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Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Exhumierungen für die Angehörigen von Opfern

Fijáte 237 vom 13. Juni 2001, Artikel 1, Seite 1

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Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Exhumierungen für die Angehörigen von Opfern

Zusammen mit den Angehörigen machten wir uns auf einen einstündigen Fussmarsch an die Stelle, wo schon am Vortag die Grube ausgehoben wurde. Gemächlich kamen alle Angehörigen dort an, die Frauen ganz am Schluss. Sie setzten sich etwas entfernt auf den Boden und kamen erst später an den Grubenrand.

Ein Ermordeter war schon vollkommen freigelegt. Zu seinen Füssen hatte er eine Tasse und einen Teller, wie auch seine zwei anderen Gefährten, die im Verlaufe dieses Tages ebenfalls freigelegt und Körperteil für Körperteil, Knochen für Knochen in die schon vorher beschrifteten Papiertüten und danach in drei Kartonschachteln gelegt wurden. Ihre Angehörigen hatten in diesem Fall noch die Zeit, ihre ermordeten Gefährten in aller Eile und wahrscheinlich unter Lebensgefahr in Holzkisten zu vergraben.

Der Tag begann mit einer sehr eindrücklichen, kurzen Besinnung, worauf sich die drei Männer der Equipe an die Arbeit machten. Sie arbeiteten den ganzen Tag, nur mit einer einstündigen Mittagspause. An Essen fehlte es ihnen während der Feldarbeit nicht. Die Frauen überhäuften sie regelmässig mit mitgebrachten Lebensmitteln. Zur Mittagszeit wird in aller Ruhe zusammen gegessen.

Was mich vor allem beeindruckte, war der langsame und ruhige, sehr schmerzhafte und heilende Prozess, der von den Menschen aber gemeinsam durchgemacht werden darf, dies mit unterstützender Begleitung eines Katecheten. Im Verlauf eines Prozesses, der über die eigentliche Ausgrabung hinausreicht, erfahren die Angehörigen direkte Anteilnahme, sie dürfen von dem sprechen, was lange Zeit und aus Angst verdrängt werden musste. Auch die Opfer erlangen dadurch ihre Würde wieder. Sie sind nicht einfach verscharrte Tiere oder gefährliche VGGuerillasNF, wie von der Regierungspropaganda ständig verkündet. Es sind Menschen, die das Anrecht auf eine würdige Beerdigung haben.

Die Equipe arbeitet am Tag der tatsächlichen Ausgrabung sehr hart unten in der Grube und die Angehörigen dürfen am Rand in Ruhe zuschauen, sie, die sonst immer unter misslichsten Bedingungen arbeiten müssen, sie dürfen an diesem Tag nachdenken, weinen, miteinander Erfahrungen austauschen, staunen, was da unten geschieht. Zwischendurch legt sich der eine oder die andere für ein Nickerchen hin, kommt dann wieder zurück und schaut wieder zu.

Es war sehr eindrücklich und an diesem Tag habe ich erkannt, welche grosse Wichtigkeit dieser heilende Prozess für die Angehörigen hat. In der Maya-Kultur haben die Menschen ein sehr enges Verhältnis mit ihren Toten. Ich denke, dass Exhumierungen für alle ähnlich betroffenen Menschen, egal welcher Kultur, sehr wichtig sind zur Wahrheitsfindung, um mit etwas ganz Schlimmen abzuschliessen und neu zu beginnen, aber gerade in der Maya-Kultur ist es äusserst wichtig.

Nach vollbrachter Arbeit wurde am Abend wieder eine kurze Andacht gefeiert und danach machten sich die Männer aus dem Dorf daran, die Grube eigenhändig wieder zuzuschaufeln, was ebenfalls ein höchst symbolischer und wichtiger Akt war. Nach diesem endgültigen Zuschaufeln von etwas Grausamen, das die Menschen jetzt aber benennen können, wird später die feierliche Beerdigung ihrer Angehörigen stattfinden.

Die Männer buckelten die drei Schachteln und zusammen wanderten wir wieder ins Dorf zurück. Man konnte die Erleichterung der Menschen sehr gut spüren. Sie bedankten sich herzlich bei der Equipe und wir fuhren zurück nach Nebaj, wo die Überreste analysiert werden.

Grundsätzlich werden alle Überreste untersucht, auch diejenigen von Leichen, die identifiziert werden konnten. Es geht dabei um eine genaue Bestandsaufnahme der gefundenen Knochen, ihren Zustand, vor allem aber auch darum, die mögliche Todesursache (Machete, Kugeln, etc.) herauszufinden.

Die Zukunft der Exhumierungsequipe ist sehr unsicher. Wie so oft fehlt es an Finanzen. Auch personeller Mangel besteht und der Staat und obskure Kräfte aus der Vergangenheit legen ihnen so viele Steine wie möglich in den Weg. Die Equipe trifft mit ihrer Arbeit natürlich den Nerv der verantwortlichen Täter.

Anfang Mai wurde Schwester Barbara Ann Ford ermordet, die zuletzt im Quiché Angehörige bei Exhumierungen begleitete. Exhumierungen haben neben der heilenden Wirkung für die Angehörigen auch eine wichtige Funktion bei der Vorbereitung von möglichen Gerichtsprozessen und somit im Kampf gegen die VGStraflosigkeitNF. Dies steht allerdings bei dieser kirchlichen Equipe eher im Hintergrund. Im Vordergrund stehen die lebenden und toten Opfer, deren Würde zurückgegeben werden soll. Es wäre schlimm, wenn diese Equipe nicht fortfahren könnte mit ihrer Arbeit. Noch sehr viele Menschen, nicht nur im VGIxcánNF sondern im ganzen Land, warten auf eine Exhumierung von Gräbern, in denen sie die Leichen ihrer Angehörigen vermuten.


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