - genauso wenig wie die Arbeit bei Aussaat und Ernte. Wir liefen sozusagen unbezahlt nebenher. Frauen haben meistens einfach keine Zeit gehabt, an den Versammlungen teilzunehmen, auf denen wichtige Entscheidungen getroffen wurden. ANA MARIA RODRÍGUEZ : Hinzu kommt, dass wir von den Institutionen oder Nichtregierungsorganisationen auch nicht wahrgenommen wurden. Bei den Angelegenheiten zur Legalisierung der Kooperativen zum Beispiel war es selbstverständlich, dass die Vertreter von INACOP (nationales Institut für Kooperativenwesen) nur Männer aufsuchten, die Frauen wurden schlicht vergessen. Die Vertreter von INACOP sagten daraufhin: "Es ist doch nicht unsere Aufgabe, die Frauen einzuladen. Das muss das Dorf selber regeln." MARIA GUADALUPE GARCÍA: Und die Männer der Kooperativenführung sagten: "Das ist Sache von INACOP, sie müssen die Frauen auffordern, sich zu beteiligen." Was hat die Organisationen der Rückkehrerinnen dazu bewogen, sich zusammenzuschließen? MARIA GUADALUPE GARCÍA: Ausschlaggebend für die Gründung ist eben die Situation der Frauen, die keinen Rechtsanspruch auf Land besitzen und nicht an den lokalen Strukturen beteiligt sind. Zwar gibt es Witwen oder alleinstehende Frauen, die Gesellschafterinnen der Kooperativen sind, aber die große Mehrheit der verheirateten Frauen ist nicht einbezogen. Wenn der Mann sie verlässt, haben sie kein Anrecht auf das Land. Wenn der Mann stirbt, geht die Parzelle in den Besitz des ältesten Sohnes über, wohlgemerkt, nicht der Tochter - hier setzt die Diskriminierung schon ein. Nach oben |
ANA MARIA RODRÍGUEZ : Im Rahmen eines Seminars von Madre Tierra letztes Jahr hatten wir zu einem Erfahrungsaustausch über die Situation der Frauen in den Rückkehrdörfern eingeladen. Nachdem wir die Situation der Frauen evaluiert haben, wurde die Idee der Kommission geboren. Es wurde ein Aktivitätsplan erstellt und Dörfer ausgewählt, mit denen wir in dieser ersten Projektphase arbeiten wollen. Während dieser Treffen ist uns auch klar geworden, dass wir, obwohl wir aus verschiedenen Organisationen stammen, alle mit der gleichen Situation konfrontiert sind. Und dass es wenig Sinn macht, einzeln etwas dagegen zu tun, denn so vereinzeln wir ein gemeinsames Anliegen. MARIA GUADALUPE GARCÍA: Es wurden 17 Gemeinden, in denen eine der drei Frauenorganisationen präsent ist, für das Pilotprojekt ausgewählt. In vielen Rückkehrgemeinden sollen die alten Strukturen der Kooperativen aufgelöst werden. Das Kooperativenland wird zugunsten individueller Landtitel in Privatbesitz der ehemaligen Gesellschafter übergeben. Mit der Auflösung der Kooperativen sehen wir eine Chance, den Mitbesitz an Land erneut einzufordern und Frauen in das Register als Miteigentümerin einzutragen. ANA MARIA RODRÍGUEZ: Entscheidend bei der MiteigentümerInnenschaft an Land ist, dass sie die Machtstellungen in den familiären Beziehungen verändert. Dann haben die Frauen Rechtssicherheit auf ihr Eigentum und können mitentscheiden, wie sie es an ihre Kinder verteilen. Die Sicherheit betrifft nicht nur das Land, sondern auch das Haus, in dem sie lebt und andere Besitztümer. Außerdem wird ihr so der Zugang zu Krediten ermöglicht. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Frauen mit keinem Gesetz konfrontiert sind, welches dieses verbietet! Wir kämpfen nicht darum, Gesetze zu verändern, sondern darum, dass die bestehenden eingehalten werden. Ein Beispiel: der Vertreter des staatlichen Landfonds behauptet: "Die Frauen sind bei Unterzeichnung durch den Mann automatisch Mitbesitzerin der Parzelle". Das stimmt aber nicht. Der Mann schreibt sich als Besitzer ein und er bestimmt über das Land. Besitzende wollen wir sein, nicht nur begünstigte! Wir beziehen uns auch auf die verschiedenen Rechtsebenen: Auf die internationalen Abkommen wie die UN-Konvention über die Abschaffung der Diskriminierung von Frauen, die von Guatemala ratifiziert ist, auf den Gleichberechtigungsartikel No. 4 unserer Verfassung und die Friedensabkommen, bei denen die Gleichberechtigung von Männern und Frauen Bestandteil ist. Welche Strategien werden zur Erreichung der Ziele verfolgt? MARIA GUADALUPE GARCÍA: Die Kommission setzt die Ideen auf verschieden Ebenen um. Zunächst in den Gemeinden, dort versammeln wir uns mit den Frauen, dann mit den Führern im Dorf. Gleichzeitig wird innerhalb unserer Organisationen an dem Thema gearbeitet. In den Dörfern arbeiten wir mit Männern und Frauen und versuchen auch die "unsichtbaren Führer", die ja oft in den Dörfern mehr Macht besitzen als die gewählten Vertreter, miteinzubeziehen. Auf nationaler Ebene verhandeln wir mit Organisationen der Regierung und NROs. ANA MARIA RODRÍGUEZ : In den Gemeinden diskutieren wir mit den Männern und Frauen: Wie können wir erreichen, dass die Arbeit der Frauen anerkannt wird? Dass das Einkommen zwischen den Geschlechtern aufgeteilt wird? Dass den Frauen Arbeitstreffen als Arbeitstunden angerechnet werden - genauso wie bei den Männern. Unser Ziel sind konkrete Abkommen in den Dörfern, die den Frauen dazu verhelfen, dieses Recht umsetzen zu können. Wir wollen Geschlechtergerechtigkeit durchsetzen. Wir können nicht genauso sein wie die Männer und umgekehrt, sondern müssen unsere jeweiligen Lebensbedingungen gleichermaßen leben dürfen und anerkennen. Wie reagieren Frauen und Männer auf eure Sensibilisierungskampagne? ANA MARIA RODRÍGUEZ: Grundsätzlich sind die ersten Ergebnisse überraschend positiv! Gerade die Männer, lokale Autoritäten wie Bürgermeister und Kooperativenführer haben sich sehr interessiert gezeigt und nun wenden sie sich an uns: "Wie können wir das in die Praxis umsetzen, was wir gelernt haben?" Andererseits aber begegnen uns viele in den Dörfern mit Misstrauen und bis hin zu Feindseligkeiten. "Warum kommt ihr so spät mit diesem Thema?" Es ist noch viel Sensibilisierungsarbeit nötig. |
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